Edoardo, der strahlende erste Agnelli-Präsident, kam kurz nach der Feier seines sechsten Meistertitels am 14. Juli 1935 bei einem Flugzeugunfall ums Leben. Ein Wasserflugzeug hatte den Fiat-Erben von seinem Ferienort Forte dei Marmi an der toskanischen Riviera abgeholt und das Ziel, den Hafen von Genua, erreicht, als ein treibender Baumstamm die Maschine umkippen ließ. Agnelli, der einzige Passagier, stand in Sichtweite der Kaimauer auf den Schwimmern, wurde bei der Havarie vom Propeller geköpft und war sofort tot. Die Trauerfeier für den Juventus-Chef brachte Zehntausende auf die Straßen von Turin – die größte Menschenmenge, die die Stadt jenseits der faschistischen Parteiaufläufe erlebte. Natürlich war die Mannschaft dabei, und es mochten viele geahnt haben, dass man sich in jenem Moment von einem goldenen Zeitalter verabschiedete. Der Rekord von Edoardos Siegesserie sollte 82 Jahre andauern. Erst sein Enkel Andrea schaffte es 2017, den Großvater noch zu übertreffen.
Giovanni Agnelli, der Fiat-Gründer, musste das Werk und den Klub nun allein durch die Jahre des Regimes und den Krieg bringen. Kurz vor Edoardo war auch sein Schwiegersohn Carlo Nasi gestorben, der Mann der bereits früher verstorbenen Tochter Aniceta. Agnelli hatte seine beiden Kinder verloren, es blieben ihm insgesamt zwölf Enkel, unter denen er seinen designierten Nachfolger auswählte: Edoardos ältesten Sohn Giovanni, genannt Gianni. Man mag sich die Einsamkeit des Patriarchen vorstellen, der in nichts Ablenkung fand, schon gar nicht im Fußball, der den mächtigen Fiat-Boss nie interessierte.
Anfangs hatte er zu den Geldgebern für Mussolini gehört, als einer jener Industriellen, die sich vom Faschismus den Sprung in die Moderne versprachen – und von den Faschisten, dass sie willfährige Handlanger der wenigen italienischen Kapitalisten würden. Beides erwies sich indes recht schnell als Trugschluss. Zwar ließ das Regime dem wichtigsten Unternehmer des Landes zunächst Freiheiten. In Turin konnte Agnelli schalten und walten, wie er wollte, was in seinem Fall vor allem hieß, die stetig wachsende Arbeiterschaft der Fiat-Werke an jeglicher Form von Emanzipation zu hindern. Im Januar 1921 war infolge der Wirtschaftskrise jeder Zehnte der damals 13.000 Arbeiter entlassen worden. Um Proteste im Keim zu ersticken, rief Agnelli das Militär. Er war ein knallharter Industriekapitän, der Löhne und Kosten drückte, wo er konnte, und als Anhänger liberaler Ideen die Faschisten als Bollwerk gegen sozialistische Umtriebe in seiner Fabrik unterstützte. »Wenn es Fiat nützte, würde ich auch Befehle von Lenin empfangen«, sagte er einmal. Stattdessen nahm der Patron des größten Industriewerkes im Land bald Anordnungen von Mussolini entgegen. Der hatte nach seinem überaus artigen Antrittsbesuch in der neuen Lingotto-Werkszentrale 1923 dem Fiat-Boss geschmeichelt, indem er ihn zum ersten Senator der faschistischen Ära ernannte. Doch recht bald drehten sich die Machtverhältnisse um.
Nach dem Mord an dem sozialistischen Oppositionsführer Giacomo Matteotti am 10. Juni 1924 durch ein faschistisches Killerkommando forderte der Verleger und Senator Luigi Albertini den späteren Staatspräsidenten Luigi Einaudi auf, einen Artikel zu verfassen, »damit Zyniker wie Giovanni Agnelli mal darüber nachdenken, was sie anrichten.« Ungerührt unterstützte der Industrielle indes im Senat eine Regierung, die nun offen in Richtung Diktatur steuerte. Fiat produzierte zu dieser Zeit rund 25.000 Autos im Jahr, die Leistungs- und Profitkurve ging beständig nach oben. In so gut wie jeder Turiner Familie arbeitete jemand für das kontinuierlich expandierende Werk, das dem Patriarchen jede Messe wert war – auch das Requiem für die parlamentarische Demokratie. Zum Dank gewährte der Diktator dem Industriellen den Auftrag zum Bau der Autobahn Turin-Mailand.
