Engelslügen. Samantha O. Collins. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Samantha O. Collins
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783742757944
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und die Stufen waren ausgetreten. In diesem Teil der Stadt kümmerte sich niemand um die Häuser oder ihrer Bewohner. So zerfielen sie mit der Zeit immer mehr. Da Olivia noch zur Schule ging, mussten sie mit dem Geld ihrer Tante überleben.

      Von ihrem Vater wusste sie nicht viel, er starb vor ihrer Geburt. Ihre Mutter erzählte ihr, dass er strohblondes Haar hatte und sein Lächeln verzaubern konnte. Gebildet und herzlich soll er gewesen sein. Sie nannte ihn immer ihren Engel. Sie hatte kein Bild von ihm und ihre Tante mied es, über ihn zu sprechen, als wäre er ein Krimineller gewesen.

      Ihre Tante Heather war streng aber gütig. Sie pflegte ihr Haar in einem streng geflochtenen Zopf zu tragen. An den Händen hatte sie Schwielen, die Arbeit in der Wäscherei war hart, dennoch bekam sie nie mehr als einen Hungerlohn. Es war nicht einfach für Ihre Tante sie beide über Wasser zu halten. Manchmal fiel Olivia auf, dass sie ihretwegen weniger aß. Sie hatte immer so getan, als würde sie es nicht bemerken und ebenfalls weniger gegessen, als ihr aufgefallen war, dass ihre Tante mit der Zeit immer dünner wurde. Sie sprachen nie darüber, aber Olivia war dankbar und liebte sie wie ihre Mutter, da ihre Tante jeden Tag für Ihr Schulgeld schuftete ohne sich zu beklagen.

      Wenn sie ihre Tante ansah, konnte sie direkt in die Augen ihrer Mutter blicken, obwohl sie acht Jahre zuvor an Herzversagen gestorben war. Das ihre Tante Heather und ihre Mutter Zwillinge waren erleichterte ihr den Abschied nicht. Vom Wesen unterschieden sie sich deutlicher. Während ihre Mutter mehr in den Tag hinein lebte, war ihre Tante Heather zurückgezogen, und verbrachte ihre Zeit mit harter Arbeit.

      Die schmalen Räume waren kalt, viele Möbel gab es nicht und damit auch kaum Möglichkeiten, wie die Räume Wärme speichern konnten. Selbst die wenigen Regale waren aus dünnen Sperrholz gefertigt und man konnte ihnen ihr fortgeschrittenes Alter ansehen. Auch mit Deko Elementen hatte es ihre Tante nicht so. Nur ein paar kleine gehäkelte Deckchen und wenige Habseligkeiten, sorgten für eine schwache persönliche Note.

      Olivia legte ihre Tasche ab und schlüpfte aus ihrem nassen Mantel, um ihn zum Trocknen aufzuhängen. Sie drehte das Thermostat nach oben, damit es schneller warm werden würde. Ihre Tante Heather drehte es immer ab, wenn beide das Haus verließen um Geld zu sparen.

      Ihre Tante hatte, wie sie am Morgen das Haus verlassen, und war bislang noch nicht von ihrer Arbeit zurückgekehrt. Es war nicht ungewöhnlich, dass sie bis spät in die Nacht hinein in der Wäscherei stand.

      Normalerweise erledigte Olivia am Abend die Hausarbeit bis ihre Tante aus der Wäscherei kam. Heute jedoch war Olivia noch müder als sonst. In letzter Zeit wurde sie von schlimmen Träumen geplagt, die sie nicht richtig einordnen konnte. Aus diesem Grund war sie auch mit den Mädchen in ihrer Schule aneinandergeraten, da diese sie aufgrund ihrer Übermüdung als Freak bezeichneten. Olivia schaute in den Spiegel, der neben der Wohnungstür hing. Ein Mädchen mit dunklen Augenringen, einer kaputten Brille, nassen Haaren und einer an Unterernährung grenzenden Figur, schaute ihr entgegen. Resigniert ging sie in ihr Zimmer und ließ sich auf ein kleines Sofa fallen, welches man zu einem Bett ausklappen konnte. Es war nicht gerade bequem und der Stoff schon ziemlich abgenutzt. Doch außer Gino kam sowieso niemand, um sie zu besuchen - und er wusste wie sie lebte.

      Ihre Augen fielen zu, doch an ein entfliehen des Alltags, war nicht zu denken. Noch weniger bekam sie erholsamen Schlaf. In ihr flammten die grausigen Bilder auf, die sie seit Wochen zu verfolgen schienen. Feuer. Wohin sie auch blickte.

