Der Andere. Reiner W. Netthöfel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reiner W. Netthöfel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737524094
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siehst nur deinen Ahnen sehr ähnlich.“, gab Holly trotzig zurück.

      „Hab ich doch die ganze Zeit gesagt. Dann ist ja alles gut.“ Magnus wurde ärgerlich.

      „Nix ist gut.“ Nach dem dritten Glas hatte Kyonnas Stimme eindeutig Schlagseite bekommen. „Dein Körper ist der gleiche wie vor sechsundzwanzig Jahren; da hat sich gar nichts geändert. Ich glaube ihm.“ Sie verschränkte ihre muskulösen Arme vor ihrer spärlichen Brust.

      „Ich nicht.“, postulierte Holly.

      „Dann werde ich dir wohl meine Lebensgeschichte erzählen müssen.“, schlug Magnus vor.

      „Fang an.“, forderte Holly. Magnus lächelte.

      „Nein, das dauert naturgemäß etwas länger.“

      „Wie lange?“

      „Ein paar Tage die Kurzfassung. Die Langfassung wird schon einige Wochen in Anspruch nehmen.“

      „Wochenlange Lügen?“ Magnus verdrehte die Augen.

      „Nichts als die Wahrheit.“

      „Sollen wir morgen anfangen?“ Er schüttelte den Kopf.

      „Nicht hier.“

      „Wo dann?“

      „Bei mir. Ich habe da ein paar Asservaten und Aufzeichnungen. Außerdem würde hier Will etwas mitbekommen.“

      „Au ja, fahren wir zu dir.“, ließ sich Stefania vernehmen. Magnus sah seine Tochter an.

      „Ja, du kommst mit. – Kyonna auch?“, fragte er die whiskeyschlürfende Exloverin.

      „Nee. Ich glaube dir ja. Ich weiß, dass du es bist. Das reicht.“ Er sah Holly an.

      „Holly?“ Holly warf ihm einen glasigen Blick zu und nickte. „Okay.“

      „Was war mit dem Messer?“, wollte Holly allerdings noch wissen, was ihr einen erstaunten Blick ihrer Mutter einbrachte.

      „Welches Messer?“, wollte die, mit einem Mal hochinteressiert, wissen.

      „Das Messer war eines von vielen. Eine von vielen Verletzungen. Ich könnte den Beweis antreten, wenn ich dich aufforderte, mich zu erschießen.“, provozierte er.

      „Das wäre das letzte Mittel.“, lallte Holly, dann schlief sie, möglicherweise aus Solidarität mit ihrer Mutter, deren Kinn auf ihre Brust gesackt war, ein.

      „Bringst du mich ins Bett?“, fragte Steffi mit Blick auf die schlafenden Frauen.

      „Klar.“ Magnus lud sich seine Tochter auf die Arme und stieg die Treppe hinauf.

      Als Stefania fertig war und in ihrem Bett lag, setzte er sich auf die Bettkante.

      „Was heißt eigentlich Magnus?“, wollte Stefania von ihrem neuerworbenen Vater wissen.

      „Das ist Lateinisch und heißt der Große.“

      „Du bist doch gar nicht so groß. Gut, du bist etwas größer als Will, Grandma und Mommy, aber ich kenne größere Leute als dich.“ Magnus wurde verlegen.

      „Nun, äh, als ich noch klein … also, als ich noch jung war, da war ich groß. Also, die anderen waren alle kleiner als ich.“

      „Hast du da in Lilliput gelebt?“ Er lachte.

      „Nein, die Leute waren früher kleiner als heute.“ Steffi sah ihn kritisch an.

      „Davon hab ich gelesen. Dann stimmt das doch?“

      „Was?“

      „Dass du so alt bist.“

      „Sicher.“ Steffi legte sich hin.

      „Mannomann.“

      Mitten in der Nacht wurde Magnus durch einen Schrei geweckt. Da er seine Vaterrolle offenbar internalisiert hatte, dachte er sofort an Stefania. Er stand auf und ging in den Flur. Er hörte jemanden weinen, doch die Geräusche kamen nicht aus Steffis Zimmer. Er klopfte an Hollys Tür und drückte, als er keine Aufforderung einzutreten hörte, die Tür auf. Holly saß weinend und völlig aufgelöst im Bett, die Hände vor das schöne Gesicht geschlagen.

