Als es nun Herbst wurde, hatte Däumelinchen die ganze Aussteuer fertig.
»In vier Wochen sollst Du Hochzeit halten!« sagte die Feldmaus zu ihr. Aber Däumelinchen weinte und sagte, sie wolle den langweiligen Maulwurf nicht haben.
»Schnickschnack!« sagte die Feldmaus; »sei nicht widerspenstig, denn sonst werde ich Dich mit meinen weißen Zähnen beißen! Es ist ja ein schöner Mann, den Du bekommst! Die Königin selbst hat nicht solch' einen schwarzen Sammetpelz! Er hat Küche und Keller voll. Danke Gott dafür!«
Nun sollte die Hochzeit sein. Der Maulwurf war schon gekommen, Däumelinchen zu holen; sie sollte bei ihm wohnen, tief unter der Erde, und nie an die warme Sonne hinauskommen, denn die mochte er nicht leiden. Die arme Kleine war sehr betrübt; sie sollte nun der schönen Sonne Lebewohl sagen, die sie doch bei der Feldmaus Erlaubniß gehabt hatte von der Thüre aus zu sehen.
»Lebe wohl, du helle Sonne!« sagte sie, streckte die Arme hoch empor und ging auch eine kleine Strecke vor dem Hause der Feldmaus weiter; denn nun war das Korn geerntet, und hier standen nur die trockenen Stoppeln. »Lebe wohl, lebe wohl!« sagte sie und schlang ihre Arme um eine kleine, rothe Blume, die da noch blühte. »Grüße die kleine Schwalbe von mir, wenn Du sie zu sehen bekommst!«
»Quivit, quivit!« ertönte es plötzlich über ihrem Kopfe; sie sah empor; es war die kleine Schwalbe, die gerade vorbeikam. Sobald sie Däumelinchen erblickte, wurde sie sehr froh; diese erzählte ihr, wie ungern sie den häßlichen Maulwurf zum Manne nehme, und daß sie dann tief unter der Erde wohnen solle, wohin nie die Sonne scheine. Sie konnte sich nicht enthalten, dabei zu weinen.
»Nun kommt der kalte Winter,« sagte die kleine Schwalbe; »ich fliege weit fort nach den warmen Ländern; willst Du mit mir kommen? Du kannst auf meinem Rücken sitzen; dann fliegen wir von dem häßlichen Maulwurf und seiner dunklen Stube fort, weit weg, über die Berge, nach den warmen Ländern, wo die Sonne schöner scheint wie hier, wo immer Sommer ist und es herrliche Blumen giebt. Fliege nur mit mir, Du liebes, kleines Däumelinchen, die mein Leben gerettet hat, als ich erfroren in dem dunklen Erdkeller lag!«
»Ja, ich werde mit Dir ziehen,« sagte Däumelinchen, setzte sich auf des Vogels Rücken, mit den Füßen auf seine entfaltete Schwinge, und band ihren Gürtel an einer der stärksten Federn fest; da flog die Schwalbe hoch in die Luft, über Wald und See, hoch hinauf über die großen Berge, wo immer Schnee liegt. Und Däumelinchen fror in der kalten Luft, aber dann verkroch sie sich unter des Vogels warme Federn und steckte nur den kleinen Kopf hervor, um alle die Schönheiten unter sich zu bewundern.
Endlich kamen sie nach den warmen Ländern. Dort schien die Sonne weit heller als hier; der Himmel war zweimal so hoch, und in Gräben und auf Hecken wuchsen die schönsten grünen und blauen Weintrauben; in den Wäldern hingen Citronen und Apfelsinen; es duftete von Myrten und Krausemünze, und auf den Landstraßen liefen die niedlichsten Kinder und spielten mit großen bunten Schmetterlingen. Aber die Schwalbe flog noch weiter fort, und es wurde schöner und schöner. Unter den herrlichsten grünen Bäumen an dem blauen See stand ein blendend weißes Marmorschloß, noch aus alten Zeiten! Weinreben rankten sich um die hohen Säulen empor; oben waren viele Schwalbennester, und in einem derselben wohnte die Schwalbe, welche Däumelinchen trug.
»Hier ist mein Haus!« sagte die Schwalbe. »Aber es schickt sich nicht, daß Du mit darin wohnst; ich bin nicht so eingerichtet, daß Du damit zufrieden sein kannst; suche Dir nun selbst eine der prächtigsten Blumen, die da unten wachsen; dann will ich Dich hineinsetzen, und Du sollst es gut haben, wie Du es nur wünschest!«
»Das ist herrlich!« sagte sie und klatschte in die kleinen Hände.
