Angst macht große Augen. L.U. Ulder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: L.U. Ulder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738016017
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mich hier nicht wohlfühlen. So ist es genau richtig, kein Gedränge und Geschrei. Pure Natur, na ja fast.“

      Sie erreichen die Kuppe der Düne und konnten endlich bis an die Spitze der Landzunge schauen. Direkt vor ihnen lag ein alter Betonbunker aus dem Zweiten Weltkrieg. Die Gezeiten hatten sich alle Mühe gegeben, unterspülen und in Schieflage bringen konnten sie ihn, zerstören aber nicht.

      Anna-Lena schaute wehmütig hinunter auf die von zwei Seiten umspülte Landzunge, trotz des frischen Windes war ihre Stirn schweißnass und glitzerte im Sonnenlicht.

      Stefan drückte sich von hinten zärtlich an sie heran und umarmte sie.

      „Du musst mir nichts beweisen. Ich sehe doch, wie schwer es dir fällt. Wenn du dich noch weiter so quälst, ist es nur eine Frage der Zeit, bis du dich erkältest. Warte hier einen Moment und genieße die Aussicht, ich hole den Rollstuhl, damit kommen wir hoffentlich ein ganzes Stück an dem Bunker vorbei. Und dann sehen wir weiter.“

      „Ok“, sagte sie nur und lächelte versonnen.

      Dann blickte sie Stefan hinterher, wie er mit federnden Schritten die Düne hinunter lief zum Auto.

      Es dauerte nicht lange und sie bewegten sich auf den von unzähligen Füßen verfestigten Trampelpfad am alten Bunker vorbei. Ein ganzes Stück dahinter vollführte der schmaler werdende Strand einen leichten Rechtsbogen. Hier wurde der Untergrund weicher. Sie beschlossen, den Rollstuhl einfach stehen zu lassen.

      Stefan nahm Anna-Lena auf die Schultern, so gingen sie weiter bis an die Spitze.

      „Hier ist Dänemark zu Ende“, meinte er, als er sie vorsichtig abgesetzt hatte.

      „Ja. Es ist ein toller Platz. Zwei Meere vereinigen sich, die Ostsee und die Nordsee laufen hier zusammen.“

      „Es sind eher Kattegat und Skagerrak, würde ich sagen. Man gut, dass du nicht von Weltmeeren gesprochen hast.“

      „Ach, du Schlaumeier. Schau lieber mal, wie dort hinten das Wasser zusammenströmt. Es sieht so friedlich aus, dabei ist die Strömung verdammt gefährlich.“

      Gemeinsam standen sie aneinander gelehnt und schauten hinaus aufs Meer.

      „Das letzte Mal war ich hier vor sechs Jahren, zusammen mit Valerie. Wir hatten ein paar Tage Urlaub und sind zum Surfen hergekommen. Weil der Wind schwächelte, haben wir uns stattdessen die Gegend angesehen.“

      „Das war ein Jahr vor …, also vor dieser Geschichte, die der Italian Job genannt wird, ja?“

      Anna nickte nur.

      „Willst du nicht mal mit mir darüber sprechen, was damals genau geschehen ist? Ich meine, immer höre ich nur irgendwelche bedeutungsschweren Andeutungen. Sogar in der Presse stand schon mehr darüber drin, als ihr beide dazu gesagt habt. Von mehreren Toten war die Rede. Wir planen eine gemeinsame Zukunft, da solltest du es mir doch erzählen können.“

      Sie legte ihren Zeigefinger quer über seine Lippen.

      „Pssst. Das war das einschneidendste Erlebnis meines ganzen Lebens. Seitdem war ich auf den Rollstuhl und auf fremde Hilfe angewiesen. Ich habe mir etwas geschworen, und wenn ich dabei platze.“

      Sie drückte sich noch enger an Stefan.

      „Ich rede darüber erst wieder, wenn ich endlich wieder ein normales Leben führen kann.“

      Ihre dunklen Augen funkelten entschlossen.

      „So. Und jetzt lass uns zurück. Noch schnell einen Abstecher ins Skagenmuseum, da zeige ich dir das blaue Mädchen im Original und danach machen wir es uns im Haus gemütlich.“

       *****

      „Das ist aber merkwürdig.“

      „Wieso? Was ist denn?“

      „Ich finde das Bild nicht.“

      „Welches Bild?“

      „Also sag mal, bist du schwer von Begriff?“

      Anna-Lena verdrehte genervt ihre großen Augen.

