Angst macht große Augen. L.U. Ulder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: L.U. Ulder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738016017
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viel besser organisiert waren, als sie es von vergleichbaren Taten kannten. Die Ermittler hatten bei den Providern die Handyeinwahldaten abgefragt und ausgewertet. In der Nähe der jeweiligen Tatorte wählten sich zur fraglichen Zeit regelmäßig zwei Handys ein. Aber selbst diese Erkenntnis führte ins Leere, jedes Mal waren es andere Rufnummern und IMEI-Nummern gewesen, die keinerlei Rückschluss auf die Besitzer zuließen, weil keine Personaldaten hinterlegt worden waren. Einzige Gemeinsamkeit war, dass sie erst unmittelbar vor der Tat eingeschaltet und gleich nach der Tat wieder ausgeschaltet wurden. Sie dienten einzig der Kommunikation der Täter vor Ort, ein Bewegungsprofil ließ sich mit den spärlichen Daten nicht erstellen. Die Täter wussten genau, was sie taten. Ein riesiges Fragezeichen verbarg sich hinter dem plötzlichen Gewaltausbruch. In der Vergangenheit war es natürlich bereits vorgekommen, dass auf Passanten und zufällig aufkreuzende Zeugen geschossen wurde, bei Blitzeinbrüchen in Juweliergeschäfte zum Beispiel, bislang aber immer nur, um unvorsichtige Beobachter zu vertreiben. Aber hier war ein Zeuge ganz bewusst ermordet worden und obendrein zwei mutmaßliche Komplizen.

      Das warf ein völlig anderes Bild auf das vorher absolut professionelle Handeln.

      Über das Warum hatten sie lange, ergebnislose Diskussionen geführt. Die Mehrzahl der Kollegen schloss sich der Auffassung an, es könnte eine Art Bestrafung für die als Versehen oder als Überreaktion eingestufte Ermordung des alten Mannes sein. Aber je länger Hajo Steinert darüber nachdachte, umso unwahrscheinlicher hielt er diese Variante. Es musste einen anderen Grund geben. Der gescheiterte und beinahe tölpelhafte Versuch, die ermordeten Komplizen zu verbrennen, war ein Zeichen dafür, dass etwas Gravierendes geschehen sein musste, etwas, das zu diesen hektischen, ungeplant wirkenden Abläufen geführt hatte.

      Nichts, wirklich absolut nichts hatten sie bislang ermitteln können, was die eine oder auch andere Theorien stützen könnte.

      Mit den Aufzeichnungen der Überwachungskameras, unmittelbar, bevor sie außer Gefecht gesetzt wurden, ließ sich nichts anfangen. Schemenhafte Gestalten, die so auf keinen Fall identifizierbar waren. Steinert fragte sich zum wiederholten Male, welchen Nutzen Überwachungsgeräte von solch schlechter Auflösung darstellten.

      Die vorgefundenen Spuren und sichergestellten Beweismittel waren sehr überschaubar. Die Täter ließen kein Werkzeug zurück und sammelten auch die Zünder samt Draht wieder ein. In Niedersachsen war ein Zündmechanismus gefunden worden, ein einfacher Brückenzünder für eine Auslösung per Batterie, Massenartikel aus dem Elektronikhandel oder bei EBay. Neu war nur, dass er zurückgelassen wurde, ein weiteres Anzeichen, dass das Geschehen aus dem Ruder gelaufen war. Das wiederholt benutzte Gewebeklebeband, um Ritzen abzudichten und so ein vorzeitiges Entweichen des eingeleiteten Gases zu verhindern, stammte aus dem Baumarkt. Daran festgestellte Faserspuren wiesen lediglich darauf hin, dass die Täter bei der Tatbegehung neuwertige Textilhandschuhe trugen, ebenfalls aus Massenproduktion.

      Der erste gestohlene Pkw, der zweifelsfrei der Tätergruppierung für eine Tat zugeordnet werden konnte, war der in Schleswig-Holstein sichergestellte BMW Kombi. Dass der zufällig anwesende Bauer einen Brand verhindert hatte, war ein Glücksfall. Von der Spurensuche, die die Kollegen des Nachbarbundeslandes sehr akribisch betrieben, erwartete sich Steinert den größten Schub für die Ermittlungen. Er rechnete damit, schon bald DNA von drei oder vier Tätern zu haben.

      Die Schleswig-Holsteiner hatten zudem Isotopengutachten für die beiden Ermordeten in Auftrag gegeben. Durch die Untersuchung von verschiedenen Gewebeproben der Toten, Haare, Nägel, Knochen, Zähne auf bestimmte Bio- und Geoelemente ließen sich Rückschlüsse über Ernährungsweise und Aufenthaltsorte, von der Kindheit bis zum Tod, gewinnen.

      Mit etwas Glück ließe sich eine begrenzte Region feststellen, in der man mithilfe der Fotos der Toten die Ermittlungen ansetzen konnte. Denn dass sie nicht aus der hiesigen Gegend stammten, davon ging Steinert mit Sicherheit aus.

