Verschiedene Arten des Marktmissbrauchs werden heutzutage vor allem mit Blick auf den so genannten Hochfrequenzhandel diskutiert. Der Hochfrequenzhandel ist ein automatisierter elektronischer Handel unter Nutzung von Algorithmen (algorithmischer Handel), der durch besonders kurze Haltefristen gekennzeichnet ist. Ziel ist es, die Zeit zwischen dem Absenden eines (Auftrags-) Signals und der Bearbeitung beim Empfänger (Latenzzeit) möglichst zu minimieren.504 Typisch ist eine hohe Anzahl untertägiger Aufträge und Stornierungen.505 Der Hochfrequenzhandel hat am Börsenhandel heute einen hohen Anteil.506 Befürworter heben hervor, dass er die Liquidität an den Märkten erhöhe, sodass eine exaktere Preisfeststellung möglich werde, und dass er damit insgesamt zu einer Steigerung der Markteffizienz beitrage.507 Kritiker sehen hingegen die Gefahr, dass das mit dem Handel verbundene hohe Orderaufkommen die Handelssysteme überlastet. Außerdem warnen sie, dass der Hochfrequenzhandel zu einem Kursverfall beitragen könne, sofern es zu plötzlichen, unerwarteten Preisbewegungen kommt und andere Marktteilnehmer überreagieren.508 Auf derartige Probleme soll später näher eingegangen werden.509 Im vorliegenden Zusammenhang ist demgegenüber der Verdacht relevant, dass der Hochfrequenzhandel zu missbräuchlichen Verhaltensweisen ausgenutzt werden kann.510 Dabei ist klarzustellen, dass ein hohes Transaktionsvolumen, wie es für den Hochfrequenzhandel typisch ist, für sich genommen noch keine Marktmanipulation darstellt.511
In den folgenden Abschnitten werden die besonders häufig diskutierten Marktmissbrauchsstrategien überblicksmäßig dargestellt. Die betreffenden Strategien werden entweder einseitig (Abschn. 2) verfolgt oder aufgrund kollusiver Abstimmung (Abschn. 3).512
2. Einseitige Strategien
Im Vordergrund der Debatte um marktmissbräuchliches Verhalten stehen in den meisten Fällen einseitig verfolgte Strategien. Im Einzelnen lässt sich bei Marktmissbräuchen danach unterscheiden, ob der betreffende Marktteilnehmer manipulativ in den Preisbildungsprozess eingreift (Abschn. a)) oder ob er Insiderinformationen ausnutzt (Abschn. b)).
a) Marktmanipulation
Marktpraktiken, die als manipulativ angesehen werden, gibt es in vielerlei Ausgestaltungen. Diese können sich abhängig von der Marktentwicklung auch in Zukunft noch wandeln. Im Schrifttum hat sich etabliert, die betreffenden Praktiken in drei Kategorien einzuordnen:
• informationsbezogene“ bzw. „-gestützte“ (information-based) Manipulationen, bei denen der Kurs bzw. Marktpreis eines Finanzinstruments durch Verbreiten unrichtiger oder irreführender Nachrichten (auch: Prognosen, Gerüchte) beeinflusst wird,
• „handelsgestützte“ (trade-based) Manipulationen, bei denen fiktive oder auch effektive Transaktionen zur Beeinflussung von Kursen bzw. Marktpreisen eingesetzt werden, und
• „handlungsbezogene“ (action-based) Manipulationen, bei denen auf Umstände, die für den inneren Wert eines Finanzinstruments von Bedeutung sind, eingewirkt wird.
Im Folgenden werden zur Illustration einige häufig angeführte Arten von informations- und handelsgestützten Manipulationen beschrieben. Ihre Bezeichnung ist einem bildreichen Markt-Rotwelsch entlehnt. Handlungsbezogene Manipulationen treten vergleichsweise selten auf (z.B. Inbrandsetzen der eigenen Fabrik) und sollen hier daher nicht näher behandelt werden.