      „Holly.“, sagte er leise. „Holly, ist alles in Ordnung?“ Die Weinende schien sich etwas zu beruhigen.

      „Nichts ist in Ordnung. Ich habe eine Tochter, deren Vater zweitausend Jahre alt ist und immer noch lebt.“, schluchzte sie. Magnus betrat das Zimmer und schloss die Tür.

      „Wäre es dir lieber, Steffis Vater wäre tot?“ Das Weinen wurde wieder lauter. Die wenigen anderen, die im Laufe seines Lebens um sein Geheimnis gewusst hatten, waren, so fand er, souveräner mit ihrem Wissen umgegangen.

      „Natürlich nicht. Steffi hat sich immer einen Vater gewünscht. Jetzt hat sie einen, der älter ist als ihr Urgroßvater, und außerdem übernatürlich ist.“

      „Hältst du mich für übernatürlich?“

      „Natürlich. Für wie natürlich hältst du dich denn?“ Magnus setzte sich zu Holly aufs Bett.

      „Ich halte mich für ziemlich natürlich. Ich funktioniere wie andere Menschen auch, nur eben länger.“

      „Was ist mit deiner Unverwundbarkeit?“

      „Okay, das ist vielleicht nicht ganz normal.“ Holly schaute ihn seltsam an.

      „Warst du jemals krank?“

      „Nein.“ Holly lachte ohne Freude. „Hör zu, Holly, ich kann verstehen, dass das alles nicht einfach für dich ist, aber nimm mich als ganz normalen Menschen. Bitte. Es ist für mich auch nicht leicht, mit so einem Alleinstellungsmerkmal zu leben.“ Er nahm die immer noch weinende Holly in die Arme und wiegte sie hin und her, bis sie eingeschlafen war, dann sackte er neben sie auf ihr Bett und schlief ebenfalls ein.

      14.

      Magnus schlug die Augen auf und fühlte sich fremd. Das war nicht die kleine, stickige Kammer unter dem Dach, das war nicht das schmale Feldbett, das ihm die Bryants zur Verfügung gestellt hatten und das auch für zwei Personen keinen Platz geboten hätte. Er sah seine Schlafpartnerin an und ein wohliges Gefühl der Zufriedenheit durchströmte ihn. Holly lag auf der Seite, zu ihm gewandt, und hatte die Hände unter ihren Kopf gelegt. Sie atmete ruhig und gleichmäßig. Er war versucht, sie auf ihre kleine Nase zu küssen, ließ es aber. Vorerst. Denn er wusste, dass es einmal passieren würde. Aber nicht jetzt. Jetzt müsste er sich um Stefania kümmern und darum, dass sie ihrem Urgroßvater nicht zu viel, und vor allem nichts Falsches, also das Richtige, erzählte. Stefania, die irgend etwas in ihm geöffnet zu haben schien.

      Will deckte den Frühstückstisch, als Magnus mit Steffi an der Hand in der Küche erschien.

      „Ah, da seid ihr ja. Was habt ihr gestern getrieben? Als ich nach Hause kam, lagen die beiden Frauen schlafend im Wohnzimmer, die Flasche Whiskey halb leer.“, bemerkte er mit leichtem Vorwurf.

      „Wir haben eine Entdeckung gemacht.“, trompetete Steffi fröhlich und abgesprochen. Will lächelte seine Urenkelin wohlwollend an.

      „Eine Entdeckung? Und die hat dazu geführt, dass Mom und Grandma sich betrunken haben?“

      „Genau.“ Wills Lächeln erstarb und er sah Magnus, der ihn angrinste, fragend an. Magnus grinste weiter, auch wenn er sich im klaren darüber war, dass das, was sie sich ausgedacht hatten, haarsträubend war. Und so bemühte er sich, die Information, die er Will nun sandte, klingen zu lassen, wie die Neuigkeit, dass die Erde rund sei und Wasser nass.

      „Die Spermaprobe war anscheinend von meinem Vater.“, rief er frohen Mutes aus. Wills Mund klappte auf. Er zeigte mit einem Löffel auf Steffi und Magnus.

      „Dann seid ihr Geschwister?“ Steffi nickte wie eine Wahnsinnige und Magnus hob einen Daumen, als hinter ihnen eine heisere Stimme ertönte.

      „Aber