      Die Kollegin Gebhardt, die einige Male laut hörbar ihren Kaffee schlürfte, riss ihn aus seinen Überlegungen.

      „Willst du auf den Zeitungsartikel reagieren?“

      Steinert winkte ab. Der beste Kommentar war in solchen Fällen kein Kommentar. Obwohl es ihn geärgert hatte, sein Bild in der Zeitung zu sehen. Er hatte lange überlegt, wo es wohl gemacht worden sein könnte. Weil es stark vergrößert war, konnte man außer seinem Kopf nur Teile des Wagendaches, in den er gerade einstieg und im Hintergrund eine geklinkerte Hauswand sehen. Auf dem Bild sah er furchtbar müde aus, das fand sogar seine Frau, die ihn gleich morgens im Büro anrief. Da war der Artikel längst Gesprächsstoff in der Dienststelle. Er begann mit der fragenden Überschrift: „Hat die Russenmafia auch den deutschen Norden im Griff?“

      Geschickt stellte die Journalistin einen Zusammenhang zwischen den Taten in Hamburg, dem erschossenen Rentner in Niedersachsen und den beiden aufgefundenen Toten in Schleswig-Holstein her. Irgendjemand schien sie mit Informationen zu versorgen, aber das war ja nichts Ungewöhnliches. Der Artikel war im Großen und Ganzen sachlich gehalten, spekulierte natürlich in verschiedene Richtungen und endete mit dem Satz: „dass das LKA Hamburg in Person von Kriminalhauptkommissar Hajo Steinert federführend die Ermittlungen betreibt, bestätigt die Brisanz der Fälle.“

      Je länger er sich das Abbild von sich angesehen hatte, umso mehr kam er zu der einen Erkenntnis: Das Bild konnte nur am Tatort in Niedersachsen geschossen worden sein. Da hatte er einen Nachtdienst hinter sich, entsprechend umnachtet und fertig sah er aus.

      13.

      Verblüfft starrte Valentin Klein auf das Display seines Handys und zog eine Augenbraue hoch.

      „Entschuldigung“, meinte er zu seinem Kunden, der sich gerade die Einbauküche er Eigentumswohnung anschaute und drehte sich seitlich weg.

      „Was ist? Warum rufst ausgerechnet du an?“

      „Er konnte abhauen.“

      Klein schüttelte genervt den Kopf. Die Jungs ließen Rimma Gadamurova anrufen, weil sie sich selbst nicht trauten. Rimma wusste, dass es keinen Sinn machte, ihrem Chef mit fadenscheinigen Ausflüchten zu kommen, also sagte sie es genauso so, wie es war. In der Leitung blieb es still, nur die Atemgeräusche des jeweils anderen waren hören.

      „Ich bin gerade mit einem Kunden unterwegs. Wir sehen uns in einer Stunde im Büro.“

      „Und die Jungs?“

      „Die sollen mir bloß nicht unter die Augen kommen. Sag ihnen, sie sollen alle Kontakte abklappern und damit meine ich alle. Auch die, die wir in letzter Zeit reingeholt haben, irgendwo muss er sich verkrochen haben. Und das Ganze ohne Aufsehen, klar?“

      Er unterbrach die Verbindung und sprach wieder deutsch, wobei er sofort die Tonlage wechselte.

      „Was sagen Sie? Wie gefällt Ihnen die Küche? Sagen Sie selbst, so ein Sahnestück hätten Sie in dieser Preisklasse nicht vermutet.“

      Die Hand des bulligen Mannes strich zärtlich über die Arbeitsplatte.

      „Nero Assoluto. Schauen Sie mal ganz genau hin, nur minimale helle Einschlüsse im Material, wirklich dunkel wie der sprichwörtliche Arsch des russischen Bären.“

      Er lachte laut schallend und klopfte dem Mann jovial auf die Schulter. Der blieb ernst und blickte skeptisch drein. Dieses Verhalten war Klein zur Genüge vertraut, dafür war er ein viel zu gewiefter Verkäufer, der alle Tricks kannte. Er lächelte und ließ dem Käufer die Illusion, dass er noch etwas feilschen konnte. Dabei hatte der Mann längst angebissen. Er hätte besser seine Körpersprache kontrollieren sollen, als jetzt dieses langweilige Spielchen zu versuchen. Seine Augen leuchteten für einen winzigen Moment wie ein Kleinkind vor dem Weihnachtsbaum beim Anblick der Einbauküche. Schon allein, wie er sie berührte, beinahe ehrfürchtig. Also bearbeitete er ihn weiter.

      „In dieser Qualität äußerst selten und nicht einfach nur drei Zentimeter dick, sondern fünf, damit diese Auffangrinne gefräst werden konnte.“

      „Ich bringe beim nächsten Mal meine Frau mit, die muss auch noch mal schauen. Heute musste sie leider passen.“

      „Kein