aa) Manipulative Informationsstrategien
Manipulative Informationsstrategien werden insbesondere im Falle von Verhaltensweisen angewendet, bei denen irreführende Informationen in Ad-hoc-Mitteilungen veröffentlicht oder in Medien gestreut werden.513 Die Strategien werden vor allem im börslichen Aktienhandel verfolgt, da der Handel mit Anleihen und Derivaten vergleichsweise wenig transparent ist. Die folgenden Bezeichnungen haben sich für spezielle Vorgehensweisen etabliert:
• Painting the tape bzw. screen: In diesem Fall werden Transaktionen durchgeführt, um mittels deren Mitteilung auf Anzeigetafeln oder über Kursmitteilungsdienste den unzutreffenden Eindruck wirtschaftlich begründeter Umsätze zu erwecken und so das Marktverhalten anderer Marktteilnehmer zu beeinflussen.514 Scalping: Hiermit wird ein dreischrittiges Vorgehen eines Marktteilnehmers bezeichnet, dessen Empfehlungen Referenzcharakter haben (z.B. Börsenguru, Journalist). Der Marktteilnehmer (a) geht eine Position ein, (b) gibt gegenüber anderen Marktteilnehmern eine Empfehlung ab, ohne seine Position offenzulegen und (c) realisiert anschließend die Position.515
bb) Manipulative Handelsstrategien516
Zu den handelsgestützten Manipulationen sind unterschiedliche Arten manipulativer Aufträge (Orders) zu zählen. Die Strategien werden typischerweise mit börsengehandelten Aktien, in komplexeren Fällen auch unter Einsatz von Optionen oder Swaps verfolgt. Dabei geht es in vielen Fällen (wenngleich nicht immer) darum, irreführende Signale an den Markt zu senden. Ziel ist aber immer, in einen Kursverlauf bzw. die Preisbildung einzugreifen. Die Abgrenzung manipulativen Verhaltens zur zulässigen Kurspflege, welche ebenfalls auf eine Preiseinwirkung abzielt, kann schwierig sein.517 Im Folgenden sollen in einer groben Ordnung besonders häufig diskutierte Strategien zur handelsgestützten Manipulation vorgestellt werden.
aaa) Fiktive Nachfrage
Die meisten der handelsgestützten Manipulationen beruhen darauf, dass – insbesondere durch fiktive Geschäfte – eine tatsächlich nicht vorhandene Nachfrage nach bestimmten Finanzinstrumenten vorgetäuscht wird. Dazu dienen unter anderem die folgenden Strategien:
• Pre-arranged trades: In diesem Fall werden Geschäfte zwischen Verkäufern und Käufern abgeschlossen, die wirtschaftlich identisch sind (In-Sich-Geschäft/wash sale) oder – worauf weiter unten eingegangen wird518 – die sich abgesprochen haben. Die Geschäftsabschlüsse können dazu dienen, erhöhte Handelsaktivitäten vorzutäuschen.519 Advancing the bid: Bei dieser Strategie erhöhen Marktteilnehmer ihr Gebot für ein Finanzinstrument, um dadurch seinen Preis in die Höhe zu treiben.520
• Marking (auch: banging) the close: Hier werden Geschäfte erst bei Börsen- oder Marktschluss getätigt, um über den Schlusskurs eine erhöhte Nachfrage zu suggerieren und damit Marktteilnehmer irrezuführen, die ihre Aufträge gerade auf den Schlusskurs stützen.521 Dies kann dann für Geschäfte zum Nachteil der irregeführten Marktteilnehmer genutzt werden.
bbb) Marktüberflutung mit fiktiven Aufträgen (spam & cancel)
Die als spam & cancel bezeichneten Strategien bilden im Grunde eine große Teilgruppe fiktiver Geschäftstätigkeit.522 Dabei werden massenhaft Aufträge erteilt, von denen die weitaus meisten umgehend wieder storniert werden. Ziel ist solcher Strategien eine Einwirkung auf den Preis, die für die Verfolgung als Marktmissbrauch allerdings nicht zwingend nachgewiesen werden muss.
Spam & cancel-Strategien können zwar insbesondere im Hochfrequenzhandel eingesetzt werden. Allerdings sind hochfrequente Transaktionen typischerweise nicht darauf ausgelegt, von Kursänderungen zu profitieren, sondern vielmehr darauf, marginale Arbitragegewinne zu realisieren.523 Die hier relevanten Strategien stellen somit atypische Verhaltensweisen dar. In diesem Rahmen können sich Händler insbesondere zunutze machen, dass die Börsenbetreiber dazu verpflichtet sind, ein Orderbuch zu führen, in dem der Preis des am höchsten limitierten Kaufauftrags und des am niedrigsten limitierten Verkaufsauftrags und das zu diesen Preisen handelbare Volumen aufgeführt werden.524 Das vollständige Orderbuch ist für die Marktteilnehmer nur eingeschränkt einsehbar.525 Somit können manipulativ vorgehende Händler Strategien verfolgen, bei denen gerade die beschränkte Transparenz des Orderbuchs gezielt ausgenutzt wird, um andere Marktteilnehmer mittels massenhafter Orders und Stornierungen in die Irre zu leiten.
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