»Nanana! Hatten wir nicht vereinbart, dass wir uns nichts tun?«, raunte er schroff.
»Es … es … es tut mir leid. Das wollte ich nicht«, rang sie nach Luft.
»Du hast noch viel zu lernen, junge Nephilim!«, seine Stimme klang stolz und erhaben.
War das gerade eine Beleidigung? Nephilim? Was ist das?
Gabriel trat vor und raubte ihr mit seinem Anblick fast den Atem. Er trug ein dunkles Achselshirt, das sich perfekt um seine Brustmuskeln legte, selbst die Bauchmuskeln betonte es auf eine sehr betörende Weise, die Olivia verstörend schön fand. Seine Haut war makellos, kein Tattoo und keine Narben. Nicht ein Mal Leberflecken konnte sie im schwachen Lichtschein erkennen.
Doch da war noch mehr, das sie faszinierte und ihren Blick auf den jungen Mann ruhen ließ. Hinter seinem Rücken ragten zwei imposante Flügel über seine starken Schultern, die silbrig glitzerten. Er verzog keine Mine, als er zu ihr herabblickte, das Grün in seinen Augen begann zu funkeln, als er nach einer gefühlten Ewigkeit einen Mundwinkel leicht zu einem Lächeln hochzog. Nephilim. Na klar, das war doch was mit Kinder von Engeln oder so was!, überlegte sie.
»Na Kleine, gefällt dir, was du siehst? Ich hatte schon immer eine anziehende Wirkung auf das weibliche Geschlecht«, sagte er mit seiner dunklen Stimme. Die sich wie Seide über Olivia ergoss und ihr einen wohligen Schauer über den Rücken laufen ließ.
Man jetzt verstehe ich die Mädchen, warum sie sich so zu Arschlöchern hingezogen fühlen. Er sieht traumhaft aus.
Olivia schüttelte den Kopf, um wenigstens einen Gedanken fassen zu können und wurde langsam wütend, da sie ihn trotz seiner Anziehungskraft sehr überheblich fand. Ach der tickt doch nicht ganz richtig. Verkleidet sich zu Fasching als Engel und spielt sich als der Messias persönlich auf.
»Du hast ein Ego, damit könnte man wohl die Welt einwickeln. Erst beleidigst du mich, dann verkleidest du dich für irgendeinen Karneval und zu guter Letzt, zeigst du mir noch deine ach so arrogante Seite. Was soll das werden? Lauerst du allen Mädchen so auf?«, sie ließ ihre Stimme bewusst lässig aber wütend klingen. Während sie sprach, schaute sie ihm direkt in die Augen und hoffte, dass sie durchdringend erschienen, obwohl ihr richtig mulmig zumute war.
»Stolz hast du, das ist gut. Wenn du deine Kräfte allerdings weiter so gedankenlos einsetzt, bist du in einer Woche tot!« Mit einem Finger fuhr er zur Verdeutlichung waagerecht seinen Hals entlang. »Ich bin schon lange auf der Suche nach dir, seit ich dich das erste Mal gespürt habe. Und wenn ich das schon schaffe, werden die Engel dich noch schneller finden!«, erklärte er. »Ok?«
Sie begann zu lachen. Das kann er nicht ernst meinen! Seine Augen formten sich zu schmalen Schlitzen.
Oh man, der ist ja irre! Engel gibt es nicht und seine Plastikfedern wirken nicht mal überzeugend! »Du willst mir also erklären, dass Engel nach mir suchen? Was ist daran denn so schlimm? Mal davon abgesehen, dass es keinen Gott gibt und somit auch keine Engel«, konterte sie. Langsam hatte sie die Nase gestrichen voll von dem Mist, den er da verzapfte.
»Was Gott angeht, dass weiß ich nicht. Aber leg doch mal deine menschliche Schwäche ab und mach die Augen auf! Man kann sie immer wieder sehen! Und ja fürchten solltest du dich vor ihnen! Immerhin wollen sie unsere Köpfe«, schoss er scharf zurück.
»Du spinnst doch komplett!«, schnauzte Olivia diesen Traum von einem Adonisestrichen ?gin ihrem gelblichem an. Seine Brustmuskeln zuckten kurz und es schien als spielte er mit ihnen. Schweißperlen glitten an seinem Hals hinab und betörten sie weiter. Schade das alle hübschen Kerle entweder vergeben, Schwul oder einfach nur gestört sind! Kurz hing ihr auch ein Gedanke an Gino nach. Sie ertappte sich dabei, wie ihr ein schlechtes Gewissen entstand, obwohl sie mit Gino nicht zusammen war.
Seine Hand glitt blitzschnell hoch und versuchte sie zu packen, instinktiv machte sie einen Satz zurück, drehte sich um und rannte.
