»Aber schön ist es doch, was Du gemacht hast, Großvater!« sagte sie. » Holger Danske und unser ganzes altes Wappen! – Es ist mir, als hätte ich dieses Gesicht schon früher gesehen!«
»Nein, das hast Du wohl nicht!« sagte der alte Großvater; »aber ich habe es gesehen, und ich habe gestrebt, es in Holz zu schneiden, wie ich es in der Erinnerung erhalten habe. Es war damals, als die Engländer auf der Rhede lagen; am dänischen zweiten April[13], als wir zeigten, daß wir alte Dänen wären! Auf dem »»Dänemark««, wo ich in Steen Bille's Escadre stand, hatte ich einen Mann zur Seite; es war, als fürchteten sich die Kugeln vor ihm! Lustig sang er alte Lieder und schoß und kämpfte, als wäre er mehr, denn ein Mensch. Ich erinnere mich seines Antlitzes noch; aber woher er kam und wohin er ging, weiß ich nicht, weiß Niemand. Ich habe oft gedacht, das möchte der alte Holger Danske wohl selbst gewesen sein, der von Kronburg herabgeschwommen und uns in der Stunde der Gefahr geholfen; das war nun so meine Idee, und dort steht sein Bild.«
Und dieses warf seinen großen Schatten gegen die Wand hinauf, selbst über einen Theil der Decke; es sah aus, als wäre es der wirkliche Holger Danske selbst, der dahinter stände; denn der Schatten bewegte sich; aber es konnte auch daher rühren, daß die Flamme des Lichtes nicht gleichmäßig brannte. Und die Schwiegertochter küßte den alten Großvater und führte ihn nach dem großen Lehnstuhle vor dem Tische; und sie und ihr Mann, der des alten Großvaters Sohn und Vater des kleinen Knaben war, der im Bette lag, saßen und speisten ihr Abendbrot; und der alte Großvater sprach von den dänischen Löwen und den dänischen Herzen, von der Stärke und der Milde; und deutlich erklärte er, daß es noch eine Stärke außer der gebe, welche im Schwerte liege; und er zeigte nach dem Brette, wo alte Bücher standen, wo Holberg's Komödien lagen, die so oft gelesen waren; denn sie waren sehr belustigend; man meinte, alle die Personen vergangener Tage darin zu erkennen.
»Sieh, der hat auch zu schlagen verstanden!« sagte der alte Großvater; »er hat das Unverständige und Eckige der Leute, so lange er konnte, gegeißelt!« Und der Großvater nickte zum Spiegel hin, wo der Kalender mit dem »runden Thurm«[14] darauf hing, und sagte: » Tycho Brahe war auch Einer, der das Schwert gebrauchte, nicht um in Bein und Fleisch zu hauen, sondern um einen deutlicheren Weg zwischen alle Sterne des Himmels hinauf zu bauen! – Und dann Er, dessen Vater meinem Stande angehörte, des alten Bildschnitzers Sohn, Er, den wir selbst gesehen haben mit dem weißen Haare und den breiten Schultern, Er, der in allen Ländern genannt wird! Ja, er konnte hauen, ich kann nur schnitzen! Ja, Holger Danske kann in vielen Gestalten kommen, sodaß man in allen Ländern der Welt von Dänemarks Stärke hört! Wollen wir nun Bertel's[15] Gesundheit trinken?«
Aber der kleine Knabe im Bette sah deutlich das alte Kronburg mit dem Oeresund, den wirklichen Holger Danske, der tief unten mit dem Barte im Marmortische festgewachsen saß und von Allem, was hier oben geschieht, träumte. Holger Danske träumte auch von der kleinen ärmlichen Stube, wo der Bildschnitzer saß; er hörte Alles, was da gesprochen wurde, und nickte im Traume und sagte:
»Ja, erinnert Euch meiner nur, Ihr dänischen Leute! Behaltet mich im Andenken! Ich komme in der Stunde der Noth!«
Und draußen vor Kronburg schien der helle Tag, und der Wind trug die Töne des Jagdhorns herüber vom Nachbarlande; die Schiffe segelten vorbei und grüßten: »Bum! Bum!« Und von Kronburg antwortete es: »Bum! Bum!« Aber Holger Danske erwachte nicht, so stark sie auch schössen, denn es war ja nur »Guten Tag« – »Schöner Dank!« Da muß anders geschossen werden, bevor er erwacht; aber er erwacht wohl, denn es ist Mark in Holger Danske.
In Jahrtausenden.
