Indessen stellen Risikoverkettungen bei allen (synthetischen) ETP – also nicht nur bei ETF – ein möglicherweise größeres Problem dar. Denn ETP sind Hebelprodukte, soweit sie eine derivative Komponente enthalten. Der Investor erhält keine Gewinne und keine Verzinsung aufgrund von Inhaberrechten am Referenzportfolio, sondern hat lediglich in Form von Kapitalströmen an der Entwicklung der Referenzwerte teil. Diese Teilhabe kann, wie gesagt, durch mehrfache Hebelung (z.B. bei sog. leveraged ETF) auch verstärkt werden. ETP erlauben mit der derivativen Komponente aber nicht nur eine Teilhabe an der Entwicklung der Referenzwerte. Sie bilden vielmehr die Bewegungen der Marktpreises ab und können somit auch Verluste über das Maß hinaus vergrößern, das zu erwarten wären, wenn die Investoren ihre Gelder ausschließlich in die dem Index zugrunde liegenden Vermögenswerte angelegt hätten. Damit einhergehend können sie zu Rückkopplungsschleifen (feedback loops) in dem Sinne beitragen, dass die Marktteilnehmer etwaige Rückgaben von ETP zum Anlass nehmen, auch die Referenzwerte neu zu bewerten. Dies könnte dann einen Kursverfall bei den Referenzwerten beschleunigen.
2. Anreize zu gleichförmigem Verhalten
In der Diskussion um ETP stehen im Übrigen Liquiditätsrisiken aufseiten von ETP-Emittenten im Vordergrund.441 Derartige Risiken können sich ergeben, wenn Anleger die Instrumente in großer Zahl zurückgeben. Ein Grund für eine solche Rückgabe kann aus der soeben angesprochenen Eigenschaft von ETP folgen, als passive Produkte auch Kursverluste nachzuvollziehen. Manche ETP sind zudem so strukturiert, dass Anteilsrückgaben die Liquidität des Emittenten besonders schnell aufzehren können. So wird z.B. bei manchen ungedeckten ETN institutionellen Investoren ein tägliches Rückgaberecht zum Nettoinventarwert eingeräumt, um ihr Ausfallrisiko zu vermindern. Ein Kursverfall bei den Referenzwerten kann dazu führen, dass Investoren die Instrumente in großer Zahl gleichzeitig zurückgeben. Dies kann – ähnlich wie bei Geldmarktfonds442 – zur Folge haben, dass der Emittent der betreffenden ETP in kürzester Zeit „ausblutet“.
429 Nicht synthetische ETFs sind hingegen passive Investmentfonds, also Eigenkapitalinstrumente. 430 Holter, ETFs, ETNs and ETVs explained, Stand: 28. Februar 2010; abrufbar: http://www.futuresmag.com/2010/02/28/etfs-etns-and-etvs-explained. 431 So im Fall von Exchange-Traded Commodities (ETC), einer Untergruppe der ETN. Dabei handelt es sich um börsengehandelte Wertpapiere, die Anlegern eine Investition in die Anlageklasse Rohstoffe bzw. Waren (engl. commodities) erlauben. 432 IOSCO, Principles for the Regulation of Exchange Traded Funds, Final Report, FR06/13, Juni 2013, S. 36; o.A., Too much of a good thing, The Economist vom 23. Juni 2011; Holter (Fn. 430). Anwendbar ist danach der U.S. Securities Act of 1933. 433 Ramaswamy, Market structures and systemic risks of exchange-traded funds, BIS Working Papers No. 343, April 2011, S. 2ff.; Foucher/Gray, Exchange-Traded Funds: Evolution of Benefits, Vulnerabilities and Risks, Bank of Canada, Financial System Review, Dezember 2014, 37 (40f.). 434 Ramaswamy, Market structures and systemic risks of exchange-traded funds, BIS Working Papers No. 343, April 2011, S. 3f.; Foucher/Gray, Exchange-Traded Funds: Evolution of Benefits, Vulnerabilities and Risks, Bank of Canada, Financial System Review, Dezember 2014, 37 (40). 