I. Volatilitätsderivate
I. Merkmale und Arten
Volatilitätsderivate sind Derivate, die gegenläufig zu angenommenen Schwankungsrisiken strukturiert werden. Das betreffende Risiko betrifft hier also nicht ein Finanzinstrument als solches, sondern nur die hierauf bezogenen Marktbewegungen. Es ist nicht möglich, direkt in solche Marktbewegungen zu investieren. Diesem Umstand wird bei der Strukturierung von Volatilitätsderivaten Rechnung getragen.
Eine Form solcher Derivate sind Volatilitätsfutures. Diese Futures lauten auf einen Terminkurs mit einem Volatilitätsindex als Bezugswert. Dieser spezielle Index spiegelt die erwartete Schwankungsbreite eines Portfolios gehandelter Wertpapiere innerhalb eines bestimmten Zeitraums (z.B. VIX-Index).384 Der erste Volatilitätsfuture („Volax-Future“) wurde bereits im Jahr 1998 aufgelegt, dennoch sind solche Produkte bisher auf eine Marktnische begrenzt geblieben.385 Zusätzlich werden mittlerweile exotische Optionsscheine auf Volatilitätsfutures und verschiedene Kombinationsprodukte (z.B. Zertifikate) angeboten.386 Auf exotische Optionen wird im Abschnitt K (S. 119) näher eingegangen.387
Ein Produkt anderer Art sind so genannte Varianzswaps. Diese Finanzinstrumente hängen nicht notwendig von einem Volatilitätsindex ab. Varianzswaps sollen wirtschaftlich die Funktion einer Option auf eine bestimmte Volatilität erfüllen. Die Prämie für eine solche Option berechnet sich als Risikoaufschlag aufgrund der Schätzung der künftigen Schwankungen eines Referenzwerts. Angesichts der Tatsache, dass die Risikoprämie außerdem von der Steilheit der Volatilitätskurve abhängt, wird anstelle einer Optionsgestaltung jedoch ein Swap strukturiert, da sich die Zahlungsströme eines solchen Swaps genauer an die Schwankungen des Referenzwerts anpassen lassen.388
II. Wirtschaftliche Funktionen
Volatilitätsderivate sollen es Sicherungsnehmern ermöglichen, sich die Tatsache zunutze zu machen, dass die Schwankungsbreite sich bei fallenden Kursen vergrößert und mit dem Kauf der zum Kurs gegenläufigen Volatilität somit ein Risiko-Diversifikationseffekt einhergehen kann.389 Allerdings tendieren Volatilitätsindizes langfristig gegen den Mittelwert, während die implizite Volatilität selbst zu starken Ausschlägen neigt. Deshalb wird eine Direktanlage in Volatilitätsfutures nur als kurzfristige Beimischung im Anlageportfolio für sinnvoll gehalten.390
III. Risiken beim Einsatz
Volatilitätsderivate führen im bilateralen Verhältnis zu einer Verlagerung von Schwankungsrisiken. Außerdem bestehen Gegenparteirisiken aus dem Derivatkontrakt. Die Risiken, die mit Volatilitätsderivaten über das bilaterale Verhältnis hinaus verbunden sind, dürften angesichts des Einsatzzwecks und der speziellen Eigenschaften solcher Produkte in der Regel begrenzt sein. Anderes dürfte allenfalls bei einem strategischen Einsatz von Volatilitätsfutures oder bei Varianzswaps gelten. Auf der Seite des Sicherungsnehmers dürfte dann insbesondere eine Fehlbewertung der Schwankungsrisiken Probleme aufwerfen können. Auf der Seite des Sicherungsgebers kann es ferner zu einer problematischen Konzentration von Risiken (Klumpenrisiko) kommen, wenn der Sicherungsgeber in großer Zahl gleichartige Volatilitätsderivate in den Markt gibt.
384 Commerzbank, Anlageklasse Aktienvolatilität – Die Funktionsweise verstehen, Broschüre, Stand: 3. Oktober 2013, S. 2: Der VIX-Index spiegelt die erwartete Schwankungsbreite des S&P 500 auf Sicht von 30 Tagen. 385 Zum sog. Volax-Future siehe näher https://www.eurexchange.com/blob/181660/47497f2ec4a772501f1007c7f3faf287/data/tc_history_21121998_de.pdf.pdf. 386 So z.B. die von Société Générale emittierten EndInLine-, EndHigh- und EndLow-Optionsscheine; dazu o.A. (n-tv), 24 %-Chance in einem Monat: Exotisches auf Volatilitäts-Futures, 12. November 2015; abrufbar: https://www.n-tv.de/incoming/Exotisches-auf-Volatilitaets-Futures-article16336426.html. 387 Siehe unten Abschn. K und darin insb. Abschn. I.2 (S. 119). 388 Brunner (Allianz Global Investors), Volatilität als Anlageklasse, HEDGEWORKNEWS vom September 2015, 8 (9). 389 Brunner (Allianz Global Investors), Volatilität als Anlageklasse, HEDGEWORKNEWS vom September 2015, 8; Commerzbank, Anlageklasse Aktienvolatilität – Die Funktionsweise verstehen, Broschüre, Stand: 3. Oktober 2013, S. 2; Raviol, ZfgK 2019, 830 (831ff.). 390 Commerzbank, Anlageklasse Aktienvolatilität – Die Funktionsweise verstehen, Broschüre, Stand: 3. Oktober 2013, S. 3.
J. Derivate, die andere Risiken handelbar machen (z.B. Rohstoff-, Zins- und Wetterderivate)
I. Merkmale und Arten
Abgesehen von den in den vorigen Abschnitten beschriebenen Finanzinstrumenten gibt es praktisch unbegrenzt viele weitere Derivate, bei denen der Vertragsgegenstand andere Risiken als die bei den bisherigen Referenzwerten im Vordergrund stehenden Ausfall- und Kursrisiken umfasst.
Die Derivate können in handelbaren Finanzinstrumenten verbrieft sein. Als Beispiele lassen sich inflations- oder zinsbezogene Anleihen (Rate-Linked Notes – RLN) nennen, aber auch z.B. Tranchierungsverbriefungen über Rohstoffe und Waren (Collateralized Commodity Obligations – CCO) und darauf bezogene Derivate, wobei Letztere unter anderem das Risiko der tatsächlichen Verfügbarkeit der betreffenden Rohstoffe und Waren abbilden, oder sogar Anleihen mit hineinstrukturierten Derivaten über Wetterereignisse (Wetterderivate) oder große Unglücke bzw. Versicherungsfälle (Katastrophenanleihen, cat bonds). Dabei müssen die Derivate nicht direkt auf die betreffenden Werte und Ereignisse, sondern auch lediglich auf Indizes als abgeleitete Referenzwerte bezogen sein. In erster Linie gestatten die angesprochenen Derivate eine Absicherung gegen die Risiken des Referenzwerts bzw. -ereignisses, also z.B. Inflationsrisiken oder Zahlungsrisiken für eine Versicherung aufgrund einer Katastrophe. Ähnlich vielen der zuvor beschriebenen Finanzinstrumente ist es eine weitere Funktion von ihnen, die relevanten Risiken handelbar zu machen.391
Die genannten derivativen Finanzinstrumente werden ungeachtet der Tatsache, dass sie unterschiedliche Risiken synthetisch nachbilden, unter Nutzung vergleichbarer rechtlicher Mäntel (wrappers) strukturiert. Im Einzelfall kann es fraglich sein, ob es sich bei den Mänteln überhaupt um Finanzinstrumente handelt.392