Krähentanz. Philipp Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Philipp Schmidt
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Год издания: 0
isbn: 9783957770462
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die wir uns in unserer Jugend zu eigen machen.

      Ob der Greis, der mittlerweile geräuschvoll schnarchte, wohl ahnte, welche Kräfte sie zusammengeführt hatten? Es war gleich. Er würde sich von ihm aus diesem ungastlichen Landstrich führen lassen, der nicht besser geeignet hätte sein können, seine Spuren zu verwischen, und ihn dann seinem Schicksal überlassen.

      Er konzentrierte sich darauf, sich auf nichts mehr zu konzentrieren, und schlief kurzerhand ein.

      Die Sonne reizte seine Nase und ein heftiges Niesen ließ ihn schließlich hochfahren. Sie hatten verschlafen! Nicht sie, wie Arduhl kurz darauf aufging. Henfir oder wie auch immer der Alte heißen mochte, saß ein kleines Stück entfernt über einem knisternden Feuer, das kaum Rauch entwickelte. Auf einem aus hellen Zweigen errichteten Rost über der Feuerstelle, brodelte ein Sud in seinem Tonbecher, den der Alte ihm entwendet haben musste, als er noch geschlafen hatte.

      Zerknirscht kam Arduhl auf die Beine, seine Nase war zu und in seinem Hals hatte sich über Nacht ein unangenehmes Kratzen eingenistet.

      »Wieso hast du mich nicht geweckt?«, fragte er schlecht gelaunt, während er neben das Feuer trat und von oben in seinen Becher schielte. Mit einer Geste, die ihm zu verstehen gab, dass das Getränk seinem Hals wohltun würde, bot Kraeh ihm den Becher an, nachdem er selbst einen Schluck daraus genommen hatte. Als Arduhl das dampfende Gebräu, immer noch auf eine Erwiderung wartend, an die Lippen setzte, hob Kraeh in provozierendem Tonfall zur Gegenfrage an: »Wieso habt Ihr, Arduhl ap Tulaf, die heilige Isabel an ihrem letzten Morgen nicht geweckt?«

      Das hatte gesessen. Und Kraeh war besonders stolz darauf, den vollen Namen seines Gegenübers behalten zu haben, den er von einem der Zwillinge aufgeschnappt hatte, als er in dem Gasthaus der stille Zeuge ihrer Grausamkeiten geworden war.

      Der Südländer nahm einen großen Schluck von dem bitteren Sud, ohne die Miene zu verziehen, kniete sich hin und gab dem Alten den Becher zurück. Ihre Gesichter waren einander nun so nah, dass sie sich beinahe berührten.

      »Die Schnepfe konnte einfach den Mund nicht halten.« Seine Stimme war flach und ausdruckslos. Kraeh kannte diese Art zu sprechen von Sedain und er wusste ja auch so bereits, dass sein Gegenüber nicht zu jener Sorte Hund gehörte, die laut bellte, weil ihre Zähne stumpf waren.

      »Am Ende«, fuhr Arduhl fort, »erging es ihr wie allen, die zu viel reden.« Es stand außer Frage, er wollte drohen, aber etwas in den dunklen Augen verriet Kraeh, dass ihm der Tod Isabels, obgleich sie ihm als Mittel zum Zweck gedient hatte, keinesfalls gleichgültig war. Auch deshalb, vor allem jedoch aus einer alten Charakterschwäche heraus, gegen die er längst aufgegeben hatte anzukämpfen, stichelte er weiter.

      »Wie war das, all die Monde mit dieser Schönheit zu vögeln, nur um die eigene Haut zu retten?«

      Kraeh provozierte, um die Wahrheit ans Licht zu locken, gleich wie hässlich oder unbarmherzig sie sein mochte. Ihre Blicke trafen sich erneut. Ein Windhauch strich durch die weißen und schwarzen Haare der beiden Männer. Kurz nur mahlten Arduhls Wangenknochen, dann fasste er sich wieder. Er war zu beherrscht, etwas Unüberlegtes zu sagen. Außerdem wusste der Alte schon zu viel; hätte er im Zorn noch mehr preisgegeben, wäre dessen Tod beschlossene Sache gewesen und aus irgendeinem Grund, den er noch nicht recht verstand, mochte Arduhl den greisen Sonderling.

      »Wir brechen auf«, wandte er sich endlich ab, um seine Stiefel und Socken vom Baum zu pflücken; der Alte hatte seine anbehalten. Und das war ein Segen, auch so, vom Feuer angewärmt, verströmten sie einen bestialischen Gestank. Der Alte lachte über den Gesichtsausdruck des Jüngeren und Arduhl grinste zurück. Der alte Stinker hatte sich etwas Heiteres, Unbedarftes, ja Jugendliches bewahrt und das gefiel Arduhl.

