Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Christian Andersen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746750194
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und das meinten sie. sei nicht der Fall, wenn sie sich für Geld erheben ließen. Mein Großvater, der Baron wurde, war deren Sohn, er soll ein sehr gelehrter Mann, soll sehr angesehen und beliebt bei Prinzen und Prinzessinnen und bei Hoffesten zugegen gewesen sein. Ihn lieben die Andern zu Hause am meisten, aber, ich weiß nicht, mir scheint es, als sei Etwas an jenem alten Paare, das mein Herz zu ihnen zieht! Wie gemüthlich, wie patriarchalisch muß es auf dem alten Hofe gewesen sein, woselbst die Hausmutter am Spinnrade mit ihren Mägden saß und der alte Herr laut aus der Bibel vorlas!«

      »Das sind herrliche, vernünftige Leute gewesen!« sagte der Predigersohn, und mit diesen Worten kam die Rede wie von selbst auf Adelige und Bürgerliche; es war fast, als gehöre der Predigersohn nicht dem Bürgerstande an, in solcher Weise sprach er über die Bedeutung adelig zu sein.

      »Es ist ein Glück, einer Familie anzugehören, die sich ausgezeichnet hat, und dadurch gleichsam einen Sporn im Blute zu besitzen, um vorwärts zu schreiten in Allem, was tüchtig ist. Herrlich ist es, einen Familiennamen zu haben, der als Eintrittskarte in die höchsten Kreise gilt. Adel bedeutet edel, es ist die Goldmünze, die das Gepräge Dessen erhalten hat, was sie selbst werth ist. – Es ist der Ton der Zeit, und viele Poeten schlagen natürlicherweise diesen Ton an, daß Alles, was adelig ist, auch schlecht und dumm, daß aber bei den Armen, je niedriger man steige, Alles um so mehr glänze. Allein das ist nicht meine Ansicht, denn sie ist falsch. In den höheren Ständen findet man viele ergreifend schöne Züge; meine Mutter hat mir einen solchen erzählt, und ich könnte mehrere mittheilen. Sie war auf Besuch in einem vornehmen Hause in der Stadt; meine Großmutter, glaube ich, hatte die gnädige Frau als Kind gestillt. Meine Mutter und der hochadelige Herr befanden sich allein im Zimmer; da sieht dieser, daß unten im Hofe eine alte Frau auf Krücken hereinkommt, jeden Sonntag kam sie und holte sich eine Gabe. »Das ist die arme Alte,« sagte der Herr, »es wird ihr das Gehen so sauer« – und ehe noch meine Mutter diese Worte verstand, war er durch die Thür verschwunden und die Treppe hinabgestiegen, um ihr den beschwerlichen Gang nach der Gabe, die sie zu holen kam, zu ersparen. Das ist zwar nur ein kleiner Zug, aber wie die Gabe der armen Witwe in der Bibel hat er einen Klang, der wiederhallt in der Tiefe des Herzens, in der menschlichen Natur; und darauf soll der Dichter zeigen und zielen; in der jetzigen Zeit gerade soll er davon singen: es thut wohl, es mildert und versöhnt! Aber wo ein Stückchen Mensch, weil er von Blute ist und eine Stammtafel besitzt, wie die arabischen Pferde auf den Hinterbeinen steht und wiehert auf der Straße und in der Stube sagt: »Hier sind Leute von der Straße gewesen!« wenn ein Bürgerlicher dort war, – da ist der Adel in der Verwesung begriffen, zur Maske geworden, und zwar der Art, wie Thespis sie schuf, und man belustigt sich, wenn die Person der Satyre anheimfällt!«

      Das war die Rede des Predigersohns; dieselbe war ein wenig lang, aber unterdessen war denn auch die Flöte geschnitten.

      Auf dem Hofe war große Gesellschaft; viele Gaste aus der Umgegend und der Hauptstadt; viele Damen geschmackvoll und geschmacklos gekleidet; der große Saal war ganz voll von Menschen. Die Prediger aus der Umgegend standen ehrerbietigst aneinander gedrückt in einer Ecke, es sah aus, als sei hier ein Begräbniß, es war aber ein Freudenfest, nur daß die Freude noch nicht im Gange war.

      Ein großes Concert sollte aufgeführt werden, und deshalb hatte der kleine Baron auch seine Weidenflöte mit hereingebracht, aber er konnte keinen Ton hervorbringen, und Papa auch nicht, und darum taugte die Flöte nichts.

      Es gab Musik und Gesang von der Art, welche Diejenigen am meisten erfreut, die sie ausführen; sonst ganz allerliebst!

      »Sie sind ein Virtuos?« sagte ein Cavalier, der Sohn seines Vaters; »Sie blasen die Flöte, Sie verfertigen sie selbst; das ist das Genie, das herrscht – dem gebührt der Ehrenplatz!« – »Gott bewahre! Ich schreite immer mit der Zeit fort, das muß man schon!« »Nicht wahr, Sie werden uns Alle durch das kleine Instrument entzücken?« Und mit diesen Worten reichte er dem Predigersohne die Flöte, die aus dem Weidenbaume, der unten an dem Tümpel wuchs, geschnitten war, und verkündete laut, daß der Hauslehrer ein Solo auf dieser Flöte vortragen wolle.