Ich hätte es wissen müssen verdammt! Weg einfach nur weg! Sie rannte so schnell, als wäre der Teufel persönlich hinter ihr her. Vielleicht war er das auch, dachte sie im Laufen. Sie wusste nicht, wohin sie fliehen sollte, nach Hause konnte sie auf keinen Fall, weil sie nicht wusste, ob er ihr dorthin folgen würde. Im Zickzack hetzte sie wechselnd die Straßen entlang, bis sie völlig erschöpft an der Flusspromenade in einen leichteren Gang fiel. Immer wieder drehte sie sich um die eigene Achse, um zu schauen, ob sie noch von ihm verfolgt wurde. Als ihr nichts auffiel, ging sie noch ein paar Meter weiter und ließ sich dann auf eine Parkbank nieder. Laut japsend schien es, als versuchte sie den ganzen Sauerstoff der Welt, auf einmal einzusaugen.
Völlig außer Atem glaubte sie, sie hätte einen Marathon absolviert in weniger als zehn Minuten. Ihr Herz pochte so fest, dass sie jeden einzelnen Pulsschlag in ihren Fingerspitzen spüren konnte. Ihre Hände zitterten vom Adrenalin Überschuss in ihrem Blut.
Ganz allmählich bekam sie wieder Luft und schon bemerkte sie eine Präsenz hinter sich. Ängstlich weigerte sie sich nachzusehen, entschied sich dann aber doch dafür.
Noch bevor sie sich ganz umgedreht hatte, zischten Lichtblitze durch die Luft und trafen die Gestalt, die sich hinter ihr aufgebäumt hatte. Hinter einem Baum trat Gabriel hervor und schleuderte unaufhörlich weitere Blitze auf die Gestalt.
»Komm her!«, schrie er. Seine Stimme klang nicht mehr so selbstsicher wie im Gewölbe der Villa. Er klang ängstlich, fast panisch. Unsicher wer Freund und wer Feind war, bewegte sie sich nur zaghaft auf ihn zu.
Bevor Gabriel seine Arme vollständig um Olivia gelegt hatte und seine Flügel ausbreiten konnte, um mit ihr durch die Luft zu verschwinden. Traf ihn ein gelb leuchtender Blitz und durchschlug seinen Schild, den er um sich aufgebaut hatte.
Taumelnd gingen die beiden zu Boden. Olivia landete auf seinem Oberkörper und mit ihrem Kinn auf seinem Ellenbogen. Schmerz zuckte durch ihren Kiefer, sodass sie laut aufschrie. Aua verdammt! Das ist heute echt nicht mein Tag! Gabriel, der bewusstlos unter ihr lag, rührte sich nicht. Tot war er nicht, sie konnte den beständigen Pulsschlag seines Herzens an ihrer Brust spüren.
»Geh weg von ihm! Ich bin ein Freund deines Vaters! Vertrau mir!«, rief die Gestalt.
Olivia richtete sich auf, Gabriel lag noch immer reglos am Boden. Jemanden zu vertrauen, kam ihr gar nicht in den Sinn, schließlich wurde sie von zwei ihr vollkommen Fremden und wahrscheinlich auch Irren verfolgt. Für wie bescheuert hält der mich? Taucht aus dem Nichts auf und behauptet meinen Vater zu kennen. Gewiss werde ich dir nicht trauen!
Die Gestalt trat näher und wurde vom hellen Mondlicht angestrahlt. Engel, spuckte es durch ihren Kopf. Sie sah sich den Mann genauer an. Gelb leuchtendes gelocktes Haar, stählerne Brust, Oberarme wie die eines Bodybuilders und Flügel, so strahlend weiß, dass sie fast blendeten. Um ein Vielfaches größer, als die silbrigen von Gabriel ließen sie keinen Raum mehr für Zweifel.
Es war kein frostiger Wintertag, aber warm war es auch nicht gerade. Seine Oberarme und Waden waren unbekleidet. Von Gänsehaut oder einem sonstigen Anzeichen für Kälte bot seine Haut nicht. Der muskulöse Engel schien nicht zu frieren. Gabriels Worte schossen ihr durch den Kopf. Fürchten solltest du dich vor ihnen! Immerhin wollen sie unsere Köpfe!
An seinem Gürtel, der nahtlos mit seinem Brustpanzer ineinander überging, prangte ein goldglänzendes Schwert. Zu Olivias Erstaunen, sah es einem japanischen Katana zum verwechseln ähnlich. Vor ihrem inneren Auge erschienen Kunstwerke längst vergangener Epochen und auf diesen sah man die Engelsfiguren stets mit einem mittelalterlich anmutenden Schwert. Um ihn herum schillerte ein Schutzschild. Ihr Verstand begann sich zu drehen und ihr wurde übel.
Bevor