Ja, in Jahrtausenden werden sie auf den Flügeln des Dampfes durch die Luft über das Weltmeer herüberkommen! Die jungen Bewohner Amerika's werden die Besucher des alten Europa's sein. Sie werden wegen der Denkmäler hier und der alsdann versinkenden Städte herüberziehen, wie wir in unserer Zeit nach den hinfälligen Herrlichkeiten Süd-Asiens wallfahrten.
In Jahrtausenden werden sie kommen.
Die Themse, die Donau, der Rhein rollen noch dahin, der Montblanc steht noch mit seinem schneebedeckten Gipfel da, die Nordlichter strahlen noch über die Lande des Nordens; aber ein Geschlecht nach dem andern ist Staub geworden, ganze Reihen der Mächtigen des Augenblicks sind vergessen, vergessen wie diejenigen, die jetzt schon unter dem Hügel schlummern, auf welchem der vermögende Höcker, auf dessen Grund und Boden er sich befindet, eine Bank gezimmert hat, um dort zu sitzen und über sein flaches wogendes Kornfeld hinauszuschauen.
»Nach Europa!« rufen die jungen Söhne Amerika's – »nach dem Lande der Väter, dem herrlichen Lande der Denkmäler und der Phantasie, nach Europa!«
Das Luftschiff kommt; es ist mit Reisenden überfüllt, denn die Fahrt ist schneller als zur See, der elektromagnetische Draht unter dem Weltmeere hat bereits telegraphirt, wie groß die Luftkarawane ist, schon ist Europa in Sicht, es ist die Küste von Irland, die man erblickt, aber die Passagiere schlafen noch, sie wollten erst dann geweckt sein, wenn sie gerade über England sind; dort betreten sie den Boden Europa's im Lande Shakespeare's, wie es bei den Söhnen des Geistes heißt, – im Lande der Politik, im Lande der Maschinen, – so nennen es Andere.
Hier verweilt man einen ganzen Tag, so viel Zeit hat das geschäftige Geschlecht auf das große England und Schottland zu verwenden.
Die Fahrt geht weiter durch den Canal-Tunnel nach Frankreich, dem Lande Karl's des Großen und Napoleon's; Moliere wird genannt, die Gelehrten reden von einer classischen Schule des fernen Alterthums, es wird gejubelt und man läßt Helden, Dichter und Männer der Wissenschaft hoch leben, die unsere Zeit nicht kennt, die aber auf dem Krater Europa's, Paris, geboren werden sollen.
Der Luftdampfer fliegt über das Land hin, von welchem Columbus ausging, wo Cortez geboren wurde, und wo Calderon Dramen in wogenden Versen sang; reizende schwarzäugige Frauen wohnen noch in den blühenden Thälern, und die ältesten Lieder nennen den Cid und Alhambra.
Durch die Luft über das Meer nach Italien, dorthin, wo die alte ewige Roma lag; es ist verschwunden, die Campagna ist verödet: von der Peterskirche zeigt man eine einsame übrig gebliebene Mauerruine, aber man zweifelt an ihrer Echtheit.
Nach Griechenland, um eine Nacht in dem reichen Hôtel, hoch am Gipfel des Olymps, zu schlafen, dann ist man da gewesen; die Fahrt geht weiter zum Bosporus, um dort einige Stunden auszuruhen und die Stätte zu sehen, wo Byzanz lag; dort, wo die Sage vom Garten des Harems zur Zeit der Türken spricht, spannen arme Fischer ihre Netze aus.
Ueber die Reste mächtiger Städte an der starken Donau, Städte, die unsere Zeit nicht kannte, fliegt man dahin; aber hier und da – an den reichen Stätten der Denkmäler, derer, die entstehen, und welche die Zeit gebären wird – hier und da läßt die Luftkarawane sich nieder und hebt sich wieder.
Dort unten liegt Deutschland – das einst von dem dichtesten Netze von Eisenbahnen und Canälen umsponnen war – die Länder, wo Luther sprach, Goethe sang, und Mozart einst das Scepter der Töne führte! Große Namen strahlen in Wissenschaft und Kunst, Namen, die wir nicht kennen. Einen Tag Aufenthalt für Deutschland, und einen für den Norden, für das Vaterland Oersted's und für das Linné's, und für Norwegen, das Land der alten Helden und der jungen Normannen.
Island wird auf der Rückfahrt mitgenommen; der Geyser siedet nicht mehr, Hekla ist erloschen, aber eine ewige Steintafel der Saga, wurzelt die starke Felseninsel inmitten des brausenden Meeres.