Hans Christian Andersen - Gesammelte Werke. Hans Christian Andersen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Christian Andersen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746750194
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Reisenden« – hier wird der Name eines ihrer Zeitgenossen genannt – »in seinem berühmten Werke: Ganz Europa in acht Tagen zu sehen

Illustration: Hutschenreuter/Petersen

      Es war einmal eine Frau, die sich ein ganz kleines Kind sehr wünschte; aber sie wußte nicht, woher sie es nehmen sollte. Da ging sie zu einer alten Hexe und sagte zu ihr: »Ich möchte so herzlich gern ein kleines Kind haben, kannst Du mir nicht sagen, wo ich das bekommen kann?«

      »O, damit wollen wir schon fertig werden!« sagte die Hexe. »Da hast Du ein Gerstenkorn; das ist nicht von der Art, wie die, welche auf des Landmanns Felde wachsen, oder welche die Hühner zu fressen erhalten lege es in einen Blumentopf, so wirst Du was zu sehen bekommen!«

      »Ich danke Dir!« sagte die Frau und gab der Hexe zwölf Schillinge; denn so viel kostete es. Dann ging sie nach Hause und pflanzte das Gerstenkorn; sogleich wuchs da eine herrliche, große Blume, die aussah, wie eine Tulpe, aber die Blätter schlossen sich fest zusammen, als ob sie noch Knospe wäre.

      »Das ist eine schöne Blume!« sagte die Frau und küßte sie auf die rothen und gelben Blätter; aber indem sie darauf küßte, öffnete sich die Blume mit einem Knalle. Es war eine wirkliche Tulpe, wie man nun sehen konnte; aber mitten in der Blume saß auf dem grünen Sammetgriffel ein kleines Mädchen, gar fein und niedlich! Es war kaum einen halben Daumen hoch, und deshalb wurde es Däumelinchen genannt.

      Eine niedliche, lackirte Wallnußschale bekam Däumelinchen zur Wiege, blaue Veilchenblätter waren ihre Matratzen und ein Rosenblatt ihre Decke, Da schlief sie des Nachts, aber am Tage spielte sie auf dem Tische, wo die Frau einen Teller hingestellt und ringsum mit einem Kranze von Blumen belegt hatte, deren Stengel im Wasser standen; darin schwamm ein großes Tulpenblatt, und auf diesem konnte sie sitzen und von der einen Seite des Tellers nach der andern fahren, zum Rudern hatte sie zwei weiße Pferdehaare. Das sah wunderhübsch aus! Sie konnte auch singen, und zwar so zart und fein, wie man es noch nie gehört hatte. –

      Einst als sie Nachts in ihrem schönen Bette lag, kam eine alte Kröte durch das Fenster, in dem eine Scheibe entzwei war, hereingekrochen. Die Kröte war sehr häßlich, groß und naß; sie hüpfte auf den Tisch hinab, wo Däumelinchen lag und unter dem rothen Rosenblatte schlief.

      »Das wäre eine schöne Frau für meinen Sohn!« sagte die Kröte und nahm die Wallnußschale, worin Däumelinchen schlief und hüpfte mit ihr durch's Fenster, in den Garten hinunter.

      Dort floß ein großer, breiter Bach; aber das Ufer war sumpfig und morastig; hier wohnte die Kröte mit ihrem Sohne, Hu! der war häßlich und garstig und glich ganz seiner Mutter. »Koax, loa;, brekkekekex!« Das war Alles, was er sagen konnte, als er die niedliche Kleine in der Wallnußschale erblickte.

      »Sprich nicht so laut, denn sonst erwacht sie!« sagte die alte Kröte. »Sie könnte uns noch entlaufen, denn sie ist so leicht, wie ein Schwanenflaum! wir wollen sie auf eins der breiten Nixenblumenblatter in den Bach setzen; das ist für sie, die so leicht und klein ist, eine Insel! Da kann sie nicht davon laufen, wahrend wir die Staatsstube unter dem Moraste, wo Ihr wohnen und Hausen sollt, in Stand setzen.«

      Draußen in dem Bache wuchsen viele Nixenblumen mit breiten grünen Blättern, welche aussahen, als schwämmen sie oben auf dem Wasser; das Blatt, welches am weitesten lag, war auch das größte; da schwamm die alte Kröte hinaus und setzte die Wallnußschale mit Däumelinchen darauf.

      Das kleine, kleine Däumelinchen erwachte früh Morgens, und als sie sah, wo sie war, fing sie recht bitterlich an zu weinen; denn es war an allen Seiten des großen, grünen Blattes Wasser, und sie konnte nicht an das Land kommen.

      Die alte Kröte saß unten im Moraste und putzte ihre Stube mit Schilf und gelben Fischblattblumen aus; es sollte da recht hübsch für die neue Schwiegertochter werden; dann schwamm sie mit dem häßlichen Sohne zum Blatte hinaus, wo Däumelinchen war. Sie wollten ihr hübsches Bett holen, das sollte in das Brautgemach gestellt werden, bevor sie es selbst betrat. Die alte Kröte verneigte sich tief im Wasser vor ihr und sagte: »Hier siehst Du meinen Sohn; er wird Dein Mann sein, und Ihr werdet recht prächtig unten im Moraste wohnen!«

      »Koax, koax, brekkekekex!« war Alles, was der Sohn sagen konnte.

