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Wie im Falle der Preisbindung ist auch im Hinblick auf Weiterverkaufsbeschränkungen sorgfältig darauf zu achten, dass Exportbeschränkungen nicht indirekt vereinbart werden. Als indirekte Exportbeschränkungen qualifizieren u.a. die duale Preisstellung (d.h. die Vereinbarung höherer Preise für Produkte, die der Abnehmer exportiert, bzw. günstigerer Preise für vom Abnehmer im Inland vertriebene Produkte),216 die Verweigerung von Rabattgewährung für im Ausland verkaufte Produkte,217 Gewinnausgleichsverpflichtungen für Exporte an die in diesem Gebiet ansässigen Vertreiber218 oder Verweisungspflichten für Kundenanfragen von außerhalb des zugewiesenen Gebiets bzw. der zugewiesenen Kundengruppe.219 Von der Kommission als indirekte Exportbeschränkung gewertet wird auch die herstellerseitige Zusage von Garantieleistungen, die nur im Ursprungsland ihre Gültigkeit haben.220 Auch Verwendungsbeschränkungen stellen, etwa in der Form, dass der Abnehmer ein Produkt nur zur Weiterverarbeitung oder zum Eigenbedarf erwerben darf, eine unzulässige Weiterverkaufsbeschränkung dar.221
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Angesichts von Bußgeldern nationaler Behörden außerhalb der EU, wie insbesondere der Schweiz,222 ist zudem genau zu prüfen, inwieweit Exportverbote in Nicht-EWR-Länder gegen dortiges nationales Kartellrecht verstoßen und danach ebenfalls bußgeldpflichtig sein können. Ein Verstoß gegen EU-Kartellrecht ist bei Exportverboten außerhalb des EWR nur dann anzunehmen, wenn diese Exportbeschränkungen Reimporte in den EWR verhindern.
1.4 Beschränkungen des Internetvertriebs
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Die unzulässige Beschränkung des Internetvertriebs stellt eine weitere praxisrelevante Kernbeschränkung in einer vertikalen Vereinbarung dar, die von den Behörden, allen voran dem Bundeskartellamt, scharf sanktioniert wird. Unter kommerziellem Blickwinkel steht die (unzulässige) Beschränkung des Internetvertriebs der (unzulässigen) Preisbindung nahe, da beide Verbote aus kaufmännischer Sicht insbesondere vereinbart werden, um eine gewisse Marken- oder Preispflege zu betreiben und einer unerwünschten Verramschung insbesondere von Markenartikeln entgegenzuwirken.
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Die Kommission hat sich bereits vor über zehn Jahren dazu entschlossen, die Freiheit des Internetvertriebs als zentrale Voraussetzung für die Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarktes einzustufen und unzulässige Beschränkungen folglich als Kernbeschränkungen zu kategorisieren. An der wichtigen Rolle des Internetvertriebs gibt es weder juristisch noch ökonomisch noch ernsthafte Zweifel. Mittlerweile ist höchstrichterlich bestätigt, dass selbst in einem selektiven Vertriebssystem, in dem der Vertrieb nur über Händler zugelassen ist, die die zumeist strengen qualitativen und/oder quantitativen Kriterien erfüllen, kein Totalverbot der Nutzung des Internets ausgesprochen werden kann.223
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Die Kommission erlaubt es Unternehmen in ihren Vertikal-Leitlinien zwar, Händlern gegenüber Qualitätsvorgaben für den Internetvertrieb ihrer Produkte zu machen, die umgangssprachlich zumeist als „Internetrichtlinien“ bezeichnet werden. Viele übersehen jedoch, dass diese Qualitätskriterien in ihrer inhaltlichen Reichweite „im Einklang“ mit den Kriterien zum stationären Verkauf stehen müssen, also vereinfacht gesprochen, nicht weitreichender sein dürfen als die sonstigen Verkaufsanforderungen im Ladengeschäft.224 Zu strikte Internetkriterien können also ebenfalls zu einer Kernbeschränkung führen. Die zentrale Rolle des Internetvertriebs gehen allerdings nicht so weit, als dass dem Händler jegliche Verkaufsplattformen für seine Produkte offenstehen müssten. Frei bleiben muss der Vertrieb über eine dem Händler zuzuordnende „eigene“ Webseite. Höchstrichterlich bestätigt ist inzwischen jedoch, dass ein Verbot des Online-Verkaufs über Drittplattformen keine Beschränkung des Internetvertriebs per se ist, also im Rahmen der Vertikal-GVO zulässig ausgesprochen werden kann.225 Nach richtiger Auffassung gilt dies unabhängig von der Art der Produkte, für die der Vertrieb über Drittplattformen untersagt wird. Das Bundeskartellamt vertritt in diesem Punkt wohl nach wie vor eine konservativere Auffassung und sieht die Reichweite des Grundlagenurteils des EuGH in Sachen Coty auf „Luxusprodukte“ beschränkt.226