      „Hab ich dir doch vorhin gesagt und du gehst du jeden Tag im Flur daran vorbei. Das kleine blaue Mädchen.“

      „Ach so. Na und?“

      Stefan machte einen abwesenden Eindruck, er schien sich nicht recht für die ausgestellte Kunst zu interessieren. Seit einer halben Stunde schob er seine Freundin nach ihren Anweisungen kreuz und quer durch das kleine Museum von Skagen. Sie dirigierte ihn von einem Raum zum anderen, ohne dass sie sich länger vor einem Bild aufhalten wollte.

      „Den Kunstdruck haben wir damals hier gekauft. Valerie hatte es schon viel früher entdeckt. Ihre Eltern waren hier oft mit ihr gewesen. Sie meint, es erinnere sie an ihre Kindheit. Und jetzt ist es verschwunden.“

      „Vielleicht haben sie es verkauft.“

      „Quatsch. Ein Museum verkauft doch nicht die eigenen Bilder.“

      „Ich kann ja mal jemanden dort vorn fragen.“ Er nickte mit dem Kopf in Richtung Eingangsbereich, dort wurden die Kunstdrucke und Poster verkauft.

      „Weißt du, wie es heißt?“

      „Logisch. Porträt von Tove Bentzon, so ähnlich jedenfalls.“

      Achselzuckend drehte sich Stefan um und trabte gelangweilt in Richtung der kleinen Eingangshalle. Dort war nur eine Museumsbedienstete anwesend, die gerade eine ältere Dame bediente. Er schaute sich in der Zwischenzeit die angebotenen Drucke an. Als die Verkäuferin endlich frei war, versuchte er, sich in seinem Schulenglisch verständlich zu machen, aber offensichtlich konnte die Frau ihn nicht verstehen. Er hatte ihr gerade erfolgreich zu verstehen gegeben, dass sie ihn doch bitte begleiten möge, als Anna-Lena bereits in die Halle gerollt kam.

      „Ach, da kommst du schon. Dann kannst du gleich selbst versuchen, es ihr zu erklären.“

      „Bring mich zum Auto, Stefan. Schnell!“

      „Aber das Bild, was ist damit?“

      Erst jetzt registrierte er, dass sie kreidebleich war.

      „Zoé hat mich angerufen. Wir müssen sofort nach Hause fahren.“

      „Was ist geschehen?“

      „Es ist etwas mit Valerie passiert, ein Unfall oder schlimmer. Sie muss furchtbar aussehen. Die Kleine war völlig außer sich. Ich konnte sie kaum beruhigen.“

      12.

      Hajo Steinert sah gedankenverloren zu, wie sich die Kollegin Gabriele Gebhardt die alte Thermoskanne schnappte und ihre Tasse viel zu voll einschenkte. Vorsichtig balancierte sie zurück zu ihrem Platz. Er beobachtete gespannt, wie sie Tasse auf die graue Schreibtischoberfläche abstellte, dabei kleckerte und er versuchte dabei, so unbeteiligt wie möglich dreinzuschauen. Danach blickte er in die Runde der versammelten Kollegen und Kolleginnen, die mit ihm zusammen an der Automatenknackerbande dran waren. Die ungewöhnliche Häufung mit immer gleichem Tatablauf hatte zur Bildung dieser Ermittlungsgruppe geführt. Eine derartige Konzentration von Erfahrung und Manpower musste rasch zu dem dringend benötigten Festnahmeerfolg führen, die Erwartungen und die Zuversicht waren enorm. Nun, nach weiteren Taten und zuletzt drei Toten fiel das Resümee eher bedrückend negativ aus.

      Dabei waren die Auswertungen vom Bewegungsbild der Täter und der Tatzeiten so vielversprechend gewesen und genau in der vorausberechneten Nacht hatten sie zugeschlagen, nur nicht an einem der erwarteten Tatorte und das war merkwürdig.

      Die letzte Tat wich durch das Ausweichen nach Niedersachsen völlig von den bisherigen ab, denn allen war klar, dass es sich um dieselbe Tätergruppe, um IHRE Täter handelte. Die Annahme war, dass es sich um eine Gruppe aus Osteuropa handelte, die nur für eine begrenzte Zeit hier herkam, sich in billigen Pensionen oder bei Bekannten aufhielt, Autos und Equipment zusammenklaute und Automaten in die Luft sprengte. Sie waren wie Phantome, die keinerlei Hinweise auf irgendwelche