      * * *

      Drei Tage waren sie mittlerweile unterwegs. Nach dem letzten Gespräch hatten sie, trotz gegenseitiger Gewogenheit, ihre Wortwechsel auf das Nötigste beschränkt. An einem Morgen hatte Kraeh sich schlafend gestellt und seinen Weggefährten dabei belauscht, wie er weniger zu einem Gott als zu einer allumfassenden schöpferischen Macht, einer Essenz des Lebens gebetet hatte. Sie befanden sich in einem merkwürdigen Abhängigkeitsverhältnis. Zuweilen musste Arduhl den Älteren stützen, wenn diesen die Kräfte verließen, zugleich kannte Kraeh in den Gefilden seiner Heimat viele nützliche Kniffe, die einem das Leben erleichterten. Zusätzlich gab er unterschwellig vor, den Weg zurück in die Zivilisation zu kennen. Wenn er ehrlich war, hatte er keine Ahnung, wo genau sie sich befanden. Immerhin wusste er, anscheinend im Gegensatz zu Arduhl, dass die Festung Erkenheim vor mehr als dreißig Jahren geschliffen worden war. Der Südländer verband mit dem Namen wohl einen Glanz längst vergangener Zeiten und kannte ihn vermutlich lediglich aus Sagen und Legenden. Kraeh sprach diesen Punkt natürlich nicht an, da er auf den anderen angewiesen war und dieser glücklicherweise auch nicht nachfragte.

      Ein kleiner Bachlauf, der ihm vage bekannt vorkam, zerstreute zumindest ein wenig den Zweifel, ob sie sich auf dem richtigen Weg befanden. Sie folgten ihm, bückten sich unter Astwerk hindurch, schlenderten vorbei an Pilzkolonien, stets begleitet vom Quaken der Frösche und Unken, die Arduhl suspekt waren, da man sie trotz ihrer nicht überhörbaren Masse so selten zu Gesicht bekam.

      »Wo verstecken sich all diese Biester?«, fragte der Südländer mürrisch. Gleichwohl er mehr zu sich selbst gesprochen hatte, zeigte Kraeh ihm kurz darauf einen der Quäker. Vorsichtig am Rücken gepackt zeigte er den gelben Bauch des zappelnden Tiers.

      »Man kann daran lecken«, meinte Kraeh, »bringt interessante Wachträume. Haben wir früher oft …« Er brach ab. Ein Geräusch hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Er setzte die Kröte auf den Boden. Arduhl hatte die Hand schon am Schwertgriff. So leise wie möglich bewegten sie sich auf die Quelle des Klanges zu, der sich beim Näherkommen als Tonfolge entpuppte. Jemand sang. Eine Frau mittleren Alters, das wirre Haar zum Zopf hochgesteckt, pflückte, in ihre Weise versunken, in gebückter Haltung ein Kraut, das am Bachlauf wuchs. Als sie die beiden über und über mit Dreck beschmutzten Männer sah, fuhr sie erschrocken hoch.

      »Es ist in Ordnung«, versuchte Arduhl, der ein wenig vorangegangen war, sie zu beruhigen. »Wir wollen dir nichts Übles.«

      Kraeh, der etwas außer Puste hinzukam, lächelte der Frau, die nun versteift dastand, freundlich entgegen. »Wir wollen nach Erkenheim. Kannst du uns sagen, wo wir es finden?«

      »Erkenheim, kein Stein, mehr auf dem andern steht«, trällerte sie in derselben leicht schiefen Melodie wie zuvor. Der Reim hatte sie offenbar mit dem Anblick der beiden Fremden versöhnt. Sie schien keine Angst mehr zu haben. Wenig feminin wischte sie ihre vom Pflücken nassen Hände an dem Latz ab, den sie über ihrer kurzen braunen Tunika und dem verblichenen Rock trug.

      »Ja, ja sicher«, murmelte sie. »Besuch ist selten dieser Tage, müsst ihr verstehen.«

      »Besuch?«, hakte Arduhl nach, doch sie hatte die Kräuter bereits verstaut und winkte den beiden, ihr zu folgen. »Kommt, kommt. Nach Erkenheim, mit Stock und Bein …« Sie sang und summte, den ganzen Marsch über Worte in unsinniger Reihenfolge aneinanderreimend.

      Ohne dass sich an der Landschaft etwas merklich verändert hätte, zumindest nichts, was den beiden Männern aufgefallen wäre, breitete sie schließlich die Arme aus. »Willkommen in Erkenheim!«

      Auch auf den zweiten Blick konnte Kraeh nichts erkennen, was seine Erinnerung wachgerufen hätte. Der Untergrund war hier vielleicht ein wenig trockener, aber überall wuchsen Farne und Sträucher sowie Bäume, von denen Lianen herabhingen. Er ging, ohne auf die beiden anderen zu achten, ein paar Schritte, und tatsächlich, als er mit seinem Stiefel Moos beiseitewischte, traf er auf etwas Hartes. Er kniete sich hin und machte mit den Händen weiter. Eine Platte. Und dort drüben, nicht weit von ihm entfernt, glänzte, von Grünzeug überwuchert, ein Stück weißen Steins aus einem Erdhaufen.

      Sie waren also tatsächlich an ihrem Ziel angelangt. Unglaublich, wie schnell die Natur sich zurückgenommen hatte, was einst ihres war, ehe der Mensch seine Mühe darauf verwendet hatte, ihr Antlitz in seinem Sinne zu gestalten. Kraeh dachte unwillkürlich an den Pan, der ihm in diesen Wäldern Lidunggrimm und Pian Anam überreicht hatte.

      »Folgt mir«,