Ende Dezember betraten die drei Sozialarbeiter ihre neue Wirkungsstätte. Noch sollten sie keinen Dienst an der Bevölkerung machen, sondern ihre Büros einrichten und die Lage sondieren. Und vor allem sollten sich die drei erst einmal richtig kennenlernen. Sie arbeiteten zwar alle im Sozialreferat, aber in verschiedenen Abteilungen und Stadtteilen. So kam es, dass sie sich nur dem Namen nach kannten. Ihr Chef Dr. Walter, hatte sie gestern nur kurz miteinander bekannt gemacht und ihnen dabei ihren neuen Job mitgeteilt. Chef des neuen Gemeindezentrumswurde Frau Andrea Vogler. Sie war 36 Jahre alt und arbeitete bereits seid 18 Jahren im Sozialreferat. Sie hatte die meiste Erfahrung, was Familienangelegenheiten betraf. Ihr Stellvertreter wurde der Streetworker Sascha Brams. Er ist 33 Jahre alt und für die Jugend zuständig. Und der dritte im Bunde ist Streetworker Ole Harmsen. Ole ist mit seinen 30 Jahren der Jüngste und sein Fachgebiet waren Integrationsmaßnahmen für Migranten und Flüchtlinge. Alle hatten zwei Dinge gemeinsam, sie waren nicht verheiratet und reine Workaholicer. Privatleben kannten sie nicht und waren quasi rund um die Uhr im Dienst. Das war auch der Grund dafür, dass sie keine Partner hatten. Welcher Mann oder Frau macht das lange mit, das man dauernd versetzt oder vertröstet wurde. Nach der Begrüßung betraten sie zum ersten Mal ihr gemeinsames neues Büro. Die Bodenleger und die Maler räumten gerade ihren letzten Müll weg, da kam auch schon die Spedition, die diverse Möbel vom Lager brachten. Schränke, Schreibtische, Sessel und Stühle, sowie des technische Equipment. Sie erklärten den Möbelpackern, wo sie alles hinstellen sollten und am Abend war alles an Ort und Stelle. Jeder von ihnen hatte sein eigenes Büro, die mit Fenster versehen waren. So konnte man immer sehen, was gerade im Büro geschah. Und im Eingangsbereich, hatten sie noch ein großes Gemeinschaftsbüro, in dem sie außerhalb der Öffnungszeiten noch sitzen und beraten konnten. Am nächsten Tag richteten sie alles ein. Ordner, Akten, Formulare und Broschüren, eben alles was ein Gemeindezentrum so braucht. Zwei Tage später nahmen sie inoffiziell ihren Dienst auf. Gemeinsam gingen sie durch ihr Viertel und sprachen mit den Leuten. Dabei verteilten sie Flyer, die sie jedem der Interesse hatte, in die Hand drückten. In einem kleinen Imbiss kehrten sie ein und bestellten sich Kaffee. Der Besitzer war Türke und lebte schon 35 Jahre in dem Viertel. Er hieß Ali Özhan und fragte die drei: „Sie sind neu hier, was machen sie hier? Sie haben das alte Lebensmittelgeschäft von Frau Huber gemietet, eröffnen sie auch ein Lokal?“ Andrea Vogler antwortete: „Keine Angst, wir machen ihnen keine Konkurrenz. Wir betreuen das neue Gemeindezentrum, das am 2.1. eröffnet wird. Ich bin Andrea Vogler und das sind meine Kollegen, Sascha Brams und Ole Harmsen.“ Ali gab jedem die Hand und fragte weiter: „Gemeindezentrum? Für was? Wir haben doch das Sozialamt und das Arbeitsamt, da gehen alle hin, wenn sie was wollen.“ Andrea klärte Ali auf: „Unsere Aufgabe ist es, den Bürgern dieses Viertels mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Wenn es zum Beispiel Probleme innerhalb der Familie, oder wenn es Schwierigkeiten mit dem Vermieter oder Arbeitgeber gibt, so in etwa. Immer wenn sie Probleme haben, sind wir dafür da, um ihnen zu sagen was ihre rechtlichen und gesetzlichen Möglichkeiten sind. Wir wollen aufklären und beraten und das alles kostenlos.“ Ali: „Dann bekommen wir bei ihnen Wohnungen und Arbeit?“ Ole antwortete: „Nein, weder Arbeit, Geld, noch Wohnungen. Wir helfen lediglich wenn es einmal Probleme gibt. Auch bei Deutschkursen und andere Integrationsmaßnahmen sind wir behilflich. Hier ist eine Broschüre, da steht alles drin. Ist auch auf Türkisch und Arabisch übersetzt.“ Andrea: „Dürfen wir einige der Broschüren hier bei ihnen auf der Theke auslegen?“ Ali nahm die Broschüre und blätterte darin, nach einer Weile meinte er: „Lassen sie die Hefte hier, isst ja kein Brot. Aber ich glaube nicht, dass sie sehr viel zu tun haben. Wir im Viertel lösen unsere Probleme lieber selbst, dann müssen wir auch nicht Danke sagen und vor allem, kennt keiner unsere Probleme.