Ein Sturm (run) auf einen Geldmarktfonds kann immer dann einsetzen, wenn die Investoren annehmen, dass die Vermögenswerte, in welche das von ihnen bereitgestellte Kapital investiert worden ist, im Wert verfallen. Die Gründe hierfür können unterschiedlicher Natur sein, sei es, dass die Investoren beim betreffenden Fonds erheblicher Fehlinvestitionen gewahr werden, sei es, dass es zu allgemeinen Marktstörungen kommt, die zum Rückzug anderer Marktteilnehmer und damit zum Austrocknen der Geldmärkte führen (feedback loop).448 Derartige Ereignisse hatten in der Finanzkrise zur Folge, dass eine Reihe von Geldmarktfonds als Abnehmer von ABCP in Schieflage geriet.449
Das Ausbluten eines Geldmarktfonds ist besonders problematisch, wenn eine Bank oder ein anderer Finanzintermediär an diesem Organismus als Hauptsponsor bzw. -investor beteiligt ist. In einem solchen Fall kann der hinter dem Geldmarktfonds stehende Finanzintermediär durch eine Internalisierung der Verluste des Fonds seinerseits in Liquiditätsschwierigkeiten geraten. Dadurch kann sich das Risiko von sich im Markt fortsetzenden Ansteckungseffekten erhöhen.450
443 Speziell zu Geldmarkt-ETFs siehe z.B. Dieckmann (DB Research), Exchange Traded Funds. Hohes Wachstumspotenzial dank innovativer ETF-Strukturen, 28. April 2008, S. 12, 16. 444 Monopolkommission, XX. Hauptgutachten (Fn. 64), Tz. 1731. 445 Ein ähnliches Risiko ist allerdings auch schon bei ETF wegen ihres schnellen Wachstums gesehen worden; siehe FSB, Potential Financial Stability Issues Arising from Recent Trends in Exchange-Traded Funds (ETFs), 12. April 2011, insb. S. 3, 5. 446 Monopolkommission, XX. Hauptgutachten (Fn. 64), Tz. 1732. 447 Monopolkommission, XX. Hauptgutachten (Fn. 64), Tz. 1732; Kremer (BaFin), Regulierung von Geldmarktfonds, BaFin Journal 1/13, S. 14f. 448 Monopolkommission, XX. Hauptgutachten (Fn. 64), Tz. 1732. 449 Monopolkommission, XX. Hauptgutachten (Fn. 64), Tz. 1732. 450 Monopolkommission, XX. Hauptgutachten (Fn. 64), Tz. 1733.
O. Spezielle Risikosituationen beim Einsatz von Finanzinstrumenten
I. Einführung
Abgesehen von der Struktur eines Finanzinstruments können auch die Art und Umstände seines Einsatzes mit Risiken für Marktteilnehmer, die an der Transaktion unbeteiligt sind, einhergehen. Das ist insbesondere bei bestimmten Transaktionen mit Hebelwirkung der Fall, die aufgrund ihrer kurzen Laufzeit normalerweise am Geldmarkt stattfinden. Ähnliche Risiken können sich aber auch aus bestimmten anderen Transaktionsstrukturen ergeben.
Zu den Geldmarktgeschäften zählen namentlich Tages- und Termingeldgeschäfte, Wertpapierleih- und Rückkaufvereinbarungen sowie andere (kurzfristige) Geschäfte mit Wertpapieren, Derivaten und Zentralbankfazilitäten, wenn diese Transaktionen eine Laufzeit von maximal 397 Tagen haben oder eine Verzinsung, die nach den Ausgabebedingungen während ihrer gesamten Laufzeit regelmäßig, mindestens aber einmal in 397 Tagen, marktgerecht angepasst wird.451 Die sich bei vielen dieser Transaktionen ergebende Hebelwirkung kann sich, wenn ein Transaktionspartner unerwartet ausfällt, zum Nachteil von Kapitalgebern auswirken. Diesem Problem soll nachfolgend für Leerverkäufe und zeitweilige Wertpapierüberlassungen nachgegangen werden (siehe unten Abschn. II).
