1. Allgemeines
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Mit § 217 StGB ist am 10. Dezember 2015 ein neuer Straftatbestand in Kraft getreten,[243] welcher in Absatz 1 die geschäftsmässige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellt und in Absatz 2 Angehörige oder andere dem Suizidwilligen nahestehende Personen, die sich lediglich als nicht geschäftsmässig handelnde Teilnehmer an der Tat beteiligen, von der Strafandrohung ausnimmt.[244] Die davor durch Zeitablauf gescheiterte Initiative für ein Verbot der „gewerbsmässigen Sterbehilfe“[245] wurde als zu eng betrachtet, weshalb die Wendung „geschäftsmässig“ dem Begriff der Gewerbsmässigkeit vorgezogen wurde.[246] Damit soll verhindert werden, dass sich Sterbehilfeorganisationen durch die Schaffung von Vereinsstrukturen und Handeln ohne Gewinnerzielung der Strafbarkeit entziehen können.[247] Im Vordergrund steht dabei die Befürchtung, dass sich durch die Kommerzialisierung der Suizidbeihilfe Menschen zur Selbsttötung verleiten lassen oder bei schwer kranken und alten Menschen ein Erwartungsdruck entstehen könnte, ihren Angehörigen oder der Gemeinschaft nicht zur Last zu fallen.[248] Am Konzept der Straflosigkeit der eigenverantwortlichen Selbsttötung sowie die Teilnahme daran soll zwar weiterhin festgehalten werden, jedoch sei „eine Korrektur aber dort erforderlich, wo geschäftsmässige Angebote die Suizidhilfe als normale Behandlungsoption erscheinen lassen und Menschen dazu verleiten können, sich das Leben zu nehmen“.[249] Strafrechtsdogmatisch handelt es sich bei § 217 StGB um ein abstraktes Gefährdungsdelikt; die Tat ist mit der Förderungshandlung vollendet.[250]
2. Objektiver Tatbestand
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Es ist erforderlich, dass sich die Tathandlung auf eine Selbsttötung bezieht; Akte, bei denen die Tötung nur mittelbar eintritt, werden von § 217 StGB nicht erfasst, womit indirekte wie auch Sterbehilfe per se nicht in dessen Anwendungsbereich fallen.[251]
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Als Tathandlungen gelten einerseits das Gewähren oder Verschaffen sowie andererseits das Vermitteln. Gewähren und Verschaffen einer Gelegenheit setzt voraus, dass der Täter äussere Umstände herbeiführt, die geeignet sind, die Vornahme der Suizidhandlung zu ermöglichen oder zumindest zu erleichtern.[252] Im Gegensatz zur Vermittlung muss bereits eine Beziehung zwischen Täter und Opfer bestehen oder unabhängig vom Täter zustande kommen.[253] Während beim Gewähren dem Täter die äusseren Umstände schon zur Verfügung stehen, müssen diese beim Verschaffen erst noch hergestellt werden.[254] Das Gewähren und Verschaffen erfassen in erster Linie Tathandlungen, bei denen die ermöglichte Handlung „unmittelbar“ darauf folgen soll, in dem Sinne, dass damit für den Suizidwilligen eine „letzte Hürde“ beseitigt wird.[255] Unter das Gewähren bzw. Verschaffen fallen das Überlassen des Gifts zur Selbsttötung oder der entsprechenden Räumlichkeiten resp. das Besorgen derselben.[256] Die blosse Kommunikation über die Selbsttötung im Vorfeld ist hingegen nicht ausreichend.[257] Nicht erfasst ist auch die Werbung für die Suizidhilfe.[258] Vollendet ist die Tat beim Gewähren oder Verschaffen, wenn die äusseren Bedingungen für die Suizidhandlung günstiger gestaltet worden sind.[259]
