Krähentanz. Philipp Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Philipp Schmidt
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Год издания: 0
isbn: 9783957770462
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wir haben euch seinerzeit ganz schön in den Arsch getreten«, konnte Kraeh sich nicht verkneifen zu antworten. Viele seiner Freunde waren an jenem Tage gefallen, als sie gegen Niedswar den Seher und dessen Horden in die Schlacht gezogen waren. Er musste sich ermahnen, die Tatsache im Gedächtnis zu behalten, nur einen einfachen Soldaten vor sich zu haben, der schlicht den Befehlen seiner Vorgesetzten gehorcht hatte und nichts von den größeren Zusammenhängen gewusst haben konnte. Auf die Gefahr hin, seinem Gegenüber das Einzige zu nehmen, was er noch hatte, fragte er: »Wollen wir die alten Zeiten nicht ruhen lassen und uns gemeinsam ein Ale genehmigen? Gibt’s das Goldene Horn noch?«

      »Schon, aber nicht für alte, arme Hasen wie uns«, erwiderte der Veteran bitter, fügte aber hinzu: »Mein Neffe hat nen Laden unten bei den Netzflickern, bei dem hab ich einen gut.«

      Kraeh nahm die Einladung gerne an, immerhin waren seine Taschen noch leerer als die des Mannes, dem er gerade auf die Beine half.

      »Mein Name ist übrigens Thorbilt«, grunzte dieser, als er endlich stand.

      »Sehr erfreut. Meinen kennst du ja.«

      Unwillkürlich rannte Thorbilt ein Schauer den Rücken hinab. Ja, den kannte er nur zu gut.

      * * *

      Als sie in der kleinen, schmuddeligen Schenke saßen, die zu dieser frühen Tageszeit bis auf Thorbilts Neffen leer war, spürte Kraeh die Müdigkeit wie einen Geröllhaufen über sich zusammenbrechen. Vor ihm stand ein Krug abgestandenen Ales. Rotfar, der Neffe, ein stattlicher, für die Umgebung auffällig gut gekleideter Mann mittleren Alters, hatte ihnen gegenüber Platz genommen. Ehrfürchtig hatte Thorbilt Kraeh vorgestellt, zu schnell und zu entschlossen, als dass Kraeh die Möglichkeit gehabt hätte, es zu verhindern. Während er an seinem schalen Ale nippte, bat er den Wirt, seine Anwesenheit in der Stadt möge unter ihnen dreien bleiben. Am liebsten hätte er sich sofort auf einer der beiden Eckbänke des Raums, der von den Nachbarhäusern verdunkelt wurde, ausgebreitet und geschlafen. Er wollte aber nicht unhöflich erscheinen, außerdem bot sich ihm endlich die Gelegenheit zu erfahren, was in seiner Abwesenheit alles vorgefallen war. Bisher war er überaus vorsichtig gewesen, nicht einer falschen Person eine unbedachte Frage zu stellen, doch die beiden wussten ja ohnehin schon, wer er war.

      Die Offensive der Sihhilas im Osten, erfuhr er, habe nach der Verwüstung einiger Grenzstädte geendet. Verhandlungen zwischen den beiden Großreichen seien wohl wieder aufgenommen, die größeren Städte dennoch in Alarmbereitschaft versetzt worden.

      Auf seine Frage, ob er Königin Heikhe im Palas antreffen könnte, tauschten die beiden Verwandten einen sorgenvollen Blick.

      Rotfar musterte Kraeh eine Weile, bevor er kopfschüttelnd verneinte. »Wo hast du denn gesteckt all die Jahre?« Der Ausdruck seines Gesichts hellte sich kurz auf. »Ist es so, wie die Legenden sagen; bist du aus dem Jenseits zurückgekehrt, um das Land von seinem Joch zu befreien?« Ein Zwinkern seines linken Auges machte deutlich, wie wenig er von dem Gerede der Leute hielt. Als Kraeh nichts sagte, verdunkelten sich seine Züge wieder.

      »Heikhe wurde Verrat vorgeworfen, ebenso wie Erkentrud, deren Feste geschliffen wurde, ehe der Wiederaufbau abgeschlossen war. Das alles geschah vor mehr als drei Jahrzehnten. Der Kaiser begnadigte seine Schwester. Man sagt, seitdem sei sie seine Gefangene am Hofe in Dundulch, der Hauptstadt des Reiches, von dem wir mittlerweile Provinz sind.«

      Es war also wahr! Kraeh kämpfte gegen seine Müdigkeit. Kaiser Gunther war der kleine Junge, den er einst am jenseitigen Ufer des Rheins an den Feind verloren hatte. Er, Rhoderik, Sedain, Heikhe und die schöne Lou hatten ihn für tot gehalten. Der Seher musste ihn fernab aufwachsen haben lassen, wobei er es irgendwie über seinen eigenen Tod hinaus geschafft hatte, Gunther seinen Größenwahn einzuimpfen. Es wunderte Kraeh wenig, dass der Bauer, der ihn hatte ausrauben wollen, von den Geschehnissen an den hohen Höfen nichts mitbekommen hatte und daher glaubte, immer noch von Heikhe regiert zu werden. Vielleicht hielt man das einfache Landvolk aber auch bewusst in einem falschen Glauben. Kraeh wollte gerade eine diesbezügliche Frage stellen, als Rotfar fortfuhr: »Im Palas wirst du niemand Geringeren vorfinden als Eli den Düsteren. Nach der Auflösung des Senates letzten Herbst, hat der Kaiser ihn eingesetzt, damit er die südlichen Gebiete verwaltet.«

      »Und befriedet«, schaltete sich Thorbilt ein.