Eine Hebelwirkung kann mittelbar auch dadurch erreicht werden, dass eine Transaktion mit geringeren Sicherheiten unterlegt wird, als nach der Marktsituation eigentlich zu erwarten wäre. Denn auch in diesem Fall besteht eine Möglichkeit, Gewinne zu erzielen, ohne im entsprechenden Umfang eigenes Kapital einzusetzen. Ein solcher Effekt kann namentlich dadurch erzielt werden, dass Sicherheiten, mit denen die Transaktion z.B. aufgrund regulatorischer Vorgaben zu unterlegen ist, ausgetauscht werden (siehe unten Abschn. III).
Schließlich wurde bereits darauf hingewiesen, dass ein Transaktionspartner auch bewusst und marktmissbräuchlich Informationsvorteile zum Nachteil des anderen ausnutzen kann oder dass beide kollusiv zusammenwirken können, um wirtschaftliche Vorteile zu erlangen.452 In diesen Fällen können Risiken ebenfalls auf Dritte übergewälzt werden (dazu nachfolgend Abschn. IV).
II. Zeitweilige Überlassung von Wertpapieren
1. Merkmale und Arten
a) Allgemeines
Die Finanzmarktteilnehmer sind unter Umständen nicht nur an der endgültigen Veräußerung bzw. dem endgültigen Erwerb von Finanzinstrumenten interessiert, sondern auch an einer nur zeitweiligen Überlassung. Am häufigsten besteht ein solches Interesse bei Aktien, die am geregelten Markt (EU) bzw. einer Börse (U.S.) gehandelt werden können. Insofern können, je nachdem, welchem Einsatzzweck die Transaktion dient und welche Sicherheiten gestellt werden, Wertpapierleihe (securities lending) und Rückkaufvereinbarung (repurchase agreement – Repo) unterschieden werden.453 Im deutschen Recht spricht man auch von Wertpapierdarlehen bzw. (Wertpapier-)Pensionsgeschäften.454 Die Terminologie ist aber nicht einheitlich. In den folgenden beiden Abschnitten sollen einige Spezifika von Wertpapierleih- und Rückkaufvereinbarungen angesprochen werden.
b) Wertpapierleihen
Wertpapierleihen können unterschiedlich ausgestaltet werden, doch ist eine darlehensartige Konstruktion üblich. Bei Transaktionen nach deutschem Recht handelt es sich wegen der Möglichkeit zur Rückgabe gleichwertiger Papiere um ein Sachdarlehen (§ 607 BGB), wobei der Empfänger Eigentümer der erhaltenen Papiere wird, soweit keine abweichenden Vereinbarungen getroffen wurden.455
Infolge der Finanzkrise 2008–2012 ist es mehr als zuvor üblich geworden, die Stellung von Sicherheiten zu vereinbaren, um vereinbarte Lieferpflichten abzusichern.456 Hierzu wird in der EU üblicherweise das Vollrecht übertragen (true sale), während Sicherheiten nach dem für U.S.-Transaktionen in der Regel gewählten New Yorker Recht verpfändet werden (pledge). Als Sicherheiten können z.B. hochliquide Wertpapiere gestellt werden. Die einschlägige internationale Vertragsdokumentation sieht für diesen Fall eine Vereinbarung vor, wonach die Sicherheiten laufend (z.B. täglich) angepasst werden, um Kursveränderungen bei den als Sicherheiten gestellten Wertpapieren abzubilden (marking to market).457 Diese laufende Anpassung wird international auch als collateral margining oder margin maintenance bezeichnet.458
c) Rückkaufvereinbarungen
Im Fall einer Rückkaufvereinbarung werden ein Verkaufs- und ein Kaufvertrag über Wertpapiere kombiniert, entweder im Rahmen eines einheitlichen Vertrags oder im Rahmen von rechtlich unabhängigen Verträgen.459 Im erstgenannten Fall ist das Geschäft als Kassaverkauf (Spot-Geschäft) ausgestaltet, kombiniert mit einem gegenläufigen Termin-Kauf (Forward-Geschäft).460 Die Vergütung erfolgt dadurch, dass der Rückkaufpreis zumeist höher ist als der Kaufpreis (sog. repo rate).461 Im zweiten Fall handelt es sich um zwei gegenläufige Kaufverträge (Sell-/Buy-back-Transaktion).462
Eine Besonderheit im U.S.-Markt ist, dass dort dreiseitige Repogeschäfte, bei denen eine Clearing-Bank die Abwicklung zwischen Verkauf und Rückkauf übernimmt,