Zauberer und Höllentore: Acht Fantasy Krimis. Rolf Michael. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rolf Michael
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Год издания: 0
isbn: 9783956179044
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erneut. „Oder sie hat einen angeborenen sechsten Sinn für die Kräfte der Magie. Einen Sinn, der nur wenigen gegeben ist!“

      Die Alte trat auf Brenda zu und berührte sie zuerst am Arm, dann an der Stirn. Brenda zuckte regelrecht zurück.

      „So große Angst erfüllt dich?“, fragte sie. Dann musterte sie Brenda von oben bis unten und schien urplötzlich das Interesse an dem Mädchen zu verlieren. Von einem Augenblick zum nächsten würdigte die Alte Brenda keines Blickes mehr.

      Stattdessen wandte sie sich Robert zu.

      Auch ihn berührte sie kurz am Arm und dann an der Stirn.

      „Ja, vielleicht bist du besser geeignet, als dieses Mädchen… Viel besser!“

      Robert spürte für Augenblicke einen stechenden Schmerz in seinem Kopf. Aber schon nach kaum einer Sekunde war es vorbei. Es ging so schnell, dass er nicht einmal einen Schrei ausstoßen konnte.

      „Versprich mir, dass du mir einen Gefallen tust!“, forderte die Alte. „Dann werde ich euch helfen, zuerst das Dorf zu finden. Von dort aus seht ihr das Schloss als eine dauernde Drohung vor euch!“ Erneut drang ein Lachen aus ihrem beinahe zahnlosen Mund. Ein Lachen, das in einem heiseren Röcheln schließlich sein Ende fand.

      „Was ist das für ein Gefallen?“, fragte Robert.

      Brenda schien von dem Gedanken, dass Robert sich mit der Alten auf irgendeine Art von Handel einlassen wollte, überhaupt nicht begeistert. Instinktiv spürte sie, dass hier irgendeine Teufelei im Vorgang war. Sie konnte die Bedrohung beinahe körperlich spüren – und doch gab es nichts, was sie unternehmen konnte.

      Was sollen wir auch tun? , fragte sie sich voller Verzweiflung. Wenn wir einfach in den Wald laufen, dann holen uns diese grauenhaften Albino-Wölfe, die dieser Hexe willenlos ergeben sind!

      Die Alte stellte sich neben das Feuer.

      „Sieh her, junger Mann!“, rief sie und im nächsten Moment erwies sich, dass sie tatsächlich eine Hexe war.

      Ihre alte, gebeugte Gestalt wurde zu einem tierhaften Wesen, das Züge einer Echse besaß. Ihre Falten verwandelten sich in Schuppen und die Haltung straffte sich.

      Erstaunlicherweise wuchs sie zum Doppelten ihrer Größe heran, sodass sie es in diesem Augenblick mit den längsten NBA-Profis hätte aufnehmen können.

      Die weiten Kleider der Alten schienen jetzt plötzlich richtig ausgefüllt zu sein und hingen nicht mehr schlaff von dem faltigen, ausgemergelten Körper.

      Sie – oder das Wesen zu dem sie in den letzten Augenblicken geworden war – breitete die Arme aus. Dazu sprach sie Worte in einer Sprache, von der weder Robert noch Brenda auch nur je ein Wort gehört hatten.

      Innerhalb der nächsten Augenblicke bekamen ihr Körper und ihr Gesicht immer mehr Merkmale einer Schlange. Die Arme bildeten sich zurück. Der Körper streckte sich. Wie eine mit Lumpen behangene, riesige Königskobra stand sie vor dem Feuer. Das Schlangenmaul – so groß wie ein menschlicher Kopf

      – öffnete sich. Nur ein einziger Giftzahn war dort noch vorhanden. Die gespaltene Zunge zuckte hervor, ein zischender Laut ertönte.

      Brenda und Robert wichen unwillkürlich ein paar Schritte zurück.

      Die Zunge der Schlangenkreatur, zu der sich die Hexe gewandelt hatte, wurde zu einem orangeroten Flammenstrahl, der sich mit den Flammen des Lagerfeuers vereinigte.

      Eine Blase aus Feuer entstand.

      Diese Blase fülle sich mit weißem Rauch, der mit schwarzen Schlieren durchzogen war. Daraus bildeten sich innerhalb weniger Augenblicke immer deutlicher sichtbare Umrisse und Formen.