      Man wollte ihn zum Besten haben, das war leicht einzusehen, und der Hauslehrer wollte darum auch nicht blasen, obgleich er es wohl konnte; doch man drang in ihn, man bestürmte ihn, und endlich nahm er die Flöte und setzte sie an die Lippen.

      Das war eine wunderbare Flöte; ein Ton, so anhaltend, wie er von der Dampflocomotive klingt, ja weit stärker, ertönte und erscholl über Hof, Garten und Wald, meilenweit ins Land hinaus, und gleichzeitig mit dem Tone kam ein Sturmwind heran, der da brauste: »Alles am rechten Platze!« – und dabei flog Papa wie vom Winde getragen aus dem Saale und geraden Wegs in die Behausung des Schäfers, und der Schäfer flog – nicht in den Saal, dorthin konnte er nicht kommen, nein, in das Zimmer der Dienerschaft, unter die feinen Bedienten hinauf, die dort in seidenen Strümpfen umherstolzirten; und die hochmüthigen Diener waren wie von der Gicht gelähmt, daß eine solche Person es wagen dürfe, sich mit ihnen zu Tische zu setzen.

      Aber in der Halle flog die junge Baronesse an den Ehrenplatz der Tafel hinauf, dahin, wo zu sitzen sie würdig war, und der Predigersohn erhielt seinen Sitz neben ihr, und dort saßen sie Beide, als seien sie ein Brautpaar. Ein alter Graf aus einer der ältesten Familien des Landes blieb unangetastet auf seinem Ehrenplatze; denn die Flöte war gerecht, und das muß man sein. Der witzige Cavalier, welcher Schuld an dein Flötenspiele und seiner Eltern Kind war, flog kopfüber in den Hühnerstall, aber nicht allein.

      Eine ganze Meile ins Land hinaus ertönte die Flöte, und man vernahm große Ereignisse. Eine reiche Banquiersfamilie, die mit Vieren dahinfuhr, wurde aus dem Wagen geblasen und konnte nicht einmal hinten auf demselben Platz finden; zwei reiche Bauern, die in unserer Zeit über ihr eigenes Kornfeld emporgeschossen waren, wurden in den Graben geschleudert; es war eine gefährliche Flöte; glücklicherweise zersprang sie bei dem ersten Tone, und das war gut, denn darauf wurde sie wieder in die Tasche gesteckt: »Alles am rechten Platze!«

      Tags darauf sprach man kein Wort Von diesem Ereignisse, – daher die Redensart: »Die Flöte einstecken!« Alles war auch wieder in gewohnter Ordnung, nur daß die beiden alten Bilder, der Krämer und das Gänsemädchen, im Festsaale hingen, dort an die Wand waren sie hinaufgeblasen, und da einer der wirklichen Kunstkenner sagte, sie seien von Meisterhand gemalt, so blieben sie auch hängen und wurden restaurirt. »Alles am rechten Platze!« und dahin wird es auch kommen! Die Ewigkeit ist lang, länger als diese Geschichte!

      Es war einmal ein kleines Mädchen, fein und niedlich! Aber im Sommer mußte sie immer mit bloßen Füßen gehen, denn sie war arm, und im Winter mit großen Holzschuhen, so daß die kleine Spanne roth wurde, und zwar ganz und gar.

      Mitten im Dorfe wohnte eine alte Schuhmachersfrau; die saß und nähte, so gut sie konnte, aus alten, rothen Tuchstreifen ein Paar kleine Schuhe; sie waren plump, aber es war gut gemeint; die sollte das kleine Mädchen haben. Dieses hieß Karen.

      An dem Tage, als ihre Mutter begraben wurde, erhielt sie die rothen Schuhe und hatte sie zum ersten Male an. Freilich war es nichts, um damit zu trauern; aber sie hatte keine anderen, und daher steckte sie die bloßen Füße hinein und ging hinter dem ärmlichen Sarge her.

      Da kam ein großer, alter Wagen, und darin saß eine alte Dame; die betrachtete das kleine Mädchen und fühlte Mitleid mit ihr und sagte zum Prediger: »Hört, gebt mir das kleine Mädchen, dann werde ich mich ihrer annehmen!«

      Und Karen glaubte, das geschähe Alles nur der rothen Schuhe wegen; aber die alte Dame meinte, die seien abscheulich; und sie wurden verbrannt. Aber Karen selbst wurde rein und nett angezogen; sie mußte lesen und nähen lernen und die Leute sagten, sie sei niedlich. Der Spiegel aber sagte: »Du bist mehr als niedlich; Du bist schön!«

      Da reiste die Königin einst durch das Land und hatte ihre kleine Tochter bei sich: die war eine Prinzessin. Die Leute strömten nach dem Schlosse hin, und unter ihnen war Karen denn auch, und die kleine Prinzessin stand in feinen, weißen Kleidern in einem Fenster und ließ sich anstaunen. Sie hatte weder Schleppe, noch Goldkrone, aber herrliche, rothe Saffianschuhe; die waren freilich schöner als die, welche die Schuhmachersfrau der kleinen Karen genäht hatte. Nichts