Krähentanz. Philipp Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Philipp Schmidt
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Год издания: 0
isbn: 9783957770462
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Tür.

      Der Bauer und seine Söhne zuckten zusammen, als Kraeh einen Pfiff ausstieß. Der kurze Moment des Schreckens wich jedoch schnell der Habsucht, als Brunais Blick den Greis auf der Schwelle musterte.

      »Giffen mir dat!«, stieß er zwischen seinen faulen Zähnen hervor und deutete dabei auf Kraehs Hüfte.

      »Was?«, fragte der Alte betont langsam. »Das hier?«

      Das magische Schwert fuhr aus der Scheide. Mondlicht huschte über die Klinge und die Lider der drei Augenpaare, die darauf gerichtet waren, weiteten sich. Noch nie hatten sie etwas derart Wertvolles gesehen. Und es war zum Greifen nahe; allein die gichtigen Finger eines steinalten Fremden trennten sie davon, es in ihren Besitz zu bringen.

      »Giffen uns dat«, wiederholte der größere der beiden Söhne seinen Vater, »und du kunnst fortegahn.«

      Beinahe taten Kraeh die Narren leid. Ohne Frage, er war alt, nicht mehr als ein erbärmlicher Abglanz seiner einstigen Größe, aber genau das würde den dreien zum Nachteil gereichen. Früher hätte er sich vielleicht damit begnügt, ihnen mit ihren eigenen Knüppeln den Hintern zu versohlen, dieser Tage würde er besser sichergehen …

      »Du hast recht, ich werde verschwinden«, schleuderte er jenem ältesten Sohn herablassend entgegen, dessen Stirnfalten und Gestik verrieten, dass er die größte Möglichkeit eines unbeschadeten Angriffs in seiner linken, der waffenlosen Seite entdeckt zu haben glaubte.

      »Aber ich gehe mit all meinen Sachen, insbesondere dieser.« Dabei drehte er Lidunggrimm so in seiner Hand, dass dem jungen Mann hätte klar werden müssen, wie wenig ausgereift sein Angriffsplan war. Wären sie gemeinsam auf ihn losgegangen, hätten sie eine Chance gehabt, doch das Zaudern Brunais und dessen jüngeren Sohnes bot Kraeh die Möglichkeit, den brutalen von oben herab geführten Schlag des Knüppels mühelos zu parieren. Das Holz splitterte, als es auf die Klinge traf. Kraeh machte einen Satz zurück und zog dem Bauernjungen die Schneide längs über den Bauch. Fassungslos schaute dieser an sich herab. Der Schmerz hatte sein Bewusstsein noch nicht erreicht und so versuchte er, blass vor Schock, seine Eingeweide mit den Händen an ihrem angestammten Platz zu halten. Natürlich war sein Unterfangen vergeblich. Seine Innereien quollen hervor, flutschten durch seine gespreizten Finger und klatschen auf den Stallboden. Er wankte und fiel. Der Vater stürzte neben seinem Sohn zu Boden, nahm den sterbenden Körper in seine Arme und begann, heftig zu schluchzen.

      Kraeh wusch die Klinge an einer Decke ab, die über einer Koppel hing, schob sie in ihre Scheide und verließ ohne ein weiteres Wort den Stall. Er empfand keinerlei Mitleid, nur ein Gefühl des Ekels begleitete ihn nach draußen in die kalte Nacht.

      Ärgerlich darüber, seinen Mantel zurückgelassen zu haben, beschleunigte er seinen Schritt, um zu verhindern, dass die Kälte, die der feuchte Dunst des Morgens mitbrachte, sich in seinen Gliedern festsetzte. Die Mauern der alten Feste Brisaks wuchsen und Kraehs Gemüt verdüsterte sich, während der goldene Schimmer der Sonne sich auf den Wehrgängen ausbreitete und die Gestalten der Wachposten von den Zinnen abhob. In der Ferne grollte ein Donnerschlag und Kraeh deutete ihn unwillkürlich als schlechtes Omen. Eine Gruppe von drei Wagen näherte sich dem mächtigen Tor, auf das auch er zuhielt. Er korrigierte seinen Gang, und als die Sonne als ganzer runder Ball am wolkenlos blauen Himmel stand, fing er die Gruppe nicht weit von den Mauern entfernt ab. Es waren Händler, die Wagen angefüllt mit Erz, das in den nordöstlich gelegenen Minen abgebaut worden war. Ihr Sprecher, ein feister Kerl, der auf dem vordersten der Wagen vom Kutschbock aus seine Peitsche auf die langhaarigen Lastpferde knallen ließ, hatte keine Einwände, dass der fremde Alte sich ihnen anschloss. Das Schlusslicht des kurzen Zuges bildeten zwei schwer beladene Frauen, die, froh, den langen Weg endlich hinter sich zu haben, trotz ihrer Last zu Scherzen aufgelegt waren. Kraeh lachte ein wenig über ihre derben Sprüche und schließlich, nur wenige Schritte trennten sie noch von den nun offenen Flügeln des Tores, gelang es ihm, der einen ein Stück zerfransten Stoffes abzuschwatzen, das ihr bis dahin als Schal gedient hatte. »Ich kuf mir ehn nuwes, glänzlicheres«, sagte sie lächelnd und zeigte dabei zwei Reihen schlecht gepflegter Zähne. Kraeh band sich den Stoff um die Hüften, was den beiden ein neuerliches Gelächter entlockte. Allmählich gewöhnte er sich daran, dass ihn, den alten Sonderling, niemand ernst nahm, und auch sein Ohr stellte sich auf die Sprache des ländlichen Volkes ein.