Da lag eine große, weiße Marmorsäule, welche zu Boden gefallen und in drei Stücke zersprungen war: aber zwischen diesen wuchsen die schönsten großen, weißen Blumen. Die Schwalbe flog mit Däumelinchen herunter und setzte sie auf eine der breiten Blätter. Aber wie erstaunte diese! Da saß ein kleiner Mann mitten in der Blume, so weiß und durchsichtig, als wäre er von Glas; die niedlichste Goldkrone trug er auf dem Kopfe und die herrlichsten Flügel an den Schultern; er war selbst nicht größer als Däumelinchen. Es war der Blume Engel. In jeder Blume wohnte so ein kleiner Mann oder eine Frau; aber dieser war der König über alle.
»Gott, wie ist er schön!« flüsterte Däumelinchen der Schwalbe zu. Der kleine Prinz erschrak sehr über die Schwalbe, denn sie war ja gegen ihn, der so klein und fein war, ein Riesenvogel. Aber als er Däumelinchen erblickte, wurde er hoch erfreut; sie war das schönste Mädchen, das er je gesehen hatte. Deshalb nahm er seine Goldkrone vom Haupte und setzte sie ihr auf, fragte, wie sie heiße und ob sie seine Frau werden wolle; dann solle sie Königin über alle Blumen sein! Ja, das war freilich ein anderer Mann, als der Sohn der Kröte und der Maulwurf mit dem schwarzen Sammetpelze. Sie sagte deshalb »ja« zu dem herrlichen Prinzen, Und aus jeder Blume kam eine Dame und ein Herr, so niedlich, daß es eine Lust war; jeder brachte Däumelinchen ein Geschenk, aber das Beste von allen waren ein paar schone Flügel von einer großen, weißen Fliege, die wurden Däumelinchen am Rücken befestigt, und nun konnte sie auch von Blume zu Blume fliegen. Da gab es viele Freude, und die kleine Schwalbe saß oben in ihrem Neste und sollte das Hochzeitslied singen; das that sie denn auch, so gut sie konnte; im Herzen war sie doch betrübt, denn sie war Däumelinchen so gut, und hätte sich nie von ihr trennen mögen.
»Du sollst nicht Däumelinchen heißen!« sagte der Blumenengel zu ihr. »Das ist ein häßlicher Name und Du bist zu schön dazu. Wir wollen Dich Maja nennen.« »Lebe wohl, lebe wohl!« sagte die kleine Schwalbe mit schwerem Herzen und flog wieder fort von den warmen Ländern, weit weg nach Dänemark zurück. Dort hatte sie ein kleines Nest über dem Fenster, wo der Mann wohnt, der Märchen erzählen kann. Vor ihm sang sie »Quivit, quivit!« Daher wissen wir die ganze Geschichte.
Alles am rechten Platze.
Es ist länger denn hundert Jahre her!
Hinter dem Walde, am großen Landsee, lag das alte Herrenhaus; rings um dasselbe herum zogen sich tiefe Gräben, in welchen Schilf und Rohrbomben wuchsen. Dicht bei der Brücke am Einfahrtsthore stand ein alter Weidenbaum, der sich über das Schilf neigte.
Vom Hohlwege herauf ertönten Hörnerklang und Pferdegetrappel; deshalb beeilte sich das kleine Mädchen, das die Gänse hütete, diese von der Brücke wegzutreiben, bevor die ganze Jagdgesellschaft herangaloppirt käme; diese kam mit solcher Hast, daß das Mädchen, um nicht überritten zu werden, schnell auf einen der hohen Ecksteine an der Brücke sich stellen mußte. Halb noch ein Kind, war es fein und zart gebaut, hatte dabei einen gar lieben Ausdruck im Gesichte und zwei schöne, klare Augen; allein dafür hatte der gnädige Herr keinen Blick. Indem er an der kleinen Gänsehüterin vorbeisprengte, kehrte er die Peitsche in der Hand um, und in roher Lustigkeit stieß er sie dermaßen mit dem Stiel derselben vor die Brust, daß sie rücklings in den Graben fiel.
»Alles am rechten Platze!« rief er, »in die Pfütze mit Dir!« dabei lachte er laut auf, das sollte nun Witz heißen, und die Anderen stimmten mit ein; die ganze Gesellschaft schrie und lärmte, und die Jagdhunde bellten.
Das arme Mädchen ergriff glücklicherweise im Fallen einen der herabhängenden Zweige eines Weidenbaumes, vermöge dessen es sich über dem Sumpfe erhielt, und sobald die Herrschaft und die Hunde durch das Schloßthor verschwunden waren, versuchte das Mädchen sich empor zu arbeiten, aber der Zweig brach an der Krone ab, und es wäre rücklings in das Schilf gefallen, wenn nicht in demselben Augenblicke eine kräftige Hand es von oben herab ergriffen hätte. Es war die Hand eines Landhausirers; dieser war in einiger Entfernung Zeuge des Geschehenen gewesen, und eilte nun herbei, um Hilfe zu leisten.
»Alles am rechten Platze,« sagte er, dem gnädigen Herrn