      Schließlich erschienen in rascher Folge Bilder. Bilder, die eine Gegend zeigten, die sich deutlich von diesem Land der Todesschatten unterschied. Die Vegetation war reich und überbordend. Eine strahlende Sonne schien auf grüne Wiesen herab, die immer wieder von Sträuchern und Feldern mit dicht gedrängt wachsenden bunten Blumen unterbrochen wurden. Das nahe Meer rauschte und das Sonnenlicht ließ die Wasseroberfläche glitzern. Auf einem ins Meer hineinragenden Felsmassiv war eine Burg zu sehen. Das graue Gemäuer erinnerte Robert auf den ersten Blick an das düstere Schloss der Nachtkreaturen.

      Die umgebende Landschaft unterschied sich jedoch völlig.

      „Was wird uns da gezeigt?“, fragte Brenda stirnrunzelnd.

      „Keine Ahnung. Vielleicht ein anderes Level dieses Spiels.

      Aber im Moment erscheint mir die Alte nicht in der Verfassung, unsere Fragen zu beantworten!“ Wie zur Bestätigung dieser Aussage, ging erneut ein Zischlaut von der Riesenschlange aus, deren Kopf innerhalb von wenigen Augenblicken zur doppelten Größe anwuchs. Das Maul öffnete sich. Eine Substanz troff aus ihrem einzigen Giftzahn. Es zischte, wenn diese Tropfen auf dem Boden aufkamen und sich mit dem Schnee verbanden. Wolken mit ätzendem Geruch stiegen dann auf.

      Dann drang erneut ein Feuerstoß aus dem Rachen der Schlange hervor. Die magische Bildfläche in den Flammen wuchs dadurch auf die anderthalbfache Größe an. Mit bestechender Detailgenauigkeit waren Einzelheiten zu erkennen – bis hin zu den Schmetterlingen, die über die grünen Wiesen flogen. Am Horizont spannte sich ein Regenbogen.

      Das Blickfeld war jetzt auf die Burg gerichtet.

      Gleichzeitig schrumpfte die Riesenschlange wieder zur gebeugten Gestalt einer alten Frau zusammen. Die Schuppen wurden wieder zu den Runzeln einer faltigen, vom Wetter und den Jahren gegerbten Haut und der Säure triefende Giftzahn wurde zu dem letzten Zahnstummel in der Mundhöhle einer Greisin heruntergestutzt.

      Es dauerte insgesamt fast eine Minute, bis die Rückverwandlung der Hexe abgeschlossen war. Sie näherte sich Robert.

      „Sieh dir alles gut an, mein Sohn!“

      „Tja, irgendwie war doch von einem Gefallen die Rede…“

      „Dazu komme ich gleich. Nur keine Ungeduld!“ Sie streckte ihren dürren Finger in Richtung der in den Flammen erscheinenden Bilder aus und fügte schließlich mit brüchiger Stimme hinzu: „Das ist die Burg des Namenlosen Magiers. Sie liegt in einer anderen Welt, die du früher oder später von selbst erreichen wirst, sofern zu es schaffst, zu überleben.“

      „Cool! Dann muss das der Endgegner in diesem Spiel sein!“, verstand Robert die Worte der Hexe auf seine Weise.

      Aber die alte Frau sah ihn nur mit einem irritierten Blick an. „Du sprichst wirres Zeug, mein Sohn. Aber in Anbetracht deiner Jugend sei dir das verziehen.“

      Wie in einer rasanten Kamera-Fahrt veränderte sich jetzt das Blickfeld. Die Fensteröffnung eines Turms auf der See-Seite der Burg wurde herangezoomt. Anschließend konnte man sehen, was sich hinter den dicken Mauern abspielte.

      Fackeln erhellten ein düsteres Verlies.

      Eine junge Frau mit dunklen, über die Schultern reichenden Haaren und fein geschnittenen Zügen war nun zu sehen. Man hatte sie an die Wand gekettet. Das tunikaartige Kleid war zerrissen und die dunkelbraunen Augen drückten Verzweiflung und Angst aus.

      „Wer ist das?“, fragte Robert.

      „Sie heißt Jarmila. Du brauchst nicht mehr über sie zu wissen, als dass sie vom Namenlosen Magier gefangen gehalten und für seine magischen Experimente missbraucht wird. Wenn ich euch den Weg in Richtung des Schlosses der Nachtkreaturen zeigen soll, dann musst du mir versprechen, Jarmila aus der Gewalt des Magiers zu befreien.“

      Robert zuckte die Achseln. „Wenn es weiter nichts! Ich meine, wenn wir es tatsächlich schaffen, zu überleben, bis wir auf diese Ebene gelangen, dann werde ich sehen, was ich für Jarmila tun kann.“

      Aber damit war die Hexe keineswegs zufrieden.

      „Nein, das ist mir zu schwammig. Ich will dein Versprechen, Robert!“

      „Gut, dann verspreche ich dir hiermit, Jarmila zu befreien, falls es möglich