435 In den USA wurden ETF ursprünglich gerade deshalb entwickelt, weil der Verkauf von Wertpapieren durch den Verwalter eines herkömmlichen Investmentfonds zur Realisierung von Gewinnen und damit zu einem Steuerereignis führt; vgl. SEC, Investor Bulletin: Exchange-Traded Funds (ETFs), August 2012, S. 2; abrufbar: https://www.sec.gov/investor/alerts/etfs.pdf; kritisch Coon, The Great ETF Tax Swindle: The Taxation of In-kind Redemptions, 122 Penn State L. Rev. 1, 6, 14f. (2017). 436 Innerhalb der ETF-Märkte waren Standard-ETF und synthetische ETF zumindest in der Anfangszeit etwa gleich bedeutsam, innerhalb des gesamten Fondsvolumens spielen synthetische ETF dagegen nur eine marginale Rolle; siehe Bundesverband Investment und Asset Management e.V., Eingabe zur Konsultation des Finanzstabilitätsrats zur FSB Note on Potential Stability Issues Arising from Recent Trends in Exchange-Traded Funds (ETFs), 16. Mai 2011, S. 3: „In Europe synthetic ETFs represent 45 % of the ETF market what in absolute numbers amounts to nearly USD 138 billion of assets under management. Compared to the global fund volume, synthetic ETFs constitute a tiny fraction of 0.6 %.“ 437 Bei Bedarf kann auch ein anderes Kreditderivat genutzt werden. 438 Ramaswamy, Market structures and systemic risks of exchange-traded funds, BIS Working Papers No. 343, April 2011, S. 5; Foucher/Gray, Exchange-Traded Funds: Evolution of Benefits, Vulnerabilities and Risks, Bank of Canada, Financial System Review, Dezember 2014, 37 (41). 439 SEC Rule 35d-1 (17 CFR 270.35d-1). Dies gilt grundsätzlich für alle Investmentfonds, nicht nur für ETF. 440 Siehe schon oben Abschn. C.II (S. 34; zu Eigenkapitalinstrumenten). 441 FSB, Potential Financial Stability Issues Arising from Recent Trends in Exchange-Traded Funds (ETFs), 12. April 2011, S. 4–5; ähnlich IOSCO, Principles for the Regulation of Exchange Traded Funds, Final Report, FR06/13, Juni 2013, S. 13, 16, 20, 37ff.; Ramaswamy, Market structures and systemic risks of exchange-traded funds, BIS Working Papers No. 343, April 2011, S. 10ff.; Deutsche Bundesbank, Finanzstabilitätsbericht 2013, Globale Liquidität: Anfälligkeiten aus erhöhter Risikoübernahme, S. 42. 442 Dazu sogleich Abschn. N (S. 131).
N. Geldmarktfondsprodukte
I. Merkmale und Arten
Geldmarktfonds sind – nicht notwendig indexbasierte – Investmentfonds, die das von ihnen eingesammelte Kapital am Geldmarkt anlegen.443 Anders als andere Investmentfonds haben sie keine Restlaufzeit, sodass die Investoren ihre angelegten Gelder kurzfristig zurückziehen können. Eine insbesondere bei U.S.-Fonds vorkommende Variante sind Fonds mit konstantem Nettoinventarwert (Constant NAV – CNAV), die einen vorab bestimmten Rückzahlungspreis garantieren.444
II. Risiken beim Einsatz
Geldmarktfondsprodukte gehen mit Risiken einher, die sich von denen der Anteile anderer Investmentfonds unterscheiden und teilweise den Risiken, die bei ETP auftreten können, entsprechen. So stellt es einen wichtigen Unterschied im Vergleich mit anderen Investmentfonds dar, dass Geldmarktfonds auf den hochgradig liquiden Geldmärkten gehandelt werden und es den dortigen Investoren ermöglichen, jederzeit ihre Fondsanteile zurückzugeben.
Um zu verhindern, dass sie bei Panikverkäufen – entsprechend dem bei ETP angesprochenen Risiko – „ausbluten“, müssen Geldmarktfonds laufend darauf achten, dass der Nettoinventarwert (NIV; Net Asset Value – NAV) pro ausgegebener Anteile nicht unter einen bestimmten Wert fällt(z.B. USD 1; deshalb auch: „breaking the buck“).445 Dies gilt unabhängig von der Möglichkeit, den Investoren einen vorab bestimmten Rückzahlungspreis zu garantieren. Sofern der Fonds keine liquiden Mittel bereithält, um alle Investoren zugleich auszuzahlen, haben in einer Fondskrise nämlich die sich zuerst zurückziehenden Investoren wichtige Initiatorvorteile (first mover advantages). Das Fondsvermögen