1.5 Nicht freigestellte Beschränkungen
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Im Hinblick auf ihre wettbewerbswidrige Wirkung werden Wettbewerbsverbote als „nicht freigestellte Beschränkungen“ gemäß Art. 5 Vertikal-GVO als weniger schwerwiegend als Kernbeschränkungen angesehen. Enthält eine vertikale Vereinbarung eine solche nicht freigestellte Klausel, ist dies in der Regel nicht bußgeldrelevant, sondern führt „nur“ zur Unwirksamkeit der betroffenen Klausel. Das Schicksal der restlichen Vereinbarung bestimmt sich nach nationalem Recht, in Deutschland also nach § 139 BGB. Im Unternehmensalltag besonders relevant ist insbesondere die Frage nach der Zulässigkeit von Wettbewerbsverboten und Bezugsverpflichtungen im Vertriebskontext.
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Nach Art. 5 lit. a der Vertikal-GVO sind vertragliche Wettbewerbsverbote, die einem Händler auferlegt werden, nur dann automatisch vom Kartellverbot ausgenommen, wenn sie für eine Laufzeit von höchstens fünf Jahren vereinbart werden. Wettbewerbsverbote in Verträgen mit unbestimmter Laufzeit oder mit Regelungen zur automatischen Verlängerung gelten als unbefristete Wettbewerbsverbote und sind damit nicht von der Vertikal-GVO freigestellt.227
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Die gleiche Regel gilt für Bezugsverpflichtungen, die mehr als 80 % des Bedarfs des Abnehmers an Vertragsprodukten und deren Substituten, bezogen auf seinen jährlichen Gesamtbedarf im letzten abgeschlossenen Kalenderjahr, betreffen.228 Auch diese müssen also für ihre automatische Freistellung auf maximal fünf Jahre befristet oder auf eine Abnahmepflicht von höchstens 80 % begrenzt werden.229
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Wettbewerbsverbote des Lieferanten in Form von Alleinbelieferungsverpflichtungen unterliegen der zeitlichen Befristung des Art. 5 Vertikal-GVO dagegen nicht. Sofern die Marktanteilsschwellen der Vertikal-GVO nicht überschritten sind, können diese also auch länger vereinbart werden.
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Nachvertragliche Wettbewerbsverbote sind regelmäßig nicht von der Vertikal-GVO freigestellt, da die sehr engen Freistellungsvoraussetzungen des Art. 5 lit. b Vertikal-GVO nur in den seltensten Fällen erfüllt sind.230
2. Informationsaustausch im Vertikal-Verhältnis
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Auch der Informationsaustausch im Vertikal-Verhältnis kann zu kartellrechtlichen Problemen führen. Dies gilt insbesondere in der Situation des dualen Vertriebs, in der Lieferant und Abnehmer auf der Vertriebsebene miteinander im Wettbewerb stehen. Über Art. 2 Abs. 4 Vertikal-GVO ist diese Vertragskonstellation zwar nicht vom Schutzbereich der Vertikal-GVO ausgenommen. Allerdings wird von der Vertikal-GVO nur der Informationsaustausch freigestellt, der zur Durchführung der vertikalen Vereinbarung notwendig ist. In einem Liefer- bzw. Vertriebsverhältnis betrifft dies neben den Einkaufsbedingungen der Vertragsprodukte bzw. -dienstleistungen auch Informationen, die notwendig sind, um die Einhaltung der – kartellrechtskonformen – Vertragsverpflichtungen des Händlers überprüfen zu können. Da eine Verhaltenskoordinierung zwischen Anbieter und Abnehmer, die über Beschränkungen hinausgeht, die der vertikalen Vereinbarung zwischen den Parteien geschuldet sind, nicht mehr von der Vertikal-GVO freigestellt ist,231 gilt dies auch für einen Informationsaustausch, der einer Verhaltenskoordinierung zwischen Anbieter und Abnehmer auf der Vertriebsseite dient.232
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