"Wir schaffen das". Benjamin Webster. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Benjamin Webster
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745097009
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ernähren. Kein Wunder. Sie brauchen doch nur einmal die Mieten und die Strompreise von damals, mit denen von heute vergleichen. Über Gas, Wasser und Benzin will ich erst gar nicht reden, sonst bekomme ich noch einen dicken Hals. Und dann steht unsere herzallerliebste Kanzlerin auf dem Podium und erklärt uns, dass jeder Deutsche im Schnitt 3.000.- Euro Netto verdient. Da frage ich mich doch, wer hat dieser Frau, diesen Schwachsinn erzählt? Aber wie heißt es doch so schön, traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast. Glauben sie mir, ich habe einen sehr großen Bekanntenkreis, aber kein Normalo von ihnen verdient diese 3.000.- Netto. Da liegt das Einkommen im Schnitt zwischen 1.800.- und 2.300.- Euro Netto. Von denen die weit mehr verdient haben, sind viele zum Hartz IV Empfänger geworden. Aber zurück zur Warschauer Strasse. Es ist sehr bunt hier. Insgesamt wohnen hier Menschen aus 16 Nationen und das nicht nur erst seid ein oder zwei Jahren. Viele von ihnen sind schon zehn, fünfzehn und mehr Jahre hier. Drei Generationen sind häufig unter einem Dach vereint. Da stellt sich nun die Frage, wie klappt das mit der Verständigung, wie redet man miteinander. Deutsch sprach fast keiner von ihnen und wenn dann nur gebrochen. Die Lernwilligkeit hält sich in Grenzen. Man lernt eben nur das, was einem von Nutzen ist, ansonsten wurstelt man sich durch. Irgendeiner wird sich schon bereit erklären, das Formular auszufüllen, den Weg zeigen oder zum Arzt zu bringen. Die Behörden sind ja meistens mit Dolmetscher ausgestattet, so dass es nicht nötig ist, weiter die fremde Sprache zu lernen. In Kanada, Australien oder Amerika ist das anders. Wer die Sprache nicht spricht oder lernt, muss eben wieder gehen oder darf erst gar nicht ins Land. So einfach gestalten andere Länder ihre Einwanderungspolitik. Entsprechend sieht es dann auch mit der Integration aus. Aber darauf möchte ich jetzt nicht eingehen, schließlich geht es in diesem Buch um soziale Missstände. Es wohnen auch viele alte Menschen in der Strasse, so auch in der Nummer 65, Erna Wittemeyer. Sie ist stolze 80 Jahre alt und für ihr Alter noch sehr rüstig. Nur vergisst sie manchmal Dinge, die sie noch tun oder besorgen wollte. Fürsorglich ist sie deshalb zu ihrem Hausarzt gegangen und hat sich untersuchen lassen. Der meinte aber nur, dass dies in ihrem Alter normal ist und sie sich keine Sorgen machen sollte. Über ihr wohnte Ilona Gerber, eine ehemalige Krankenschwester. Sie war 65 Jahre und seid ein paar Monaten in Rente. Ilona war froh darüber, hatte sie doch nur mit sehr viel Mühe noch ihren Dienst im Krankenhaus geschafft. Ihre Hüfte war das Problem. Sie hätte schon vor einem Jahr eine Hüftprothese implantiert bekommen sollen, aber sie weigerte sich strikt dagegen, weil sie Angst vor einer Frühverrentung hatte. Ilona kümmerte sich um Erna, wann immer es ihr zeitlich möglich war. Sie war es auch, die sie zur Untersuchung zum Hausarzt geschickt hatte. Die beiden saßen nun jeden Tag beisammen. Entweder kochten sie, oder tranken Kaffee miteinander. Unten im Erdgeschoss war vor kurzem ein junges Pärchen eingezogen. Sie hieß Ellen Kramer war 26 Jahre alt und arbeitete für 1200.