Krähentanz. Philipp Schmidt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Philipp Schmidt
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Год издания: 0
isbn: 9783957770462
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einflussreiche Leute betrafen, im Vorfeld. Dies gebot nicht allein die Etikette, sondern auch der gesunde Menschenverstand.

      »Unerfreulich sind vor allem deine Heimsuchungen vor dem Mittagessen. Aber schick ruhig einen Boten zu ihm, selbstredend nur, wenn du deine ansonsten nutzlose Existenz mit ein klein wenig Daseinsberechtigung anfüllen willst.«

      Dunjal verbeugte sich und verschwand, wie er gekommen war.

      In zwei Wochen war Gerichtstag, aber bisher waren keine komplizierten Fälle aufgetreten, die er zu bearbeiten hatte, und so wandte Sedain sich seiner Nebenbeschäftigung zu. Er zog eine Schublade auf und hielt mit einem Griff einen Stapel Blätter in der Hand, die er auf dem Tisch zu sortieren begann. Es waren Namenslisten der zur Verfügung stehenden Soldaten. Als er vor vielen Jahren an den Hof gekommen war, bekleidete ihn das Ansehen eines mächtigen Kriegers. Mit wenig mehr als seinem Ruf hatte er in den Kasernenspelunken herumgelungert und zufällig Freundschaft mit einem gewissen Fordwin geschlossen. Während Sedain sich vom Schwert lossagte und das Studium der Rechte aufnahm, das er mit der gleichen Gewissenhaftigkeit und Konsequenz verfolgte, mit der er früher seine Feinde zur Strecke gebracht hatte, und die Prüfungen schließlich mit höchsten Ehrbezeichnungen abschloss, war Fordwin die Offiziersleiter Stück um Stück nach oben geklettert. Seit drei Jahren war er nun als Heermeister von Dundolch, der einflussreichsten Stadt des Krukenreiches, angestellt. Es hatte sich eingebürgert, dass er Sedain um Rat bat, der seinen guten Draht zu den Soldaten an jedem Monatsende in Form von Jagdausflügen pflegte.

      Eine Waffenlieferung war nicht angekommen und nach Aussagen der Überlebenden waren sie von einem sihhilafreundlichen Firsenstamm überfallen worden. Der gerade erst wiederhergestellte Frieden war wacklig und ganz allein dadurch aufrechtzuerhalten, dass man keine Anwandlung von Schwäche zeigte. Die Vergeltungsmaßnahme war bereits beschlossen. Da der Firsenstamm innerhalb der offiziell anerkannten Grenzsteine der Sihhila heimisch war und Tributzahlungen an das konkurrierende Großreich entrichtete – somit, wollte man keinen Krieg riskieren, unantastbar war –, würde ein unbedeutendes Dorf, dessen Einwohner verdächtigt wurden, die Firsen mit Nahrungsmitteln zu unterstützen, den Hammer der Gerechtigkeit zu spüren bekommen. Sedain ging die Listen durch. Brudwig! Er war brutal und gewissenlos und damit wie geschaffen für das Unterfangen. Ihn und seine für ihre Rohheit bekannten Männer würde er dem alten Freund anempfehlen. Zufrieden verstaute er die Listen wieder an ihrem angestammten Platz.

      * * *

      Nicht willens, die Sitten des Südens gänzlich anzunehmen, bestand Sedain auf ein zwei Stunden früher angesetztes Mittagsmahl als hier üblich. Aufgrund seiner Nähe zum Kaiser genoss er freie Kost im angesehensten Gasthaus der Stadt. Wie immer nickte der vollbärtige und unansehnlich in die Breite gegangene Fordwin seinen Vorschlag ab, dankte und schob nach, er habe selbst schon an Brudwigs Einheit gedacht. Er war ebenfalls mit seinem Assistenten erschienen, der, unter ähnlich harter Knute stehend, stets erfreut war, sich mit Dunjal austauschen zu können. Sedain lauschte mit einem Ohr der Unterhaltung der beiden, während Fordwin sich ein Kalbsstück nach dem anderen zwischen die gelben Zähne schob.

      In Momenten der Selbstehrlichkeit, und einen solchen erlebte Sedain augenblicklich, wie er genüsslich an seinem Weinglas nippte, gestand er sich ein, Freude an dem armen, untergebenen Geschöpf zu haben. Elfen waren selten, noch seltener in den großen Städten. Aus ebendiesem Grunde, glaubte Sedain, sahen sie auf alle anderen mit Verachtung herab. Der einzige, mit dem er, von seinem Gehilfen abgesehen, sonst noch zu schaffen hatte, war einer von vier Richtern, vor denen er auftrat. Bei jeder Verhandlung, bei der sie sich gegenüberstanden, meinte er, von ihm herablassend behandelt zu werden, und das, dessen war er sich sicher, wegen der Mischrasse, der er selbst angehörte. Umso befriedigender war es, einen von ihnen herumscheuchen zu dürfen, wie es ihm gefiel. Fordwin war kein Stück besser zu seinem Untergebenen, doch er verhielt sich so, wie er, wenn sie unter vier Augen waren, oft betonte, aus Gründen der Erziehung. Seine verdeckte väterliche Liebe, wie er es nannte, fördere Ehrgeiz und Eigenständigkeit des ihm Anvertrauten. Sedain hingegen glaubte nicht an erzieherische Maßnahmen und hielt die Erklärungen des Freundes für eine Ausrede ob des Vergnügens, das dieser empfand, wenn er andere demütigte – gleich, welcher Rasse sie angehörten. Und was die Liebe generell betraf … Die einzige Person, mit der er diesen Begriff verband, war seine Tochter und auch ihr bezüglich musste er sich eingestehen, dass von Beginn an ihre schlitzförmigen Augen, die ihn noch immer gelegentlich an Lou erinnerten, einen entscheidenden Teil dazu beigetragen hatten, gerade sie aus den kalten Armen der Waisenhausvorsteherin zu retten.

