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Keine Strafbarkeit ist gegeben, „wenn im Einzelfall nach sorgfältiger Untersuchung und unter strikter Orientierung an der freiverantwortlich getroffenen Entscheidung einer zur Selbsttötung entschlossenen Person Suizidhilfe gewährt wird“; Hilfeleistungen bei einer Selbsttötung im Einzelfall und aus altruistischen Motiven sind demnach von § 217 StGB nicht erfasst.[277]
3. Subjektiver Tatbestand
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Über das vorsätzliche Handeln hinaus muss die gewährte Hilfestellung zur Selbsttötung absichtlich, also zielgerichtet, erfolgen, somit Förderungsabsicht vorliegen.[278] Damit soll einerseits die Strafbarkeit von Personen ausgeschlossen werden, welche lediglich allgemeine Hinweise ohne Willen zur Gewährung von Suizidbeihilfe im konkreten Einzelfall geben, andererseits soll dadurch – nach der Meinung des Gesetzgebers – zusätzlich die Abgrenzung zum zulässigen Behandlungsabbruch und der zulässigen indirekten Sterbehilfe zugesichert werden, da diese Handlungen gerade nicht mit der Absicht der Förderung der Selbsttötung eines anderen erfolgen, sondern sich auf den Behandlungsverzicht (Nichteingreifen in den natürlichen Krankheitsverlauf) bzw. die Schmerzlinderung richten.[279] Wie bereits festgestellt wurde, liegt in denjenigen Fällen, in welchen der Arzt standesrechtlich zulässig agiert, keine „Selbsttötung“ vor, weshalb bereits der objektive Tatbestand nicht erfüllt ist.[280] Die Absicht des Täters muss sich zudem lediglich auf die Förderung der Selbsttötung beziehen, nicht auch auf die tatsächliche Durchführung dieser Selbsttötung; dafür genügt, wie etwa auch beim Gehilfenvorsatz bezüglich der Durchführung der Haupttat, bedingter Vorsatz.[281] Ein Suizidhelfer kann sich also nicht etwa darauf berufen, dem Suizidwilligen das tödlich wirkende Mittel zwar übergeben zu haben, um ihm die etwaige Selbsttötung zu erleichtern, diese Selbsttötung aber letztlich nicht gewollt oder gar missbilligt zu haben.[282]
4. Strafausschliessungsgrund des Abs. 2
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§ 217 Abs. 2 StGB berücksichtigt das fehlende Strafbedürfnis gegenüber Personen, die ihren Angehörigen oder anderen engen Bezugspersonen in einer emotional sehr belastenden und schwierigen Ausnahmesituation beistehen wollen.[283] Eine Teilnahme in Form einer Anstiftung oder Beihilfe zu einer geschäftsmässigen Förderung der Selbsttötung ist nach den allgemeinen Grundsätzen von §§ 26, 27 StGB strafbar.[284] Als typische Beihilfehandlungen wären etwa die Auf- und Vorbereitung der Räumlichkeiten oder das Präparieren der Giftinjektion denkbar; fraglich erscheint, ob auch „psychische“ oder „physische“ Handlungen, welche in erster Linie den Suizidenten bei der Umsetzung seines Vorhabens unterstützen sollen, zugleich als Beihilfe zur Haupttat des Förderers gelten.[285] Da es sich bei der Geschäftsmässigkeit um ein strafbarkeitsbegründendes Merkmal im Sinne von § 28 Abs. 1 StGB handelt, setzt die Strafbarkeit des Teilnehmers nicht voraus, dass er selbst geschäftsmässig handelt, weshalb die Strafbarkeit selbst nicht geschäftsmässig handelnder Personen als Teilnehmer einer geschäftsmässigen Suizidförderung grundsätzlich möglich ist.[286] Mit Absatz 2 soll daher sichergestellt werden, dass solche, einen Einzelfall betreffende Verhaltensweisen bei Angehörigen und anderen dem Suizidwilligen nahestehenden Personen nicht bestraft werden, wenn sie sich als Teilnahmehandlung zu einer geschäftsmässigen Suizidhilfe darstellen.[287] So würde sich bei Fehlen eines solchen Strafausschliessungsgrundes etwa ein Verwandter oder eine nahestehende Person wegen Beihilfe zum geschäftsmässigen Suizid strafbar machen, wenn sie einen Angehörigen über deutsches Bundesgebiet in die Schweiz verbringt und dort einer Sterbehilfeorganisation zuführt.[288] Oǧlakcιoǧlu stellt kritisch und zurecht infrage, weshalb – bei Vorbringen des Schutzkonzepts und der „bestehenden Gefahren für den Suizidenten“ als Legitimationspfeiler für die Strafwürdigkeit des Verhaltens – ausgerechnet diejenigen, welche hinsichtlich der Suizidprävention besonders in der Pflicht stehen, aus dem Visier der Strafverfolgung genommen werden.[289] Tatsächlich erschiene vom gesetzgeberischen Ansatzpunkt aus eine umgekehrte Ausgestaltung in Form einer ausschliesslichen Strafbarkeit des Verleitens zum Suizid durch Nahestehende und Angehörige eher legitimierbar, da damit Handlungsweisen erfasst werden, in denen unmittelbar auf die Entschliessungsfreiheit des Selbsttötungskandidaten eingewirkt wird.[290]