      Dann nahmen sie das niedliche, kleine Bett und schwammen damit fort; aber Däumelinchen saß allein auf dem grünen Blatte und weinte, denn sie mochte nicht bei der garstigen Kröte wohnen oder ihren häßlichen Sohn zum Manne haben. Die kleinen Fische, welche unten im Wasser schwammen, hatten die Kröte wohl gesehen und auch gehört, was sie gesagt hatte; deshalb streckten sie die Köpfe hervor: sie wollten auch das kleine Mädchen sehen. Sobald sie es erblickten, fanden sie dasselbe so niedlich, daß es ihnen recht leid that, daß es zur häßlichen Kröte hinunter sollte. Nein, das durfte nie geschehen! Sie versammelten sich unten im Wasser rings um den grünen Stengel, welcher das Blatt hielt, auf dem es stand und nagten mit den Zähnen den Stiel ab; da schwamm das Blatt den Bach hinab und Däumelinchen davon, weit weg, wo die Kröte sie nicht erreichen konnte.

      Däumelinchen segelte an vielen Städten vorbei, und die kleinen Vögel saßen in den Büschen, sahen sie und sangen: »Welch' liebliches, kleines Mädchen!« Das Blatt schwamm mit ihm immer weiter und weiter fort; so reiste Däumelinchen außer Landes.

      Ein niedlicher, kleiner, weißer Schmetterling umflatterte sie stets und ließ sich zuletzt auf das Blatt nieder; Däumelinchen gefiel ihm, und sie war sehr erfreut darüber; denn nun konnte die Kröte sie nicht erreichen, und es war so schön, wo sie fuhr; die Sonne schien auf das Wasser und dieses glänzte, wie das herrlichste Silber. Sie nahm ihren Gürtel und band das eine Ende um den Schmetterling; das andere Ende des Bandes befestigte sie am Blatte; das glitt nun schneller davon und sie mit, denn sie stand ja auf demselben.

      Da kam ein großer Maikäfer angeflogen, der erblickte sie und, schlang augenblicklich seine Klauen nm ihren schlanken Leib und flog mit ihr auf den Baum. Das grüne Blatt schwamm den Bach hinab, und der Schmetterling mit, denn er war an dem Blatte festgebunden und konnte nicht von ihm loskommen.

      Gott, wie war das arme Däumelinchen erschrocken, als der Maikäfer mit ihr auf den Baum flog. Aber hauptsächlich war sie wegen des schönen, weißen Schmetterlings betrübt, den sie festgebunden hatte; im Fall er sich nun nicht befreien könnte, müßte er ja verhungern. Allein darum kümmerte sich der Maikäfer nicht. Er setzte sich mit ihr auf das größte grüne Blatt des Baumes, gab ihr das Süße der Blumen zu essen und sagte, daß sie sehr niedlich sei, obgleich sie einem Maikäfer durchaus nicht gliche. Später kamen alle andern Maikäfer, die auf dem Baume wohnten, und machten Visite; sie betrachteten Däumelinchen und sagten: »Sie hat nicht einmal mehr als zwei Beine, das sieht erbärmlich aus!« »Sie hat keine Fühlhörner!« sagte ein Anderer. »Sie ist so schlank in der Taille; pfui! sie sieht wie ein Mensch aus! Wie sie häßlich ist!« sagten alle Maikäferinnen, und doch war Däumelinchen gar niedlich. Das erkannte auch der Maikäfer, der sie geraubt hatte. Aber als alle Andern sagten, sie sei häßlich, glaubte er es zuletzt auch und wollte sie nicht haben; sie könne gehen, wohin sie wolle. Nun flogen sie mit ihr den Baum hinab und setzten sie auf ein Gänseblümchen; da weinte sie, weil sie so häßlich sei, daß die Maikäfer sie nicht haben wollten, und doch war sie das Lieblichste, was man sich denken konnte, so fein und zart, wie das schönste Rosenblatt.

      Den ganzen Sommer über lebte das arme Däumelinchen allein in dem großen Walde. Sie flocht sich ein Bett aus Grashalmen und hing es unter einem Kleeblatte auf, so war sie vor dem Regen geschützt; sie pflückte das Süße der Blumen zur Speise und trank vom Thau, der jeden Morgen auf den Blättern stand. So vergingen Sommer und Herbst, aber nun kam der Winter, der kalte, lange Winter. Alle Vögel die so schön von ihr gesungen hatten, flogen davon; Bäume und Blumen entblätterten sich; das große Kleeblatt, unter dem sie gewohnt hatte, rollte zusammen, und es blieb nichts, als ein verwelkter Stengel zurück; sie fror schrecklich, denn ihre Kleider waren entzwei, und sie war selbst so fein und klein, das arme Däumelinchen: sie mußte erfrieren. Es fing an zu schneien, und jede Schneeflocke, die auf sie fiel, war, als wenn man auf uns eine ganze Schaufel voll wirft; denn wir