      Er nahm einen tiefen Schluck des erlesenen Weins, brachte Dunjal mit einem Blick davon ab, ihm eine Frage zu stellen, und verfolgte weiter seine Gedanken.

      Die Sache mit Minka war schwierig, jene der Frau, mit der gemeinsam er sie aufzog, dagegen eindeutiger. Er liebte sie nicht, fühlte sich aber zu ihr hingezogen, zu ihrem Geist, vor allem jedoch zu ihrem schlanken, olivefarbenen Körper. Er mochte und respektierte ihre subtile Art, Dinge anzugehen, auch wenn er sie oft schalt, der Tochter gegenüber zu nachsichtig zu sein. Woher kamen plötzlich diese Überlegungen? Ohne sich etwas anmerken zu lassen, war er gemein zu Dunjal, tauschte ein wenig Hofgerede mit Fordwin aus, ignorierte wie gewöhnlich dessen lästiges Anhängsel und ging schließlich, immer einen Schritt Dunjal voraus, zurück zur Palastanlage.

      Am Abend, als er entspannt in den Laken ruhte und die langgliedrigen Finger seiner Liebeskünstlerin gedankenverloren seine Tätowierungen an der Brust nachfuhren, überwältigte ihn zum zweiten Mal an diesem ansonsten durchschnittlichen Tag das Gefühl, dass etwas im Wandel begriffen war. Veränderung stand ins Haus und wie alle Bürokraten hatte er gelernt, alles, was die bewährten Abläufe, Sitten und Gedanken bedrohte, nahezu als persönliche Gefahr zu betrachten. Trotz des körperlichen Wohlgefühls lag er in dieser Nacht lange wach, versuchte, das Rädchen ausfindig zu machen, das sich gedreht hatte und das gemütliche Dasein, welches er sich aufgebaut hatte, ins Wanken bringen wollte. Ohne Erfolg.

      * * *

      Der hölzerne Käfig, in dem Erkentrud, Arduhl, Kraeh und sechs weitere Männer eingesperrt waren, bot keinerlei Schutz vor dem nicht enden wollenden Regen. Fünf der Leidensgenossen bildeten, wie Kraeh aus einem Gespräch der Wachen erfahren hatten, eine Spielmannsgruppe. Zwei von ihnen beherrschten allerdings nicht etwa ein Instrument, sondern verstanden sich vielmehr darauf, bei einem Auftritt die Zuschauer um deren Geldbörsen zu erleichtern. Wie der Zufall es wollte, unterhielten sie eines Nachts, ohne es zu wissen, in ihrer doppelten Art einen Fürsten der Rheinlande, nachdem dieser, trunken und fremden Weibergeruch an sich, das eigene Bett wohlweislich meidend, an ihr Feuer geraten war. Am nächsten Morgen war die Spielmannsgruppe verschwunden und mit ihr nicht nur dessen Geldbörse, sondern darüber hinaus sämtliche Ringe, die dieser an den Fingern getragen hatte, sowie ein Amulett. Wäre jenes Amulett nicht gewesen, der Fürst hätte die Sache möglicherweise einfach auf sich beruhen lassen, dieses Kleinod jedoch war ein überaus wertvolles Familienerbstück. Der Fürst nun hatte gezwungenermaßen die Sache einer genaueren Untersuchung unterzogen und kam einer ganzen Serie von »schnellstens zu unterbindender dreistester Räuberei«, wie er selbst sich in seinem Brief an Eli, den Schutzherrn von Brisak ausdrückte, auf die Schliche.

      Denen, in bunte Flickenkleidung gehüllte Trickbetrüger und Musikanten, schien ihre missliche Lage, die mit äußerster Wahrscheinlichkeit in ihrer aller Hinrichtung enden würde, jedoch keineswegs aufs Gemüt zu schlagen. Ganz im Gegenteil: Sie machten sich, aneinandergerückt, über die lächerliche Ausdrucksweise der Strafschrift, die man ihnen bei ihrer Festnahme vorgelesen hatte, lustig und prahlten mit ihren Streifzügen. Lediglich einer von ihnen schwieg beharrlich. Gelegentlich schenkte er einem seiner Freunde ein Lächeln unter seinem scharlachroten Stirnband, das ihm gleichzeitig als Klappe für das linke Auge diente.

      Die dritte Gruppe im Käfig bestand nur aus einem Einzelnen, einem Brudermörder, wie es hieß, der sein Heil in der Flucht über den Rhein gesucht hatte, wobei man ihn aufgegriffen und, wie er aussah, erst einmal einer ordentlichen Tracht Prügel unterzogen hatte. Sein Gesicht war dermaßen zugeschwollen, dass man seine normalen Züge kaum erraten konnte.

      Kraehs Finger prüften eher beiläufig die Stärke der Stäbe. Sie waren ohnehin nicht das Problem. Die Querstreben waren durch Tau mit den horizontalen verbunden. Würde man das Tau an einigen