      Erst jetzt fiel Kraeh die Kette um Rotfars Hals auf, deren Ende unter der am Kragen bestickten Tunika verschwand. Der Wirt verstand und zog an dem Kettchen, bis das kleine goldene Kreuz zum Vorschein kam.

      »Wir sind jetzt alle Krukis hier«, erklärte er, da Kraehs Augen sich zu Schlitzen verengten. »Aber sag«, sprach er weiter, die Anspannung seines Gegenübers mit unechter Gelassenheit überspielend, » was bringt dich dazu, in meiner bescheidenen Schenke einzukehren, Herr Kraeh? Eli ist nicht gerade für seine Freundlichkeit bekannt, doch würde er sich sicher geehrt fühlen, die große Kriegskrähe an seiner Tafel willkommen zu heißen.«

      Kraeh lächelte. »Das wird sich morgen herausstellen.« Er nahm den letzten Schluck aus seinem Humpen; »Vorerst aber möchte ich dich um einen Schlafplatz bitten. Sofern es für dich in Ordnung ist, dass ich bezahle, sobald es mir möglich ist.«

      Rotfar versicherte ein wenig aufgewühlt, er sei selbstredend ein gern gesehener Gast, stand auf und ging in einen Nebenraum. Kurz darauf kam er mit einem Bettlaken unter dem Arm zurück. »Leider kann ich nicht mehr anbieten«, sagte er, als er Kraeh in den unbelegten Schlafraum hinter dem Tresen geführte. »Für einen Mittagsschlaf wird’s hoffentlich reichen«, fügte er noch mit einem Zwinkern hinzu, indem er seinem unerwarteten Gast das Laken in die Hand drückte.

      Kraeh bedankte sich und richtete das Bett, welches der Tür am nächsten war. Natürlich würde er wieder kein Auge zutun, den beiden war nicht zu trauen. Er döste ein wenig, darauf bedacht, dass der Schlaf ihn nicht vollends übermannte. Gerne hätte er noch mehr erfahren, aber sein Geist war so träge wie seine Glieder steif. Mit jenen wenigen Dingen jonglierend, die er eben gehört hatte, driftete er ab und schlief unversehens doch ein. Es musste bereits früher Abend sein, als das Tuscheln seiner beiden Gastgeber ihn weckte. Zumindest seine Instinkte waren noch einigermaßen auf Trab. Der beschleunigte Herzschlag in seiner Brust verdrängte den Rest der Müdigkeit. Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit, Kraeh spürte einen Blick auf sich ruhen, dann schloss sie sich wieder.

      »Er schläft«, hörte er Rotfar zu seinem Onkel sagen.

      Das durfte doch wohl nicht wahr sein! So plump konnten sie nicht vorgehen. Natürlich versprachen sie sich eine Belohnung dafür, dass sie ihn an die Obrigkeit verrieten, der Grund lag also nahe: Geld. Dem einen fehlte es gänzlich, der andere war wohl von jener Art, die nicht genug bekommen konnte. Aber doch nicht auf diese Weise! Alle machten so ein großes Gerede um seinen Namen, und sobald sie mit ihm zu schaffen hatten, taten sie so, als hätten sie den dümmsten Einfaltspinsel der ganzen Rheinlande vor sich!

      Getuschel folgte, aus dem klar »Halbe, halbe« und »Einverstanden« herauszuhören war. Ihre Dummheit kommt mir zugute, versuchte Kraeh, sich zu beruhigen, aber es gelang ihm nicht gänzlich.

      Die Außentür wurde geschlossen. Rotfar hatte das Haus also verlassen. Kraeh gähnte, dann stand er auf. Thorbilt saß, mit Blick auf die Tür, auf einem Schemel. Als sie plötzlich aufging, wäre er fast hintenüber gestürzt. Noch so eine törichte Idee. Was wollte sein Bewacher nun machen? Ihn durch seine Erbärmlichkeit zum Heulen bringen?

      »Thorbilt, Thorbilt«, sagte Kraeh kopfschüttelnd. »Man sollte meinen, du hättest aus unserer letzten Begegnung eine Lehre gezogen …«

      Der Bettler antwortete nicht, während sein eines Auge auf der Suche nach einer Ausrede durch den Raum irrte.

      »Du denkst vermutlich, du hättest nichts mehr zu verlieren.« Kraeh schaute verächtlich auf ihn herab. »Die Gesetze der Spiegelungsgleichheit aber scheinen nahezulegen, dass du mit einem Bein weniger viel hübscher anzusehen wärst …« Dabei glitt seine Hand langsam zu Lidunggrimms Knauf.

      Als der Bettler zu winseln begann, nahm Kraeh sich einen Stuhl, rückte ihn vor Thorbilt und setzte sich darauf. Der Schreck hatte gesessen.

      »Also