Ansonsten stehen sich im Wesentlichen zwei Regelungskonzeptionen gegenüber. Die erste und vorherrschende Konzeption geht von einem Stufenverhältnis zwischen Risiko und Gefahr aus. Diese Konzeption wird im Wesentlichen in zwei Varianten vertreten. In der einen Variante wird je nach Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und Höhe des zu erwartenden Schadens zwischen Gefahr, Risiko und Restrisiko unterschieden (sog. dreistufiges Modell).709 Durchgesetzt habe sich zumindest in Deutschland jedoch ein anderer Ansatz, nachdem von Gefahren im Fall der Wahrscheinlichkeit und von Risiken im Fall der Möglichkeit einer Rechtsgutsbeeinträchtigung gesprochen werde (sog. zweistufiges Modell).710 Das Risiko wird in diesem Fall als umfassendere rechtliche Kategorie angesehen. Diese begreift Gefahren als schadensgeneigte Sachlagen ein, bei denen Abwehrmaßnahmen gerechtfertigt sind, aber auch unbedenklichere Sachlagen, die nur Vorbeuge- oder Vermeidungsmaßnahmen gestatten.
Eine andere Regelungskonzeption geht davon aus, dass sich Gefahren und Risiken ihrem Wesen nach unterscheiden (Risiko als sog. aliud).711 Diese Konzeption beruht auf der Annahme, dass Wahrscheinlichkeiten und Schadenshöhen wertungsabhängig und nicht mathematisch auf Basis empirischer Erfahrungen berechenbar seien. Denn anders als „bei landläufigen Gefahren“ fehlten bei „großen Zvilisationsrisiken“ z.B. aufgrund des Klimawandels, neuer Krankheiten, Terroranschlägen oder globaler Wirtschaftskrisen sichere Erfahrungswerte, oder die Ausgangsbedingungen seien zu komplex.712 Zwischen Risiken und Gefahren müsse daher anhand des Ungewissheitsgrads differenziert werden. Damit wird aus rechtlicher Sicht die ökonomische Unterscheidung zwischen nicht behebbaren Unsicherheiten (uncertainty) und mithilfe von Wahrscheinlichkeitsaussagen behebbaren Ungewissheiten (risk) wieder aufgegriffen.713 Zu weitgehend wird hierbei allerdings teilweise angenommen, der Risikobegriff sei „als prognostisches Gedankenkonstrukt von menschlicher Bewertung abhängig und daher nicht objektivierbar“.714 Wenn dies zuträfe, wäre die Finanzmathematik nur Illusion. Dessen ungeachtet wurde schon zuvor mit Blick auf die Relevanz des Ungewissheitsgrads darauf hingewiesen, dass es für die aufsichtsrechtliche Gefahrenabwehr nur darauf ankommt, ob Informationsdefizite überhaupt bestehen, aber nicht darauf, ob die daraus folgenden Risiken aus unbehebbaren oder behebbaren Informationsdefiziten resultieren. Eine Regelungskonzeption, die auf der Annahme des Risikos als wesensmäßg von der Gefahr unterscheidbarem Regelungsgegenstand aufbaut, bietet für das Finanzaufsichtsrecht folglich keinen Mehrwert.
Im Übrigen kann hier offenbleiben, ob eine Kategorisierung im Sinne einer Stufenbildung außerhalb des Finanzaufsichtsrechts stattfindet und ob sie in der Sache sinnvoll ist.715 Auf das Finanzaufsichtsrecht dürften die Annahmen über eine in der Gesetzgebung verankerte Stufenbildung jedenfalls nicht übertragbar sein oder zumindest ebenfalls keinen Erkenntnisgewinn bringen. Insbesondere ist zu beachten, dass sich aus dem EU-Recht keine Aussagen für das deutsche Konzept der Gefahrenvorsorge herleiten lassen dürften. Das EU-Recht hat auf das nationale Aufsichtsrecht zwar einen sehr starken und zuweilen begriffsprägenden Einfluss. Dabei trifft es aber stets nur Aussagen zu konkreten Regelungsgegenständen und macht den Mitgliedstaaten darüber hinaus keine rechtssystematischen Vorgaben. Wenn sich im nationalen Recht zwischen Gefahren als rechtlichem Tatbestandsmerkmal und Risiken als Sachverhalt unterscheiden lässt, ist das EU-Recht insofern also grundsätzlich auch dann neutral, wenn es selbst den Risikobegriff zur Bezeichnung eines bestimmten Regelungsgegenstands (z.B. Finanzmarktrisiken) verwendet. Davon abgesehen wird der Begriff des Risikos im Finanzaufsichtsrecht zu uneinheitlich verwendet, als dass eine Kategorisierung sinnvoll erscheint.716
3. Rechtsfolgeseite: Rechts- oder präventionsstaatliche Funktionslogik?
Ihre eigentliche Bedeutung gewinnt die Debatte um ein Risikosteuerungsrecht, wenn es um die Rechtsfolgen von Risiken geht. Denn die Vorverlagerung staatlichen Handelns im Rahmen der Gefahrenvorsorge bedeutet, dass die Möglichkeiten von Fehlentscheidungen zunehmen. Wenn diese Entscheidungen mit Rechtseingriffen verbunden sind, dann kann der Schaden für die Betroffenen größer sein als der Nutzen erhöhter Sicherheit für die übrige Bevölkerung. Im Kern geht es um die Grenzen, die dem Ordnungsrecht im modernen Rechtsstaat allgemein zu ziehen sind. Das Rechtsstaatsprinzip verlangt einerseits, dass verfassungsrechtlich anerkannte Schutzgüter in einem Mindestumfang geschützt werden (Untermaßverbot), aber fordert andererseits, dass Rechtseingriffe den gebotenen Umfang nicht übersteigen (Übermaßverbot).