      Der hundertjährige Baum aus dem Park gleich nebenan, brannte lichterloh und wurde von den Flammen aufgezehrt. Während sie sich auf den einst prächtigen Baum zubewegte, glitten ihre Füße über menschliche Schädel, welche unter ihrem Gewicht zerbarsten. Sie hatte das Gefühl schreien zu müssen, doch sie konnte nicht. Schockiert schaute sie sich um, doch es war keine Rettung in Sicht. Ihr Körper schrie förmlich nach Flucht. Der Drang entkommen zu wollen, war stärker als die zunehmende Hitze um sie herum. Panik machte sich in ihr breit. Der sengend heiße Wind kam ihr so realistisch vor, dass sich auf ihrem Nacken bereits Schweißperlen bildeten. Angewidert von den Bildern in ihrem Kopf, riss sie den Kopf nach oben und seufzte. Bald schon, raunte es in ihren Gedanken, ohne dass dieser Gedanke von ihr selbst ausging, die raue männliche Stimme klang drohend und wirkte befremdlich. »Super, jetzt höre ich schon Stimmen, das kann ja nur besser werden«, flüsterte sie ihrer Stoffschildkröte zu, die sie sich griff, als sie sich auf das Bett warf.

      Während Olivia ihren Kopf in das Plüschreptil vergrub, hangelte sich an der Feuerleiter vor ihrem Fenster Gino zu ihr herauf. Die Wohnungstür nutzte er die letzten Jahre immer seltener. Mit kräftigem Klopfen an das Fensterglas machte er auf sich aufmerksam. Seine beste Freundin erhob sich und er konnte schnell erkennen, dass sie wieder völlig verstört war. Ihm war es in den letzten Wochen immer deutlicher aufgefallen, dass ihre passive Haltung täglich zunahm.

      »Hey, alles klar?«, begrüßte er sie, als Olivia das Fenster für ihn hochschob, um ihn herein zu lassen.

      Mit glasig, geröteten Augen blickte sie ihn an. Gino rechnete damit, dass sie ihm erzählen würde, was los war. Stattdessen stand sie einfach nur da. Kein Wort kam über ihre Lippen. Einen Moment lang, erwiderte er ihren Blick und hoffte, dass sie etwas sagen würde. Da sie weiter schwieg, ergriff er das Wort.

      »Oliv, was hast du denn? Hat dich die dumme Page wieder geärgert?«, durchbrach er die unheimliche Stille.

      Sie seufzte und formte mit ihren Lippen die Worte, die sie nicht laut aussprechen wollte. Kurz überlegte sie, schüttelte dann den Kopf.

      »Nein, diesmal nicht. Ach ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Es ist einfach … keine Ahnung«, fluchte sie.

      »Du kannst sicher etwas Ablenkung vertragen! Ich habe eine Überraschung für dich! Aber wir müssen uns beeilen.«

      Ehe sie widersprechen konnte, packte Gino sie am Arm und eilte mit ihr zur Wohnungstür. Während sie fragte, wo es hingehen sollte, zog sie sich eilig Jacke und Schuhe über.

      »Lass dich überraschen! Es wird dir sicher gefallen«, erwiderte Gino.

      Der Regen hatte zwischenzeitlich aufgehört, Dunst hing wie ein feiner Schleier in der Luft und hüllte die nassen Fassaden und Gehwege in ein silbriges Licht. Es ließ die frühere Anmut und Reinheit erahnen, die in längst vergangenen Zeiten Straßen und Häuser hatten glänzen lassen. Der Mond strahlte hell. Nur noch wenige Tage und er würde in ganzer Pracht den Nachthimmel zum Leuchten bringen. Er wirkte schon jetzt groß, da er teilweise von Häusern verdeckt wurde und dem Betrachter damit eine größere Mondscheibe suggerierte. Glitzernd funkelten die Sterne über dem Park mit dem großen alten Baum, der seinen meterdicken Stamm in den Himmel streckte. Gino zog sie stetig weiter zu dem Baum, weil in dieser Nacht ein inoffizieller Gig, der Band seines Cousins dort stattfinden würde.

      Olivia setzte sich neben ihn auf die kleine Parkbank am großen Baum. Die Bank wurde durch das Blätterdach gut vor möglichen Regentropfen geschützt und zeigte direkt auf die Bühne. Sie waren bislang die Einzigen und noch war nicht viel von der Band zu sehen. Lediglich ein paar Leute bauten Verstärker und Mikros auf.

      Gedankenverloren und gerädert vom andauernden Schlafmangel, lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter. Sie schaute zu dem ehrfürchtigen Zeugen der Zeit hinauf und erinnerte sich sofort an die schrecklichen Bilder aus ihrem Traum, die vor ihrem inneren Auge wieder auf sie einstürmten. Sie erzählte Gino von diesem Traum.

      Er sagte kein Wort, sondern hörte aufmerksam ihren grausig detaillierten Schilderungen zu. Seine Mine war ausdruckslos, fast so als wüsste er nicht, was er sagen sollte und letztlich war es auch genau das. Was sollte er dazu sagen? Er machte sich große Sorgen um sie, gegen Träume konnte er allerdings nichts ausrichten.

      »Es sind Träume Oliv. Miß ihnen keine allzu große Bedeutung bei!«, rang er sich tröstende Worte ab. Er litt mit ihr, weniger wegen ihrer Träume, sondern vielmehr weil es sie so quälte. Zärtlich stupste er sie mit seinem Finger an ihrer Schulter an.

      »Dein Traum«, sprach er laut »das hat was von dem brennenden Busch in der Bibel. Findest du nicht auch? Vielleicht solltest du mal mit einem Priester reden. Die kennen sich doch mit so einem Hokuspokus aus!«

      Damit ließ er das