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Eine Legaldefinition des Begriffs des Angehörigen findet sich in § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB, derjenige der nahestehenden Person entspricht dem des § 35 Abs. 1 StGB.[291] Aufgrund der Gleichstellung mit den Angehörigen ist das Bestehen eines auf eine gewisse Dauer angelegten zwischenmenschlichen Verhältnisses erforderlich, wobei entscheidend ist, dass dem Angehörigenverhältnis entsprechende Solidaritätsgefühle existieren, woraus eine vergleichbare psychische Zwangslage folgt.[292] Als solche Verhältnisse „basaler Zwischenmenschlichkeit“ gelten etwa feste Liebesverhältnisse, nahe Freundschaften, im Regelfall auch nichteheliche bzw. nicht eingetragene Lebens- und langjährige Wohngemeinschaften, möglicherweise auch bei dauerhafter Aufnahme in den eigenen Haushalt, nicht aber der sympathiegetragene gesellschaftliche Umgang mit Sports- und Parteifreunden oder Berufskollegen und Nachbarn.[293] Gefordert wird ein Verhältnis, welches auf Gegenseitigkeit beruht; nicht genügend ist zudem ein Betreuungsverhältnis.[294] Die kumulative Formulierung des Nichtvorliegens einer Geschäftsmässigkeit neben der Angehörigenstellung verdeutlicht, dass der Strafausschliessungsgrund von Absatz 2 bei lediglich nicht geschäftsmässig Handelnden, die nicht in einem Näheverhältnis der genannten Art stehen, keine Anwendung findet.[295]
5. Kritik
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Kritiker sehen in § 217 StGB die Aussendung eines rechtspolitisch falschen Signals und eine kontraproduktive Wirkung, indem Suizidwillige sich selbst überlassen werden.[296] Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen etwas aus Sicht der Suizidwilligen selbst, indem sie sich in ihrem Selbstbestimmungsrecht über das eigene Leben und Sterben gemäss Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzt sehen.[297] Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch einen Antrag auf Eilrechtsschutz von vier Mitgliedern des Vereins Sterbehilfe Deutschland e.V. gegen die Strafbarkeit der geschäftsmässigen Sterbehilfe mit der Begründung abgewiesen, dass im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile im Falle einer Aussetzung des Vollzugs des § 217 StGB überwiegen, da eine Verleitung von Menschen zur Selbsttötung zu befürchten wäre.[298] Potentielle Suizidenten seien nicht Normadressaten der Strafandrohung von § 217 StGB, da eine Strafbarkeit des potentiellen Suizidenten wegen Anstiftung oder Beihilfe zu einer geschäftsmässigen Förderung der Selbsttötung bereits nach den Grundsätzen einer sog. notwendigen Teilnahme nicht in Betracht komme.[299] Sie seien nur insoweit betroffen, als das Verbot einer geschäftsmässigen Förderung der Selbsttötung die von ihnen grundsätzlich gewünschte konkrete Art eines begleiteten Suizids verhindere.[300] Schliesslich sei zu berücksichtigen, „dass die von den Beschwerdeführern gewünschte Selbstbestimmung über ihr eigenes Sterben durch eine Fortgeltung des § 217 StGB nicht vollständig verhindert, sondern lediglich hinsichtlich des als Unterstützer in Betracht kommenden Personenkreises beschränkt wird“.[301] Aus Sicht hilfswilliger Dritter können die Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie unter Umständen auch der Berufsfreiheit (Art. 12 GG)[302] und der Freiheit des Gewissens (Art. 4 GG) betroffen sein.[303] Die Argumentation des VG Berlin[304] gilt nicht nur bezüglich ärztlicher Suizidbeihilfe, sondern auch dann, wenn sie durch eine andere Person, zum Beispiel einen Angehörigen oder einen anderen nahestehenden Menschen, etwa einen Sterbebegleiter, erfolgt; somit ist auch organisierte Sterbehilfe grundrechtlich geschützt, sofern das Vorliegen von Gewissensnot bejaht werden kann.[305] Das Erfordernis des geschäftsmässigen Handelns von § 217 StGB wird zwar ein besondere Gewissensnöte erzeugendes Näheverhältnis zum Suizidwilligen in vielen Fällen ausschliessen; bestehen bleibt jedoch das Grundrecht des Sterbewilligen, sich beim Sterben von hilfsbereiten Personen helfen zu lassen.[306] Die Tätigkeit – ob individueller oder organisierter – Hilfswilliger darf deshalb vom Staat nicht ohne Weiteres untersagt, sondern