Krähentanz. Philipp Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Philipp Schmidt
Издательство: Автор
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Год издания: 0
isbn: 9783957770462
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Versprechen …«

      »Danke, danke!«, fiel ihm das Häuflein Elend ins Wort.

      »Soll ich mit der Zunge anfangen?«, fuhr Kraeh ihn an. Mit zusammengepressten Lippen und einer Träne im Auge, bewegte Thorbilt seinen Kopf stumm von links nach rechts.

      »Dachte ich mir. Und deinem liebreizenden Neffen richte aus, dass ich kommen werde, ihn zu holen. Ich werde ihm einen Sack Geld um den Bauch binden und ihn im Fluss versenken. Hast du verstanden?«

      Thorbilt nickte.

      »Schön, hüte dich, mir noch mal über den Weg zu laufen«, sagte der nach dem unruhigen Schlaf wenig erholte alte Krieger, indem er sich erhob. Er zögerte. »Dein Mantel«, forderte er. Umständlich schälte sich der Bettler aus dem alten Fetzen und reichte ihn Kraeh.

      Sein Magen war flau, als er aus der Taverne trat. War er so tief gesunken, es nötig zu haben, greise Krüppel einzuschüchtern und auszurauben? Aber halt, dachte er, während er der kleinen Gasse vor sich nach links folgte, da müsste er sich ja beinahe dazurechnen und andererseits gefiel ihm auch die Vorstellung, wie Rotfar sich die nächste Zeit in die Hose machen würde aus Angst, die Kriegskrähe stünde irgendwann vor seiner Tür. Er schob diese Gedanken beiseite. Was er vor allem brauchte, war einen Ort, an dem er wirklich ausruhen und sich erholen konnte, doch er hatte kein Geld, um sich ein Gasthaus leisten zu können, und ohnehin wäre es wohl keine gute Idee gewesen, beim nächsten Verräterpack abzusteigen.

      Die Gasse war wie ausgestorben. Nur vereinzelt drangen Geräusche aus den wenigen erleuchteten Häusern an seine Ohren. Sein neuer Mantel stank nach Pisse und Schweiß, kurz wurde ihm wieder übel. Offensichtlich war mehr Zeit vergangen, als er gedacht hatte; Tagesschlaf hatte ihn schon immer verwirrt. Die Rinnen zu beiden Enden der Gasse, welche die Abwässer der Haushalte sammelten, ehe sie in den Rhein gespült wurden, dampften in der Kälte der Nacht und legten einen dunstigen Schimmer über die Pflastersteine, die beinahe völlig darunter verschwanden. Hatte er sich getäuscht oder war gerade tatsächlich der Ruf einer Krähe zu hören gewesen?

      Noch einmal. Jetzt war er sich sicher. Schon stießen die schwarzen Schwingen durch die Luft und das Tier landete nur einen Funkenflug vor ihm auf dem Boden. Der Dunst verschluckte den gefiederten Körper bis auf den Kopf. Der Schnabel öffnete und schloss sich, aber diesmal war nichts zu hören. Oder doch? Kraeh konzentrierte sich. Er hatte das übermächtige Gefühl, der Vogel wolle mit ihm in Kontakt treten, wollte ihm etwas sagen, ihn … warnen!

      Er reagierte instinktiv. Mit einem schnellen Satz verbarg er sich in einer ausgesparten Nische eines Mauerfundaments. Schon hallten Schritte durch die Gasse, Kettenringe rasselten. Es handelte sich um mindestens zehn Mann, schätze er. Als die Patrouille einbog, flog die Krähe auf. Auf sie aufmerksam geworden, hob der Mann, der die Truppe anführte, seine linke, zur Faust geballte Hand in die Höhe, woraufhin die Soldaten hinter ihm anhielten. Wortlos machte der Mann noch einige Schritte, den Blick auf den sich schnell entfernenden Vogel geheftet. Er stand nun direkt neben Kraeh, der den Atem anhielt, während seine Hand lautlos zu Lidunggrimm wanderte. Der Offizier hatte die Enden seines Schnurrbartes nach oben gezwirbelt. Voller Konzentration lauschte er in die Totenstille. Gleich würde er ihn entdecken, dessen war der alte Krieger sich sicher, immerhin war sein Versteck nicht gerade ausgefallen. Der Mann brauchte nur den Kopf zu drehen. Wie viele würde er in der Überraschung niederstrecken können, bis sie ihn überwältigten?

      Die Soldaten, welche in einer Zweierreihe auf ihren Vorgesetzten warteten, begannen, ungeduldig zu werden. »Der hat wohl ein Gespenst gesehen«, schnappte Kraeh auf und zu seiner Rettung auch der Offizier. Er wandte sich ab und der Vorlaute musste eine knappe Rüge über sich ergehen lassen. »Eli verlangt nicht mehr, als einen alten Sack in den Palas zu schaffen«, verteidigte sich der ausgescholtene Soldat.

      »Ja, nur war dieser alte Sack zufälligerweise einmal der größte Krieger, den diese Welt kannte. Und genau deshalb, weil du es nicht sonderbar findest, dass wir auf der Suche nach der Kriegskrähe eine Krähe auffliegen sehen, wirst du niemals zum Offizier aufsteigen, geschweige denn, dass dich jemals ein Schwertorden als Ritter aufnehmen wird.

