VII. Vertikale Vereinbarungen
168
Neben den verbotenen Absprachen zwischen Wettbewerbern gehören auch bestimmte Wettbewerbsbeschränkungen zwischen Unternehmen auf verschiedenen Stufen der Produktions- bzw. Lieferkette, d.h. also im Vertikalverhältnis, zu den Kernpunkten wirksamer Compliance-Arbeit im Kartellrecht. Vereinbarungen zwischen Nicht-Wettbewerbern werden von nahezu allen Kartellrechtsordnungen weltweit im Grundsatz wohlwollender betrachtet als horizontale Vereinbarungen. Auch von bestimmten Vereinbarungen zwischen Nicht-Wettbewerbern geht jedoch ein kartellrechtliches Bußgeldrisiko aus. Dies gilt in besonderem Maße in Deutschland, wo vertikale Kartellverstöße bei den Verfolgungsaktivitäten des Bundeskartellamtes seit jeher eine wichtige Rolle einnehmen.
1. Typische vertikale Vereinbarungen
169
Entsprechend dem oben dargestellten Regel-Ausnahme-Verhältnis des europäischen und deutschen Kartellverbots188 beurteilen sich vertikale Wettbewerbsbeschränkungen insbesondere nach der Gruppenfreistellungsverordnung für Vertikale Vereinbarungen Nr. 330/2010 (Vertikal-GVO) sowie den Vertikal-Leitlinien.189 Die Vertikal-GVO sieht für ihre Anwendbarkeit neben dem Vorliegen einer „vertikalen Vereinbarung“ – wie für GVOen üblich – auch eine Marktanteilsschwelle vor. Von der automatischen Freistellung der Vertikal-GVO können Vereinbarungen profitieren, die den Kauf, Bezug oder Weiterverkauf von Waren oder Dienstleistungen zwischen zwei Unternehmen betreffen, die für Zwecke der Vereinbarung auf verschiedenen Stufen der Produktion oder des Vertriebs stehen. Die Marktanteile von Lieferant und Abnehmer dürfen dabei auf keinem der von der Vereinbarung betroffenen Märkte einen Anteil von 30 % überschreiten. Zudem ist die Vertikal-GVO – entsprechend der Regelungstechnik aller GVOen – insgesamt unanwendbar, wenn die vertikale Vereinbarung mindestens eine sog. Kernbeschränkung enthält.
170
Diese Kernbeschränkungen sind in Art. 4 der Vertikal-GVO aufgeführt. Der Einordnung dieser Beschränkungen als Kernbeschränkung liegt die durch die Gerichte bestätigte Auffassung der Kommission zugrunde, dass diese im Grundsatz eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken und eine Ausnahme vom Kartellverbot nach der Legalausnahme im Rahmen der individuellen Selbsteinschätzung grundsätzlich nicht in Betracht kommt.190 Verstöße gegen das Verbot dieser Kernbeschränkungen sind zudem unmittelbar bußgeldrelevant. Unter Compliance-Gesichtspunkten sind dabei insbesondere das Verbot der Preisbindung (Art. 4 lit. a Vertikal-GVO) und das Weiterverkaufsverbot im Hinblick auf Gebiete und/oder Kunden (Art. 4 lit. b Vertikal-GVO) von besonderer praktischer Bedeutung.191
1.1 Besonderheit für Handelsvertreter und andere Absatzmittler ohne vertrags- und marktspezifische Risiken
171
Wie bereits oben angesprochen, gibt es auch Beschränkungen in vertikalen Vereinbarungen, denen die Europäische Kommission sowie das Bundeskartellamt, bestätigt durch die Gerichte, eine wettbewerbsbeschränkende Wirkung gänzlich absprechen, da sie für das Zustandekommen einer kartellrechtlich neutralen Vereinbarung objektiv notwendig sind.192
172
Ein Beispiel für derartige Beschränkungen im Kontext vertikaler Vereinbarungen sind Handelsvertreterverträge.193 Handelt ein Handelsvertreter – oder ein in diesem Punkt mit einem Handelsvertreter vergleichbarer Absatzmittler, wie z.B. ein Kommissionär – ohne vertrags- und marktspezifische Risiken für die von