III. Verleitung und Beihilfe zum Selbstmord
56
Gemäß Art. 115 schwStGB ist strafbar, wer aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Selbstmorde verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, sofern der Selbstmord ausgeführt oder versucht wird. Art. 115 schwStGB regelt die strafbare Beteiligung am eigenverantwortlichen Suizid abschliessend; Teilnahmehandlungen können in solchen Fällen nicht gleichzeitig als Tötung durch Unterlassung (Art. 111 ff.),[377] fahrlässige Tötung (Art. 117), Aussetzung (Art. 127) oder als Unterlassung der Nothilfe (Art. 128 schwStGB) geahndet werden.[378] Für die Anwendbarkeit von Art. 115 schwStGB muss als „Haupttat“ eine freiverantwortliche Selbsttötung vorliegen, welche wenigstens versucht wurde.[379] Die Tathandlungen des „Verleitens“ sowie der „Beihilfe“ entsprechen der Anstiftung (Art. 24) resp. der Gehilfenschaft (Art. 25 schwStGB).[380] Weiter wird die Verleitung oder die Beihilfe zum Selbstmord nur dann unter Strafe gestellt, wenn der Täter aus selbstsüchtigen Beweggründen handelt. Selbstsüchtig sind die Beweggründe, wenn der Täter einen persönlichen Erfolg verfolgt, welcher einerseits materieller (z.B. um eine Erbschaft zu erlangen oder Unterhaltskosten einzusparen), andererseits aber auch ideeller oder affektiver Art (z.B. Befriedigung von Hass, Rachsucht oder Bosheit) sein kann.[381] Gleichgültigkeit hingegen ist nicht selbstsüchtig.[382] Auch die durch Sterbehilfeorganisationen geleistete „organisierte Suizidhilfe“ ist in der Regel mangels selbstsüchtiger Beweggründe straflos; Zahlungen des Suizidenten, die zur Deckung der administrativen Kosten und der Spesenentschädigung für den Suizidhelfer dienen, lassen die Teilnahmehandlungen nicht als selbstsüchtig erscheinen.[383] Hingegen begründet die Entgegennahme eines über die administrativen Kosten und Spesen hinausgehenden Sondermitgliederbeitrages durch die Organe einer Suizidhilfeorganisation zumindest einen Anfangsverdacht auf Suizidbeihilfe aus selbstsüchtigen Beweggründen.[384] Das Vorhaben des Bundesrates, ein Verbot für die organisierte Suizidhilfe einzuführen oder diese nur unter restriktiven Bedingungen zuzulassen, wurde nach Abschluss des Vernehmlassungsverfahrens fallen gelassen.[385] Eine repräsentative Bevölkerungsumfrage zeigte zudem, dass sich eine klare Mehrheit für die Beibehaltung der organisierten Suizidbeihilfe ausspricht, wobei jedoch 66 % der Befragten den sog. „Sterbetourismus“ ablehnten.[386]
57
Bis vor Inkrafttreten von § 217 StGB am 10. Dezember 2015 kannte das deutsche StGB keine spezifische strafgesetzliche Regelung der Beihilfe zum Suizid. Nach § 217 StGB wird nun bestraft, wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmässig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt.[387] Bei diesen Tathandlungen handelt es sich, ähnlich wie bei Art. 115 schwStGB, um verselbstständigtes Teilnahmeunrecht.[388] Im Gegensatz zu Art. 115 schwStGB, welcher in subjektiver Hinsicht zusätzlich selbstsüchtige Beweggründe verlangt, umfasst die Geschäftsmässigkeit im Sinne von § 217 StGB „das nachhaltige Betreiben oder Anbieten gegenüber Dritten mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht“, womit der Anwendungsbereich von § 217 StGB über denjenigen von Art. 115 schwStGB hinausgeht. Die insbesondere im Bereich der organisierten Suizidhilfe im Vergleich zu Deutschland generell aufgeschlossenere Haltung der Schweiz drückt sich auch in den medizinisch-ethischen Richtlinien beider Länder aus: Während es in der deutschen Muster-Berufsordnung für Ärzte in Bezug auf die Mitwirkung eines Arztes bei einem Suizid eines Patienten heisst, dass Ärzte keine Hilfe zur Selbsttötung leisten dürfen,[389] erwähnen die schweizerischen Richtlinien differenzierter: „Auf der einen Seite ist die Beihilfe zum Suizid nicht Teil der ärztlichen Tätigkeit, weil sie den Zielen der Medizin widerspricht. Auf der anderen Seite ist die Achtung des Patientenwillens grundlegend für die Arzt-Patienten-Beziehung. Diese Dilemmasituation erfordert eine persönliche Gewissensentscheidung des Arztes. Die Entscheidung, im Einzelfall Beihilfe zum Suizid zu leisten, ist als solche zu respektieren.“[390]
1. Abschnitt: Schutz von Leib und Leben › § 2 Sterbehilfe › Ausgewählte Literatur
Ausgewählte Literatur
Andorno, Robert/Thier, Markus (Hrsg.) | Menschenwürde und Selbstbestimmung – Analysen und Perspektiven von Assistierenden des Rechtswissenschaftlichen Instituts der Universität Zürich, 2014. |
Dölling, Dieter | Gerechtfertigter Behandlungsabbruch und Abgrenzung von Tun und Unterlassen – Zu BGH, Urt. v. 25.6.2010 – 2 StR 454/09, ZIS 2011, 345 ff. |
Dreier, Horst | Grenzen des Tötungsverbotes – Teil 2, JZ 2007, 317 ff. |
Duttge, Gunnar | Strafrechtlich reguliertes Sterben – Der neue Straftatbestand einer geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, NJW 2016, 120 ff. |
Engländer, Armin | Von der passiven Sterbehilfe zum Behandlungsabbruch, JZ 2011, 513 ff. |
Feldmann, Mirja | Neue Perspektiven in der Sterbehilfediskussion durch Inkriminierung der Suizidteilnahme im Allgemeinen, GA 2012, 498 ff. |
Freund, Georg/ Frauke, Timm | Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMJ zu einem Gesetz zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung, GA 2012, 491 ff. |
Geth, Christopher | Passive Sterbehilfe, 2010. |
Geth, Christopher/ Mona, Martino | Widersprüche bei der Regelung der Patientenverfügung im neuen Erwachsenenschutzrecht: Verbindlichkeit, mutmasslicher Wille oder objektive Interessen?, ZSR 2009, 155 ff. |
Hilgendorf, Eric | Zur Strafwürdigkeit organisierter Sterbehilfe, JZ 2014, 545 ff. |
Höfling, Wolfram | „Sterbehilfe“ zwischen Selbstbestimmung und Integritätsschutz, JuS 2000, 111 ff. |
Holzhauer, Heinz | Von Verfassungs wegen: Straffreiheit für passive Sterbehilfe, ZRP 2004, 41 ff. |
Hufen, Friedhelm | In dubio pro dignitate – Selbstbestimmung und Grundrechtsschutz am Ende des Lebens, NJW 2001, 849 ff. |
Jäger, Christian |
Der Arzt im Fadenkreuz
|