3. Kollusive Strategien
Wenn mehrere Händler bei Marktmissbräuchen zusammenwirken, tritt neben die Ausnutzung von Informationsvorteilen eine Wettbewerbsbeschränkung. Denn die kollusiv handelnden Marktteilnehmer verschaffen sich durch Verhaltensabstimmung einen wechselseitig nicht mehr infrage gestellten Verhaltensspielraum.551 Kollusives Handeln kann darin bestehen, dass Händler bei manipulativen Strategien zusammenwirken (Abschn. a)) oder dass sie sich wechselseitig Insiderinformationen mitteilen und diese im Handel nutzen (Abschn. b)).
a) Gemeinsames Vorgehen bei Marktmanipulationen
Als kollusive Marktmanipulationen werden bisher vor allem Strategien von Händlern diskutiert, die darauf abzielen, eine fiktive Nachfrage zu simulieren und daraufhin die Reaktionen anderer Marktteilnehmer auszubeuten. Daneben kann ein koordiniertes Vorgehen auch dadurch zustande kommen, dass Händler bei der Umsetzung ihrer Strategie mit Banken zusammenwirken. Während umstritten geblieben ist, ob eine solche Abstimmung beim schon angesprochenen front running praktisch genutzt wird, hat es immerhin bereits Fälle gegeben, in denen Vorwürfe zu einer Abstimmung bei Übernahmeversuchen untersucht worden sind.552
Im Einzelnen werden die folgenden Strategien manipulativen kollusiven Verhaltens diskutiert:
• Pre-arranged trades: Abgesehen von Insichgeschäften können Verkäufer auch aufgrund einer Absprache gegenläufige und einander entsprechende Aufträge mit im Wesentlichen gleichen Volumina und Preisen stellen. Dies kann sowohl bilateral (matched orders) als auch in einem Ring von Händlern geschehen (pool bzw. circular trading). Die Geschäfte dienen dazu, den falschen Eindruck eines regen Handels zu erwecken, um so Kurse zu beeinflussen.553
• Pump & dump: Diese Bezeichnung betrifft Praktiken, bei denen Falschinformationen gestreut werden, um den Kurs eines Finanzinstruments zum eigenen Nutzen zu bewegen oder zu stabilisieren („pump“). Dies kann zu Handelsgeschäften – etwa Verkäufen („dump“) – auf Basis des beeinflussten Kurses genutzt werden, welcher sich daraufhin normalisiert.554
• Koordiniertes „Anschleichen“ zur Vorbereitung einer Übernahme: Sowohl in Deutschland als auch in den USA ist der Vorwurf untersucht worden, strategische Investoren hätten mit Unterstützung ihrer Banken eine verdeckte Beteiligung aufgebaut, um Meldepflichten zu umgehen und eine Übernahme abzusichern. Dazu erwarben die Investoren eine Long-Position im Rahmen eines Aktienswap- (TRS) oder Optionsgeschäfts, das cash-settled war und mit dem Börsenkurs von Aktien des Zielunternehmens als Referenzwert abgeschlossen wurde. Die Banken hielten eine Short-Position, die über Aktienkäufe abgesichert war.555 Die Positionen konnten ausgenutzt werden, um künstlich einen Verkaufsdruck im Markt zu erzeugen oder sicherzustellen, dass unbeteiligte Aktieninhaber die Übernahme nicht behinderten.556
Im zuletzt angeführten Beispiel ist zu berücksichtigen, dass die Umgehung von Meldepflichten auch insiderrechtlich bedeutsam sein kann. Hierauf ist bei der Darstellung der aktuellen Insidervorschriften weiter unten zurückzukommen.557
b) Gemeinsame Nutzung von Insiderinformationen
Die gemeinsame Ausnutzung von Insiderinformationen ist in der EU und den USA in unterschiedlichem Umfang untersagt. Darauf ist im Einzelnen bei der Diskussion der einschlägigen Vorschriften einzugehen. Im vorliegenden Zusammenhang genügt die Feststellung, dass die europäischen Marktmissbrauchsregeln die Nutzung von Insiderinformationen in Handelsgeschäften unabhängig davon verbieten, ob ein Insider alleine handelt oder ob er die Informationen mit anderen teilt und diese sie gemeinsam nutzen.558 Im U.S.-Recht gilt im Wesentlichen dasselbe, auch wenn nach Fallgruppen unterschieden wird, die das EU-Recht nicht vergleichbar voneinander trennt.559