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Das Vermitteln einer Gelegenheit setzt voraus, dass der Täter den konkreten Kontakt zwischen einer suizidwilligen Person und der Person, die die Gelegenheit zur Selbsttötung gewährt oder verschafft, ermöglicht, wobei allein der Hinweis auf eine allgemein bekannte Stelle nicht ausreicht.[260] Der Vermittelnde als Aussenstehender muss mit beiden Personen in Verbindung stehen und deren zumindest grundsätzliche Bereitschaft für eine solche „Hilfe“ abgeklärt haben.[261] Da bei § 217 StGB nur die Vermittlung einer Gelegenheit erforderlich ist, müssen für die Vollendung der Tat die beiden Personen noch nicht selbst miteinander in Kontakt getreten sein.[262] Oǧlakcιoǧlu betrachtet die Ausgestaltung der Tathandlung des „Vermittelns“ kritisch, da auf die Vermittlung noch zahlreiche Handlungen folgen können, welche für sich gesehen erlaubt sind, weshalb die Tatmodalität verfassungskonform dahingehend auszulegen sei, dass nur Fälle des „erfolgreichen“ Vermittelns unter § 217 StGB fallen, in denen der Haupttäter den Tatbestand des Gewährens bzw. Verschaffens verwirklicht.[263] Im Regelfall werden die Angestellten eines Vereins nicht als Vermittelnde oder Dritte gelten können, weshalb zudem auch eine Terminvermittlung am Telefon nicht unter den Tatbestand fällt.[264]
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Unter dem Begriff Geschäftsmässigkeit ist „das nachhaltige Betreiben […] oder Anbieten […] gegenüber Dritten mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht“ zu verstehen.[265] Dazu muss die Absicht bestehen, „die tatbestandliche Handlung in gleicher Art zu wiederholen oder wenigstens zu einem wiederkehrenden Bestandteil seiner wirtschaftlichen oder beruflichen Betätigung zu machen“.[266] Ein erst- und einmaliges Angebot reicht dafür grundsätzlich nicht, sofern das erstmalige Angebot nicht den Beginn einer auf Fortsetzung angelegten Tätigkeit darstellt.[267] Im Gegensatz zur Gewerbsmässigkeit ist jedoch keine fortlaufende Erzielung eines nicht nur unerheblichen Gewinns erforderlich.[268] Das Begriffsverständnis der Geschäftsmässigkeit im Kontext von § 217 StGB verzichtet jedoch auf die wirtschaftliche oder berufliche Konnotation;[269] begründet wird dies u.a. damit, dass ansonsten die Vorschrift ins Leere liefe, da organisierte Handlungsweisen ohne beruflichen oder wirtschaftlichen Kontext unberücksichtigt blieben, gerade diese planmässige Betätigung in Form eines regelmässigen Angebotes durch Organisationen oder Einzelpersonen jedoch erfasst werden soll.[270] In dieser Form weist das Tatbestandsmerkmal der Geschäftsmässigkeit auf eine besondere Gefährdung der autonomen Entscheidung Betroffener hin, indem Suizidhelfer spezifische, typischerweise auf die Durchführung des Suizids gerichtete Eigeninteressen verfolgen, wobei diese autonomiegefährdenden Interessenkonflikte keineswegs notwendigerweise finanziell bedingt sind.[271]
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Gleichzeitig bietet der Begriff der Geschäftsmässigkeit notwendiges Restriktionspotential in Bereichen, in welchen die Suizidassistenz nicht im Mittelpunkt steht bzw. nicht als „Hauptdienstleistung“ angeboten wird – zu denken ist dabei etwa an ärztliches Handeln.[272] In diesen Fällen bildet die Suizidassistenz stets eine Einzelfallentscheidung und gehört schon standesrechtlich nicht zum typischen Pflichtenkreis eines Palliativmediziners.[273] Solange Ärzte keine Hilfe zum Sterben als Teil ihrer Tätigkeit anbieten, wird das Handeln eines Arztes nicht als geschäftsmässig zu qualifizieren sein, selbst wenn er regelmässig mit dieser Einzelfallentscheidung konfrontiert wird.[274] Auch die Materialien zu § 217 StGB möchte diesen so verstanden wissen, dass keine Strafbarkeit für ärztliche Suizidbeihilfe entsteht, da diese im Einzelfall und typischerweise gerade nicht geschäftsmässig, also in der Absicht, dies zu einem wiederkehrenden oder dauernden Bestandteil der Beschäftigung zu machen, erfolge, weshalb es auch keiner spezifisch darauf abzielenden Ausschlussregelung bedürfe.[275]