Der Andere. Reiner W. Netthöfel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reiner W. Netthöfel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737524094
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meinst, er hat sich nicht verändert?“ Kyonna hob die Hände zur Decke und schaute nach oben.

      „Sie hats begriffen.“ Magnus fühlte sich jetzt nicht sehr wohl. Holly wandte sich an ihn. Sie wollte es wissen, auch wenn es völlig verrückt war, was sie dachte, und das waren mit einem Mal zwei gewagte Gedanken. Sie wendete sich wieder ihrer Mutter zu.

      „Mom.“, sagte sie drohend. „Ist er ‚M‘?“ Kyonna sah weg.

      „Ist er ‚M‘?“, fragte Holly mit Nachdruck. Magnus schaute jetzt auch interessiert, denn die Antwort könnte weitreichende Folgen für ihn und andere haben. Kyonna schwieg.

      „Mom, wenn du uns irgend etwas schuldig bist, dann diese Antwort.“, rief Holly.

      „Er ist ‚M‘.“, flüsterte Kyonna. Holly sah sie entgeistert an, dann sah sie Magnus ins Gesicht, dem Schweißperlen auf der Stirn standen.

      „Du bist Steffis Vater.“, hauchte Holly blass. In Magnus‘ Hirn arbeitete es jetzt fieberhaft. Sie hatten ihm das Kind untergeschoben, ohne dass Holly es wusste. Einen Gentest würde er nicht machen lassen, denn seine Gene gingen niemanden etwas an. Sie könnten nichts beweisen. Sie könnten sich höchstens mit ihrer absurden Geschichte lächerlich machen. Andererseits mochte er Stefania. Sehr. Holly war ihr zweiter Gedanke wieder eingefallen.

      „Wie lange sehen Sie, äh, siehst du schon so aus?“, gab sie ihrem zweiten Gedanken sprachlich mit zitternder Stimme Ausdruck und sah ihn dabei von oben bis unten an.

      Monty sah an die Decke, dann auf den Fußboden, dann aus dem Fenster, nestelte an seinem Gürtel, zog sein Polo glatt.

      „Wie lange?“, insistierte sie. Er sah ihr in die Augen. Auch Kyonnas Blick war mit Interesse auf ihn gerichtet.

      „Wie lange siehst du schon so aus?“ Hollys Stimme wurde scharf, aber Magnus wusste, dass die Antwort sie sprachlos machen und ihr jede nur denkbare Schärfe nehmen würde.

      „Fast zweitausend Jahre.“ Hollys schöne, schwarzen Augen verdrehten sich langsam nach hinten, so dass schließlich nur noch das Weiße zu sehen war, und dann fiel sie um. Kyonna fing unpassenderweise an hysterisch zu lachen.

      „Sag das noch mal.“, forderte Kyonna ihn auf, als sie sich beruhigt hatte und beugte sich zu ihm, um ihn besser verstehen zu können, vor. Sie sah sein ernstes Gesicht. Als er den Mund öffnete, um zu antworten, sackte Kyonna leblos auf ihre Tochter.

      Magnus stand etwas hilflos vor den beiden Frauenkörpern, als Stefania neben ihm auftauchte.

      „Schlafen sie?“, wollte das Mädchen wissen.

      „Sie sind ohnmächtig.“

      „Was ist passiert?“

      „Etwas hat sie umgehauen.“ Steffi kicherte, dann beugten sie sich über die Leblosen.

      „Was hat sie denn umgehauen?“, wollte die Kleine wissen, ahnte aber schon etwas. Magnus wurde leicht verlegen, weil er nicht wusste, wie man Fünfjährigen Sachverhalte der vorliegenden Art nahebrachte.

      „Sie haben etwas erfahren, was ziemlich außerhalb dessen liegt, was sie sich vorstellen konnten.“ Steffi kicherte wieder, was er unterschiedlich zu interpretieren sich erlaubte. Entweder verstand sie nicht, was er meinte, oder sie verstand zu viel. Er war geneigt, das letzte anzunehmen.

      Kurz bevor Holly das Bewusstsein wiedererlangte und die Augen aufschlug, kam ihr der Gedanke, dass das alles ein Missverständnis war. Dass ihre Mutter sich irrte. Dass Magnus einen Scherz gemacht hatte. Dass er weder unsterblich, noch der Vater ihrer Tochter war. Doch als sie die Augen aufschlug, holte sie die Realität doppelt auf den Boden der Tatsachen zurück. Sie sah nämlich in zwei Gesichter, die sich über sie gebeugt hatten. Das eine hatte einen etwas dunklen Teint, war rund und hatte braune Augen und war geschmückt mit einem drahtigen, braunen Haarkranz, das andere war eher bleich, hatte graue Augen, in denen sie etwas sah, was sie nicht genau erkennen konnte, vielleicht auch gar nicht erkennen wollte, einen grauen Stoppelbart und die kurzen, grauen Haare waren nicht der Rede wert. So unterschiedlich diese zwei, sie besorgt ansehenden Gesichter waren, so ähnlich waren sie sich auch. Kein Zweifel, Vater und Tochter sahen sie an.