Sicher, die persönlichen Beziehungen zwischen Mussolini und Agnelli blieben kühl. Man brauchte sich und verabscheute einander auf das Gründlichste, allzu unterschiedlich waren der temperamentvolle Egomane aus der Romagna und der soldatisch strenge Unternehmer aus dem Piemont. Der Duce ließ das Telefon des Fiat-Patrons abhören, er verdächtigte den Industriellen antifaschistischer Händel. Agnelli konnte nicht verhindern, dass einer der Hauslehrer seiner Enkel wegen umstürzlerischer Umtriebe verhaftet wurde. Als er Franco Antonicelli eingestellt hatte, wusste er genau, dass dieser Intellektuelle ein Antifaschist war. Antonicelli führte die Agnelli-Kinder an Kafka und James Joyce heran, bevor die Faschisten ihn zwei Jahre lang in die Verbannung schickten. Als die Deutschen Italien besetzten, wurde Antonicelli Anführer der Resistenza im Piemont. Und erinnerte sich daran, dass er im Hause Agnelli stets korrekt behandelt worden war.
Giovanni Agnelli war ein Patron der alten Schule. Gegenüber seinen Angestellten wollte er allein das Sagen haben, schließlich wurden sie ja nicht von Mussolini bezahlt. Dennoch musste der Industrielle, als 1939 zur Fertigstellung des riesigen Mirafiori-Werks der Duce wiederum Fiat einen Besuch abstattete, einen Kotau vollziehen. Fast 50.000 Arbeiter beschäftigte Agnelli damals, und doch konnte er es sich nicht mehr erlauben, den stolzen Patriarchen zu geben. Stattdessen bat er um staatliche Subventionen für Autos – und wurde nicht erhört. Mussolini weigerte sich, den Traum Giovanni Agnellis zu verwirklichen, aus Fiat die zweiten Ford-Werke zu machen und aus Turin ein italienisches Detroit. Zwar fuhren auf den Straßen des faschistischen »Imperiums« zusehends mehr Autos, aber davon, ein echtes Massenprodukt zu werden, waren die Fiat-Wagen immer noch genauso weit entfernt wie Italien vom Rang einer führenden Industrienation.
1940 trat das Regime in den Krieg ein. Agnelli machte weiter Profit, obwohl die Pkw-Produktion drastisch zurückging. Aber der Absatz von Nutzfahrzeugen verfünffachte sich, und so konnte die familieneigene Finanzgesellschaft IFI fortwährend Immobilien in Florenz und Land in Umbrien kaufen: Das Vermögen sollte so geräuschlos und beständig wie möglich gesichert werden. Je länger der Krieg andauerte, je geringer die Erfolgsaussichten schienen, desto entschiedener ging der Unternehmer auf Distanz zu Mussolini. Im Januar 1943 listete die US-Botschaft in Bern einflussreiche Italiener auf, die die Zusammenarbeit mit den Alliierten suchten, und »Commendator« Agnelli aus Turin wurde an erster Stelle genannt – vor einem einflussreichen Grundbesitzer aus Kalabrien und einem Camorra-Boss aus Neapel. Tatsächlich verbot Agnelli nach Mussolinis Entlassung durch den König seinen Managern, in die Partei des faschistischen Satellitenstaates »Republik von Salò« einzutreten, den der entmachtete Duce unter Hitlers Protektion in Norditalien eingerichtet hatte und zu dem Turin ursprünglich gehörte. In Mirafiori wurde Vollbeschäftigung vorgetäuscht, um die Verschleppung der Arbeiter in deutsche Lager zu verhindern. Die Werksführung pflegte Kontakte zur Resistenza.
Wieder ging es um das Überleben der Fabrik, aber auch um das Fortkommen der Besitzerfamilie. Giovanni Agnelli hatte vom Faschismus in großem Stil profitiert. Die Löhne seiner Arbeiter waren von 1923 bis 1939 um 16 Prozent gefallen, seine Rendite war im selben Zeitraum ins Unendliche gestiegen. Als man ihn nach Kriegsende vor Gericht stellte, verstand der Patriarch die Welt nicht mehr. »Ich habe mein ganzes Leben der Arbeit gewidmet und denke nun, es könnte ein Fehler gewesen sein«, gestand er seinen engsten Mitarbeitern. Am 16. Dezember 1945 starb er als gebrochener Mann. Die von den Alliierten bombardierten Fiat-Werke lagen in Schutt und Asche. Und auch Juventus wartete auf den Wiederaufbau.
Gianni und Umberto
1947–2004
Von den sieben Geschwistern Agnelli übernahmen zwei Brüder die Juve, der Älteste, Gianni (1921–2003), und der Jüngste, Umberto (1934–2004). Der erste ein schillernder Charismatiker, der zweite ein zurückhaltender Pflichtmensch. Gianni und Umberto begleiteten den Klub sechs Jahrzehnte lang als Präsidenten oder Ehrenpräsidenten, vor allem aber stets als Besitzer und in ihren späteren Jahren schließlich auch wie Patriarchen. Der dritte Bruder Giorgio (1929–1965) litt an einer schweren Krankheit und starb früh, die Schwestern hielten sich vom Fußball fern – doch der Erste und der Letzte wurden die herausragenden Mäzene des Calcio in den Jahren des italienischen Wirtschaftswunders. Vorbilder und Konkurrenten für viele andere, kleinere »Feudalherren«, die sich ihre Klubs als teures Spielzeug leisteten,