- Euro Netto, als Auffüllkraft in einem großen Kaufhaus. Ihr Mann Jonas, 27 Jahre, war auf dem Bau als Zimmermann beschäftigt. Sein Verdienst lag bei knapp 1900.- Euro Netto. Sie gehörten somit zu den Spitzenverdienern in der Strasse. Sie hatten zwei Autos, fuhren einmal im Jahr in Urlaub und hatten eine komfortable Wohnungseinrichtung. Eigentlich alles was man sich wünscht. Nicht ganz. Ellen hatte seid geraumer Zeit darüber nachgedacht, ob sie nicht ein Kind bekommen sollte. Als sie ihren Wunsch Jonas gegenüber äußerte, war dieser alles andere als erfreut. Jonas: „Ich dachte, wir sind uns einig, dass wir erst in ein paar Jahren ein Kind wollen. Woher kommt bei dir der plötzliche Sinneswandel?“ Ellen: „Ich werde nicht jünger und meine biologische Uhr tickt. Noch bin ich jung und ein Kind braucht nun einmal eine junge und gesunde Mutter. Zudem haben alle meine Freundinnen schon ein oder zwei Kinder.“ Jonas: „Nur weil andere Frauen Kinder haben, müssen wir noch lange nicht welche zeugen. Ich dachte immer, wir schaffen uns erst eine eigene Wohnung oder ein Häuschen an. Viele meiner Freunde haben gebaut, oder eine Eigentumswohnung. Ich bin der Meinung, wir sollten noch mindestens fünf Jahre mit dem Kind warten. Wir haben dann bis dahin genug gespart, dass wir uns zumindest eine Wohnung kaufen können.“ Ellen: „In fünf Jahren bin ich über dreißig, wer garantiert mir, dass ich dann noch Kinder bekommen kann? Nein, das ist mir zu gefährlich. Und wenn es doch klappt, ist die Gefahr ein behindertes Kind zu bekommen, doch um einiges größer.“Jonas: „Hast du dir auch einmal über die finanziellen Seite Gedanken gemacht? Weißt du, auf was wir alles verzichten müssen, wenn ein Kind da ist? Wir hätten nur noch ein Einkommen und bei den heutigen Preisen von Strom, Gas, Miete und Sprit, wird dieses Geld gerade reichen, um nicht in Armut zu versinken.“ Ellen: „Jetzt übertreibe Mal nicht. Wir bekämen immerhin auch Kindergeld und steuerliche Entlastungen.“ Jonas: „Diese Entlastungen würden wir auch bekommen, wenn wir bauen. Und ganz ehrlich, ist mir eine Eigentumswohnung oder ein Haus lieber, als ein schreiendes Kind.“ Ellen: „Ach, daher weht der Wind, du kannst Kinder nicht leiden, sag das doch gleich.“ Jonas: „Das habe ich doch überhaupt nicht gesagt. Ich wollte einfach nur zum Ausdruck bringen, dass ein Kind uns finanziell sehr einschränken würde. Überlege doch einmal ganz sachlich wie unser Kind aufwächst. Wir haben im Augenblick 3100.- Euro zur Verfügung. Mit allen Fixkosten wie Miete, Versicherungen, Handy, Strom, Nebenkosten und Sparvertrag, bleiben uns noch 1000.- Euro übrig. Also weniger, wie du verdienst. Und wenn ein Kind da ist, kannst du zumindest im ersten Jahr nicht mehr arbeiten. So, und nach einem Jahr brauchen wir einen Kitaplatz. Die aktuelle Wartezeit dafür beträgt aber zwei Jahre, für einen freien Platz, das heißt wir müssten unser Kind jetzt schon anmelden, obwohl es noch nicht gezeugt und geboren ist. Da das nicht geht, verlieren wir ein weiteres Jahr. Und da die Kita Kleinkinder nur bis 14:00 Uhr beaufsichtigt, käme nur ein Halbtagsjob für dich in Frage.