“ Andrea: „Egal wer zu uns kommt, keiner erfährt worüber wir gesprochen haben. Darauf haben sie unser Ehrenwort, wir haben nämlich eine Schweigepflicht.“ Ali: „Wie bei Anwalt?“ Sascha: „Nicht ganz so, aber in etwa. Wenn wir von einer schweren Straftat erfahren, müssen wir sie zur Anzeige bringen. So will es nun einmal unser Gesetz, das gilt für alle Bürger dieses Landes. Das Grundgesetz ist für jeden bindend, auch für uns. Das ist in der Türkei auch nicht anders.“ Ali: „Mit Bakschisch lässt sich bei uns vieles Regeln.“ Andrea: „Das ist Bestechung oder Korruption und das ist auch in der Türkei strafbar. Wir sind nicht bestechlich, denn Recht muss Recht bleiben.“ Ole meldete sich nun und sagte: „Ich glaube wir müssen dann wieder los, wir haben noch ein großes Pensum vor unserem Urlaub vor uns. Ab 2. Januar sind wir für alle hier im Viertel da. Wir möchten bezahlen.“ Ali: „Nein, sie waren meine Gäste, oder ist das schon Bestechung?“ Andrea: „Vielen Dank, Herr Özhan. Ein Kaffee ist noch keine Bestechung. Das nächste Mal, geben wir ihnen einen Tee aus. Bitte machen sie etwas Werbung für unser Gemeindezentrum, wir können jede Hilfe gebrauchen. Auf gute Zusammenarbeit.“ Sie verließen den Imbiss und Andrea zog eine Liste aus ihrer Tasche. Auf der waren alle Geschäfte, Firmen und Lokale aufgeführt, die es in diesem Viertel gab. Andrea: „Es sind noch 24 Lokalitäten und Firmen die wir informieren müssen. Wir haben nur noch drei Tage Zeit, bis zum Urlaub. Ich denke, wir teilen uns auf, dann sind wir schneller fertig. Wer macht was?“ Sie drückte ihre Kollegen je eine Kopie in die Hand und Ole meinte: „Ich klappere alle Lokale ab und danach die Geschäfte.“ Sascha: „Dann kümmere ich mich um die Institutionen, Kindergärten und Schulen.“ Andrea: „OK, dann besuche ich alle Firmen und deren Nachbarschaft. Wir treffen uns um 16:30 Uhr im Büro. Bis bald.“ Und so machte sich jeder auf den Weg. Es war wichtig, dass alle Einwohner des Viertels über die bevorstehende Eröffnung zu unterrichten. Am sinnvollsten ging das nun einmal über die Geschäfte und Lokale, weil die doch am meisten frequentiert wurden. Denn Mundpropaganda ist immer noch die beste Werbung, für etwas was nichts kostet.
Inzwischen war es Anfang Februar. Es war nicht mehr so kalt und die Sonne schien auch schon länger. Das Ehepaar Kramer hatte sich zwar wieder vertragen, aber es war nichts mehr so wie es einmal war. Misstrauen herrschte bei Jonas, der nun Angst hatte, dass seine Frau Ellen die Pille absetzen würde. Akribisch notierte er sich wann er Sex mit ihr hatte und wann sie ihre Regel bekam. Er wollte somit verhindern, dass sie schwanger wurde. Ellen merkte dies daran, weil ihr Mann während den fruchtbaren Tagen, plötzlich keine Lust mehr verspürte mit ihr in die Kiste zu springen. Das Verhältnis der beiden wurde immer schlechter, was immer öfter zum Streit führte. Ellen wollte unbedingt ein Kind und das in Kürze, er erst in einigen Jahren. Die Gräben wurden immer tiefer, besonders an diesen Abend. In ihrer Wut über die Unnachgiebigkeit ihres Mannes, äußerte sie den folgenschweren Satz: „Ich werde schwanger, oder wir trennen uns.“ Jonas: „Sag mal, bist du irre? Du willst tatsächlich unsere Ehe aufs Spiel setzen und das nur wegen einem Kind? Wir können uns das nicht leisten. Vor ein paar Monaten war das noch kein Gesprächsthema. Was ist mit dir geschehen? Vielleicht sind es deine Hormone die verrückt spielen, ich weiß es nicht. Vielleicht solltest du einmal zu einem Arzt gehen.“ Ellen: „Von dir höre ich immer nur Geld. Zu einer Ehe gehören nun einmal Kinder, oder warum heiratet man denn? Ich will doch nur eine Familie, was ist so schlimm daran?“ Jonas: „Wenn erst ein Kind da ist, kannst du nicht mehr arbeiten, was nichts anderes bedeutet, wir müssen uns finanziell gewaltig einschränken. Wir bräuchten eine größere Wohnung, den Zweitwagen müssten wir verkaufen. Die Erstausstattung fürs Kind ist auch nicht gerade billig. Eine neue Wohnung bedeutet auch mehr Miete und das bei einem Verdienst.“ Ellen: „Aber es gibt doch Eltern- und Kindergeld. Und nach zwei Jahren kommt unser Kind in die Kita, dann kann ich ja wieder halbtags arbeiten. Und wenn alle Stricke reißen, dann mache ich eben arbeitslos für ein Jahr, dann ist unser Kind schon drei Jahre.“ Jonas: „Und dann? Was ist nach drei Jahren?