      Los jetzt!«, befahl der Schnauzbart abrupt, offenkundig ärgerlich darüber, sich überhaupt auf diese Diskussion eingelassen zu haben.

      Im Laufschritt zog der waffenstarrende Trupp am Schlupfwinkel Kraehs vorbei. Als er sich sicher war, dass sie weg waren, trat der Greis aus der Nische zurück auf die Gasse.

      Wie er sich durch die menschenleeren Straßen stahl, tränten seine Augen und Schweiß perlte unangenehm seinen Nacken hinab. Fast schien es, als hätten seine Beine ein Eigenleben entwickelt. Ohne das direkte Geheiß ihres Besitzers trugen sie ihn durch die schmuddeligen Viertel der Unterstadt. Kraehs Gedanken gingen auf anderen Wegen, flogen zurück zu jenen Tagen, die er an Siebenstreichs Hof verbracht hatte, wo er zum letzten Mal sogenannten Rittern begegnet war. Die bretonischen Abgesandten, die damals dort verweilten, hatten jenen Rang bekleidet. Er hatte sich gut mit ihnen verstanden, jedoch nie genauer nachgehakt, was es mit ihren Titeln auf sich hatte, deshalb war sein Bild von einem Ritter vage. Der schnauzbärtige Soldat von vorhin allerdings wollte nicht einmal jener ungenauen Vorstellung entsprechen. Ein Ritter war doch zumindest hoch zu Ross anzutreffen, edel und tugendhaft in all seinem Betragen. Kraeh musste über sich selbst schmunzeln, er hatte doch wahrlich genug gehört und gesehen, um nicht auf solche Wunschbilder hereinzufallen.

      Fischgeruch brachte ihn zurück in die Wirklichkeit. Hier im Hafenviertel lebte man anscheinend nach einer anderen Zeit. Letzte Verhandlungen wurden geführt, während die meisten Stände des kleinen Marktes, auf den er gedankenverloren zugegangen war, von ihren Betreibern soeben aufgeräumt wurden. Die Waren, Muscheln, Flusskrebse, vor allem aber Fische in jeder erdenklichen Form und Größe, wurden in von Salz glänzenden Stoff eingewickelt und anschließend in Körbe verpackt. Am nächsten Tag würden sie nur noch die Hälfte wert sein, ein Gesetz, das jenen, welche mehrere Körbe zu füllen hatten, in die schlecht gelaunten Gesichter geschrieben stand. Dennoch wurde bei der harten Arbeit, an der sich die ganzen Familien beteiligten, auch gescherzt und gelacht.

      Kraeh lehnte sich an eine Ecke und sah den Männern, Frauen und Kindern dabei zu, wie sie Bretter vor die vom Tran klebrigen Ablageflächen türmten, Karren beluden und Mütter ihre Kleinsten mitten in all dem Schmutz und Gestank stillten. Es war offensichtlich ein rauer Alltag. Ungeachtet dessen rührte sich in Kraeh der Anflug von Bitterkeit. Nie nach seiner Jugend hatte er die Freuden eines solch einfachen Lebens kosten dürfen, nie erfahren dürfen, wie es sich anfühlte, einen eigenen Sohn in den Armen zu halten.

      »Du da!«, gellte ein sehniger Halbstarker ihn an, der trotz der Kälte lediglich eine armfreie Strickjacke trug. »Willst du nur herumstehen oder dir ein bisschen Kupfer durch Arbeit hinzuverdienen?«

      »Eigentlich wollte ich über den Fluss«, sagte Kraeh ein wenig aus der Fassung geraten. Nach allem, was er in Erfahrung gebracht hatte, wartete hier nichts als eine dunkle Kerkerzelle und vielleicht eine glühende Zange auf ihn. Nein, er durfte nicht auf Hilfe hoffen und würde den Weg nach Erkenheim alleine meistern müssen. Geschliffen hin oder her, die Drudenfeste war sein Ziel. Er hatte kein anderes.

      Der Bursche ließ von seinem Tun ab, kam ausladenden Schrittes auf ihn zu, setzte eine feixende Miene auf und meinte: »Da bist du nicht der Erste. Pass auf, ich bin hier eigentlich fertig, wenn du den Tisch da drüben schrubbst und kurz auf meinen Bruder aufpasst«, er deutete auf einen verloren wirkenden Jungen mit einem Lappen in der Hand, »kannst du mit übersetzen.«

      Er wartete die Antwort gar nicht ab – augenscheinlich war das Angebot in seinen Augen viel zu großzügig, als dass es einen Sinn ergeben hätte, dieses auszuschlagen –, gab dem sommersprossigen Jungen einen Klaps und war schon um eine Ecke verschwunden.

      Zugleich überrumpelt und erfreut, wie leicht ihm dies zugefallen war, trat Kraeh an den niedrigen Tisch, ließ sich den Lappen reichen und begann, die Überreste des Tages von dem maroden Holz zu wischen.

      Der Junge mit dem fettigen, flachsblonden Haar sprach kein Wort. Auch als Kraeh sich als Henfir vorstellte, blieb der Kleine stumm. Da Kraeh gerade mit dem Tisch fertig war und sich daranmachen wollte herauszufinden, was den Jungen wohl so eingeschüchtert hatte, tauchte sein älterer