“ Ellen: „Kinder plant man nicht nach dem Geldbeutel, sondern sind ein Produkt der Liebe.“ Jonas: „Wir haben uns bisher auch ohne Kind geliebt, ich sehe nicht ein, warum wir das ändern sollen. Und wie geht es danach weiter? Wir bräuchten eine größere Wohnung, was bei der derzeitigen Wohnungslage sowieso sehr schwierig ist. Wenn wir mit viel Glück eine bezahlbare finden, dann wird es nur außerhalb von Berlin sein. Dies bedeutet, dass einer von uns auf seinen Wagen verzichten müsste, weil unser Einkommen nicht reicht.“ Ellen: „Und in fünf Jahren ist das alles anders?“ Jonas: „Dann bräuchten wir wenigstens keine Miete mehr bezahlen.“ Und diese Diskussion ging bis tief in die Nacht. Als Ellen dann noch sagte, dass sie am liebsten ganz zu Hause bleiben würde, um sich um die Kinder und den Haushalt zu kümmern, war für Jonas Schicht im Schacht. Jonas: „Habe ich das gerade richtig verstanden, Kinder und Haushalt? Bist du irre? Zuerst nur ein Kind und nun gleich zwei? Du glaubst doch nicht, dass ich zehn bis fünfzehn Jahre lang auf Hartz IV Niveau lebe, nur weil es dir in den Kram paßt. Liebe ist ja schön und gut, aber so nicht, meine Liebe Ellen. Sag mir einen vernünftigen Grund, warum ich mir das antun soll?“ Ellen: „Vielleicht, weil wir uns lieben?“ Jonas wusste nur eine passende Antwort für sich, aus dem Schlafzimmer ausziehen um auf der Couch zu schlafen. Damit hing für Wochen, der Haussegen schief. Aber so, oder so ähnlich, geht es vielen Paaren in Deutschland. Sie stehen im Konflikt, entweder Kinder oder vernünftig leben. Das ist auch ein Grund dafür, warum immer weniger Deutsche Ehepaare sich für Kinder entscheiden. Und warum ist das so? Betrachten sie sich doch einmal nur die Mieten, Nebenkosten, so wie Strom, Gas und so weiter. Während die Löhne in den letzten 15 Jahren nur gering stiegen, kletterten die Preise für Mieten und Strom bis zu 60% in die Höhe. Allein die Mieten, rissen ein großes Loch in die Haushaltskasse. Hier ein Beispiel. Mein direkter Nachbar bezahlte noch vor 25 Jahren 400.- DM, für eine 78 m² Wohnung. Heute muss sein Nachmieter 600.- Euro dafür berappen. Wären die Löhne auch so gestiegen, dann müsste mein Nachbar von anfänglichen 15.- DM, heute 22,50.- Euro verdienen, er hat aber nur 16.- Euro Stundenlohn. Und bei den Strompreisen ist es ähnlich. So kostete ein Kilowatt 1990 noch 0,30 DM und heute etwa 0,30 Euro. Und so lässt sich die Liste beliebig erweitern mit Gas, Wasser, Benzin und anderen Heizmitteln. Für einen Ster Holz bezahlte man vor zehn Jahren 38.- Euro und inzwischen liegt er bei 76.- bis 120.- Euro. Das ist auch ein Grund mit dafür, warum Paare auf ein Kind verzichten. Mit einem Kind könnte man sich noch arrangieren, aber mit zwei Kindern geht das nicht mehr. Und das hat zur Folge, dass Deutschland seit Jahren schrumpft, wir werden immer weniger. Da liegt der Hase im Pfeffer. Während wir immer weniger werden, leben wir auch noch länger. Wie gemein ist das denn. Dies hat zur Folge, dass immer weniger Beitragszahler für unsere Rente aufkommen müssen. Und wie löst man das Problem? Beiträge erhöhen? Nein das kommt gar nicht in Frage, weil das Millionen von Arbeitsplätzen kosten würde. Also setzt man das Renteneintrittsalter von 65 auf 67 Jahren