      Magnus streckte eine Hand nach ihr aus, um sie zu berühren, doch diesmal schloss sie nicht erwartungsvoll die Augen, sondern schrie schrill: „Fass mich nicht an!“ Er zog die Hand schnell zurück. Holly stieß den leblosen Körper ihrer Mutter von sich und bewegte sich in sitzender Position rückwärts so weit von Magnus weg, wie es die Enge des Bades zuließ, ohne ihn aus den Augen zu lassen.

      „Mom, was hast du?“, fragte Stefania verständnislos.

      „Er soll mich nicht anfassen! Und dich auch nicht!“, schrie sie.

      „Meine Berührungen haben noch niemandem geschadet.“, belehrte Magnus.

      Holly hob abwehrend die Hände. „Komm mir nicht zu nah. Du bist der Teufel.“ Das wird ja immer besser, dachte Magnus, erst Freak, jetzt Teufel.

      „Mom, hör auf!“ Stefania fing an zu weinen.

      „Der Teufel ist er wohl nicht.“, ließ sich eine heisere Stimme vernehmen und Kyonna wuchtete ihren Oberkörper aus der Horizontalen.

      „Woher willst du das wissen?“, schluchzte Holly, die ihre weinende Tochter ansah.

      „Kein Schwefelgeruch, kein Feuer, keine Klauen, keine Hörner. Außerdem hat er ein Spiegelbild.“

      „Und ich mag Sonnenlicht, ich kann Kreuze berühren, ohne gleich zu verbrennen und bin nicht wasserscheu.“, ergänzte Magnus. Stefania fiel ihrer Mutter um den Hals.

      „Wie wärs, wenn wir diesen Ort erst einmal gegen einen anderen tauschten? Nachdem ich mich erleichtert gehabt haben werde.“, schlug Kyonna kurvenreich vor.

      „Gute Idee.“, pflichtete Magnus ihr bei.

      „Dass ich mich erleichtere?“

      „Dass wir den Ort wechseln.“

      „Mommy, er ist kein Teufel.“, schluchzte Stefania und das Unglaubliche geschah: Kyonna strich ihrer Enkelin sanft über den Kopf und säuselte: „Da wirst du wohl recht haben, Kleines.“

      13.

      Da Will bei Freunden war, konnten sie sich im Wohnzimmer versammeln. Eine strahlende Großmutter ließ es sich dabei nicht nehmen, ihre Enkelin herunterzutragen wie ein kleines Kind, und das Mädchen auf ihrem Schoß zu platzieren, ein ganz neues Gefühl für Kyonna und Stefania, die sich das aber gerne gefallen ließ. Das neue Paar wurde dabei von einer staunenden Tochter und Mutter beobachtet. Als sie saßen, begann Holly.

      „E …“

      „Nicht schon wieder.“, bat Magnus. Holly wirkte irritiert und sah ihn fragend an.

      „Keine erneute Entschuldigung.“, erklärte er.

      „Ja, sicher, entschuldige, aber das alles ist so … so unglaublich; ich war einfach überfordert. Nein, ich bin noch immer überfordert.“

      „Nimm es einfach hin, wie es ist.“, trompetete Kyonna fröhlich und küsste Stefania. „Ihr glaubt gar nicht, welche Last von mir gefallen ist, seit die Sache endlich heraus ist.“

      „Welche Sache?“, fragte ihre Tochter begriffsstutzig.

      „Dass er ihr Vater ist.“ Stefania hob den Kopf und blickte von einem zum anderen.

      „Wer ist mein Dad?“ Sie sah ihre Mutter an, die aber ihre Fußspitzen plötzlich sehr interessant fand.

      „Wer?“, fragte sie ihre Oma.

      „Äh …“ Kyonna wusste nicht, wie sie reagieren sollte.

      „Wer?“ Diesmal sah Steffi Magnus an, der sie anlächelte.

      „Es sieht wohl so aus, als hätte es mich getroffen.“, schmunzelte er. Stefania bekam große Augen, sprang vom Schoß ihrer Großmutter und erklomm