Zwar liegt es nahe, dass die gemeinsame Ausnutzung von Insiderinformationen zugleich als wettbewerbsbeschränkender Informationsaustausch nach den Kartellvorschriften verboten ist (EU: Art. 101 Abs. 1, 2 AEUV, § 1 GWB; U.S.: § 1 des Sherman Act = 15 U.S.C. § 1). Denn bei bislang nicht offengelegten und in erheblichem Umfang kursrelevanten Informationen liegt nahe, dass es sich zugleich um „strategische“ Informationen im Sinne der Kartellregeln handelt.560 Trotzdem ist stets eine Einzelfallprüfung erforderlich, etwa mit Blick auf die Frage, ob eine etwaige Wettbewerbsbeschränkung als solche hinreichend spürbar ist.561
Ein Beispiel für eine marktmissbräuchliche kollusive Ausnutzung von Insiderinformationen bietet das Buch Flash Boys von Lewis, der darin den Vorwurf erhoben hat, Banken würden über ihre dark pools die Front running-Strategie von Hochfrequenzhändlern unterstützen.562
451 Vgl. Art. 2 Nr. 13 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 VO 2017/1131 über Geldmarktfonds, ABl. L 169 vom 30. Juni 2017, S. 8; § 194 KAGB, Art. 2 Abs. 1 lit. o, 50 und Erwägungsgrund 36 der RL 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW), ABl. L 302 vom 17. November 2009, S. 32. 452 Siehe oben Kap. 2.C.II.1 (S. 22; zu Kartellen). 453 Siehe die Quellen in Fn. 489; außerdem Baklanova/Copeland/McCaughrin, Reference Guide to U.S. Repo and Securities Lending Markets, Federal Reserve Bank of New York Staff Report Nr. 740, September 2015 (überarb. Dezember 2015), S. 1, und unten Kap. 6.C.II.4.b)aa) (S. 836). Aus Sicht der Gegenpartei spricht man auch von einer „umgekehrten Rückkaufvereinbarung“ (reverse repo). Noch stärker differenzierend: Teuber in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 154), § 105 Rz. 1ff. 454 Zu Wertpapierdarlehen siehe §§ 201 und 202 KAGB; zu Pensionsgeschäften § 340b HGB; ebenso § 203 KAGB. Zum deutschen Sprachgebrauch auch Teuber in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 154), § 105, Rz. 1ff., und schon oben Kap. 1 (S. 5). 455 Vgl. Hartenbach, MdB, und andere Abgeordnete, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, BT-Drs. 14/6040, S. 258; Storck in: Zerey (Fn. 195), § 14 Rz. 4, 6. In diesem Fall wird typischerweise vereinbart, dass der Entleiher dem Verleiher die diesem entgangenen Erträge (z.B. Zinsen) erstattet; siehe Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 154), § 105 Rz. 9. 456 Storck in: Zerey (Fn. 195), § 14 Rz. 5 (zur Wertpapierleihe; siehe aber auch ebenda, § 15 Rz. 6); ferner Schillai/Sturm, ZfgK 2019, 810f. 457 §§ 5.4–5.5 und das Schedule des GMSLA; dazu unten Kap. 6.C.II.4.b)cc)aaa) (S. 642). Der Begriff „margin maintenance“ wird auch in § 4 des GMRA verwendet; zu diesem siehe unten Kap. 6.C.II.4.b)bb)aaa) (S. 838). 458 Storck in: Zerey (Fn. 195), § 14 Rz. 23. 459 Baklanova/Copeland/McCaughrin (Fn. 454), S. 20f., 32f.; ICMA, FAQ Nr. 1. What is a repo? und Nr. 8. What is the difference between a repurchase agreement and a sell/buy-back? Bei Konstruktionen nach deutschem Recht spricht man im ersten Fall auch von „echten“ und im zweiten Fall von „unechten“ Pensionsgeschäften. 460 Dazu Storck in: Zerey (Fn. 195), § 15 Rz. 5; Teuber in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 154), § 105, Rz. 19. 461 Dazu Storck in: Zerey (Fn. 195), § 15, Rz. 4. 462 Storck in: Zerey (Fn. 195), § 15 Rz. 19. Der Begriff des repurchase agreement wird zum Teil nur auf verschriftete Transaktionen beschränkt, anders der Begriff der sell/buy-back transaction; siehe ICMA, FAQ Nr. 1. What is a repo? und Nr. 8. What is the difference between a repurchase agreement and a sell/buy-back?; abweichend Teuber in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn. 154), § 105, Rz. 22: maßgeblich sind das bei Sell-/Buy-back-Transaktionen zurzeit des Transaktionsabschlusses in den Rückkaufpreis einkalkulierte Entgelt und die Berücksichtigung