Die Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips kollidieren bei Lichte betrachtet mit der Funktionslogik eines auf Effektivität ausgerichteten Risikosteuerungsrechts. Denn absolute Sicherheit ist nur dann denkbar, wenn es keine Risiken gibt. Der Präventionsgedanke führt bei konsequenter Anwendung somit dazu, dass an die Stelle einer durch Verhältnismäßigkeit begrenzten Rechtsdurchsetzung eine unbegrenzte Risikominimierung treten muss.717 Die rechtsstaatlichen Bewertungsparameter verlieren unter diesen Umständen ihre maßstabbildende Kraft.718 Statt dessen kann es dazu kommen, dass der staatliche Schutz der Rechtsgüter, zu deren Gunsten Vorsorgemaßnahmen ergriffen werden, die uneingeschränkte Oberhand gegenüber dem Schutz anderer Rechtsgüter gewinnt, in die zu diesem Zweck eingegriffen wird. Zugleich wird die Entscheidung immer stärker auf die Beurteilung verengt, welche der zuständige Amtswalter im konkreten Einzelfall zu treffen hat. Die „Nichtgefährlichkeit des Bürgers ist nicht mehr selbstverständliche Normalität.“ Im Gegenteil können Maßnahmen auch anlassunabhängig und mithin unabhängig davon getroffen werden, ob der Bürger zumindest in einer „Nähebeziehung“ zu einer von ihm zu trennenden Gefahrenursache steht.719 Entscheidend ist vielmehr, ob der im Einzelfall entscheidende Amtswalter aus seiner Warte heraus die Möglichkeit sieht, durch die ergriffenen Maßnahmen zur Neutralisierung etwaiger Risiken beizutragen.
Der Wunsch nach einer effektiven Gefahrenvorsorge hat auch in anderen Bereichen des Polizei- und Ordnungsrechts als dem Finanzaufsichtsrecht zu einer erheblichen Vorverlagerung der behördlichen Aufgaben und Eingriffsbefugnisse geführt. Dies lässt sich beispielhaft anhand der polizeilichen Datenerhebung aufzeigen. Zusätzlich zu den ohnehin bestehenden Befragungsrechten im Zusammenhang mit laufenden Ermittlungen sind den Behörden hier Befugnisse eingeräumt worden, die Identität von Personen festzustellen, deren Aufenthalt an bestimmten Orten die Annahme rechtfertigt, dass dort Straftaten vorbereitet werden oder dass es aus anderen Gründen zu einer konkreten Gefahr kommen kann.720 Weitergehend sind Maßnahmen wie die Rasterfahndung eingeführt worden, die eine automatisierte Verarbeitung der Daten einer unbestimmten Anzahl von Personen beispielsweise zur Ermittlung terroristischer „Schläfer“ gestattet.721 Noch einen Schritt weiter geht das Land Bayern, das Aufklärungsmaßnahmen und sogar eine elektronische Überwachung von Personen bei einer lediglich „drohenden“ Gefahr für bedeutende Rechtsgüter zulässt.722 Eine drohende Gefahr soll dann vorliegen, wenn sich der zum Schaden führende Verlauf noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorhersehen lässt, soweit bereits bestimmte Tatsachen auf eine Gefahr im Einzelfall hinweisen.723 Zusammengefasst findet also eine zunehmend verdachts- und ereignisunabhängige Informationssammlung statt, um bei Eintritt einer Gefahrenlage für die Gefahrenabwehr vorbereitet zu sein.724
Die hiermit einhergehende Verlagerung behördlicher Befugnisse ins Gefahrenvorfeld ist umstritten geblieben. Die neuen polizeilichen Befugnisse sind im Schrifttum teilweise mit dem staatlichen Gewaltmonopol und dem Anspruch der von Straftaten Betroffenen auf eine vorbeugende Bekämpfung gerechtfertigt worden.725 Kritiker wenden hiergegen ein, dass schwere Grundrechtseingriffe etwa zur Identitätsfeststellung oder Überwachung in einem nur vage umgrenzten Gefahrenvorfeld nicht zu rechtfertigen seien.726 Das bayerische Gesetz ist bisher singulär geblieben.727 Das Bundesverfassungsgericht hat aber angesichts der Streubreite von weit im Vorfeld greifenden Maßnahmen auch besondere Grenzen definiert, die den Spielraum für in die Rechte der Betroffenen eingreifende Maßnahmen begrenzen. Danach kann eine allgemeine Bedrohungslage („Dauergefahr“) keine Eingriffe rechtfertigen, die nach ihrem Gewicht eine konkrete Gefahr für hochrangige Rechtsgüter erfordern.728 Bei einem noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorhersehbaren Kausalverlauf müssen zudem bereits bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein „überragend wichtiges“ Rechtsgut hinweisen. Zwar wird