      Als sie auf Höhe der Stadtwachen anlangten, hatte auch er ein Grinsen aufgesetzt. Zwischen den herumalbernden Frauen fiel er nicht weiter auf und der Soldat, dem eine Mischung aus Müdigkeit und Strenge ins Gesicht geschrieben stand, winkte sie weiter. Jetzt grinste Kraeh nicht mehr. Er wünschte den Weibern einen schönen Tag und verschwand im Gewimmel, das in den engen Gässchen hinter dem zweiten Verteidigungsring schon zu dieser frühen Morgenzeit herrschte.

      Kraeh war dergleichen Menschenmassen nicht mehr gewohnt. Ihm schwindelte. All diese Leute, dachte er, alle mit ihrer eigenen Geschichte, ihren eigenen Träumen, ihren eigenen Zielen und Beweggründen. Er blieb stehen, um sich zu sammeln.

      Ein breitschultriger Mann, der einen schweren Sack auf dem Rücken schleppte, rempelte Kraeh so heftig an, dass dieser beinahe das Gleichgewicht verlor. Ohne ein Wort der Entschuldigung stapfte der Mann weiter in das undurchschaubare Gewusel. Ein weiterer Ellbogen rammte Kraehs Rippen. Diesmal ging es so schnell, dass er nicht einmal die dazugehörige Person ausfindig machen konnte.

      Einfach stehen bleiben war keine gute Idee gewesen. Er setzte sich in Bewegung. In Ermangelung eines besseren Einfalls folgte er der sich kaum merklich nach oben windenden Hauptstraße, die ihn an ihrem Ende zu dem Palas im Zentrum der Stadt führen würde. Zu seiner Rechten erkannte er nach einiger Zeit eine Abkürzung: ein steiles Treppchen, an dessen einer Seite Schießscharten angebracht waren. Sie musste aus einer Ära stammen, da Brisak noch wesentlich kleiner gewesen und jene breite Mauer, an der er nun entlangging, die äußerste gewesen war. Doch auch hier war geschäftiges Treiben im Gange, allerdings waren es vornehmlich kleinere Soldatengruppen, die an ihm vorbei nach oben marschierten oder ihm leichtfüßig entgegenkamen, immer mindestens zwei Stufen auf einmal überspringend.

      »Ein Kupfer für einen alten Veteranen.«

      Irgendetwas an der versoffenen Stimme erregte Kraehs Aufmerksamkeit. Er sah sich um und entdeckte eine kümmerliche Gestalt, die am Rand des Gässchens auf einer Stufe saß. Der linke Ärmel ihrer schmutzigen Tunika hing schlapp herab. Das Gesicht des Einarmigen war von einer tiefen Narbe verunstaltet, die sich von der linken Stirnseite bis zur rechten Wange zog. Die Verletzung hatte den Mann auch noch ein Auge gekostet, dessen leere Höhle wund und entzündet zu den jungen Burschen, die an ihm vorbeihasteten, hochblickte. Kraeh blieb kurz vor dem Alten stehen.

      »Ein Kupfer«, bat der Bettler erneut.

      »Tut mir leid, ich habe selbst kein …«

      »Kraeh die Kriegskrähe!«, unterbrach ihn der am Boden Sitzende ungläubig.

      Erschrocken sah Kraeh sich um; niemand hatte den Bettler beachtet. Er kniete sich zu ihm nieder und legte einen Zeigefinger auf die Lippen.

      »Du bist es wirklich, nicht wahr?«, fragte die erbärmliche Person, diesmal leiser.

      »Aye«, gestand Kraeh.

      »Ich wusste es. Ich habe zwar nur noch ein Auge, aber das lässt sich nicht so leicht täuschen.«

      Er probierte sich an einem Lächeln, da seine Lippen allerdings außer Übung waren, glich das Ergebnis doch eher einer jener Fratzen, welche man zur Wintersonnwende als Masken zur Schau stellte, um böse Geister zu vertreiben oder einfach Kinder zu erschrecken.

      Er bekam ein wohlwollendes Nicken zur Bestätigung. »Fürwahr, ein gutes Auge ist dir geblieben.«

      »Du hingegen hast aber nicht die geringste Ahnung wer ich bin, hm?«

      »Um ehrlich zu sein, nein«, gab Kraeh zu.

      »Kann’s dir nicht übel nehmen«, meinte der Bettler, gab aber einen Laut von sich, der entfernt an ein Knurren erinnerte. »War damals dabei, als wir die Wutach gestürmt haben«, fuhr er fort. Die Vergegenwärtigung jener längst vergangenen Tage schien den Bettler seine Enttäuschung vergessen zu lassen. »Und auch in Triberkh, damals«, er gackerte, »auf