Wie ich endlich den richtigen Mann gefunden habe. Brigitte Körner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Brigitte Körner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847636311
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meine Fahrt dauerte, gewöhnte ich mir an, jeden Blickkontakt zu meiden, um nicht als Ansprechpartnerin für eine Hetzrede infrage zu kommen. Zahlreiche Mitbewohner trugen ihr Scherflein bei und erwarteten auch meine Beteiligung an der Hexenjagd gegen diese Kiepert, die in ihrer Wohnung dem angeblich ältesten Gewerbe der Welt nachging. Weder ich noch, wie sich später herausstellte, Gregor dachten daran, sich ebenfalls diesen Schuh anzuziehen und sich von der Verachtung anstecken zu lassen und das Feindbild der ordentlichen Hausgemeinschaft zu übernehmen. Frau Kiepert war uns nie über den Weg gelaufen und unangenehme Kundschaft für sie war uns bisher nicht aufgefallen. Wie oft und ob überhaupt sie hier zahlende Freier empfing, wussten wir nicht. Und falls doch, so hätte es uns beide nicht gestört, mich machte es eher neugierig. Vor allem wollte ich sie endlich einmal kennen lernen oder wenigstens sehen. Wir lehnten es ab mit dieser keifenden Hausgemeinschaft unter einer Decke zu stecken. Das war`s. Das hat uns zueinander gebracht, Gregor und mich. Wir fühlten uns als kleine radikale Minderheit und genossen dieses Gefühl. Jede neue Hetzschrift am Schwarzen Brett gab uns die Gelegenheit es lustvoll in vollen Zügen auszukosten. Wir definierten uns als Opposition und in dieser Rolle miteinander verbunden und auf einander angewiesen. Allein gegen etwas zu sein, ist nicht gerade mein Ding, gemeinsam mit Gregor machte es richtig Spaß. Es tat gut sich das Mäntelchen der Toleranz und Großzügigkeit umzuhängen und sich damit von den anderen abzugrenzen. Dabei haben wir gar nichts für Frau Kiepert getan, überhaupt nichts, keine Gegendarstellung für das Schwarze Brett oder einen Brief an die Hausverwaltung, nichts dergleichen. Wir haben nur nie eine Unterschrift gegen sie geleistet, auch wenn wir von den Sprechern der Hausgemeinschaft zunehmend dringender zuerst mündlich und später schriftlich dazu aufgefordert wurden.

      Anfangs hatten Gregor und ich nichts miteinander zu tun. Er nahm den Fahrstuhl und ich die Treppe. Höchstens wenn ich sehr viel eingekauft oder einen Koffer zu schleppen hatte, benutzte ich auch den Lift. Das änderte sich erst, als die Lawine gegen Frau Kiepert losgetreten wurde. Da nahm ich lieber den Lift, um dem Gerede in jedem Stockwerk aus dem Weg zu gehen. Gregor kannte ich flüchtig vom Sehen, mehr nicht. Als Mieter gehst du normaler Weise zu keiner Hausversammlung, das betrifft nur die Wohnungseigentümer. Eine Mieterin wie ich kann in einem Wohnblock unbehelligt von den meisten anderen leben, wenn sie sich dafür entscheidet. Und ich habe mich dafür entschieden. Bisher hatte ich nur ab und zu mit einer Nachbarin auf dem gleichen Stockwerk Kontakt. Wir vertrauten uns bei Reisen gegenseitig die Briefkasten- und Wohnungsschlüssel an und gossen die Blumen. Unsere kurzen Gespräche fanden meistens vor den Wohnungstüren statt, selten luden wir uns auch mal auf einen Kaffee ein. Wie es die anderen Mieter oder Wohnungseigentümer hielten, weiß ich nicht. Anfangs waren mir nie debattierende Gruppen im Haus aufgefallen, aber auf einmal war alles anders. Plötzlich sah und hörte ich immer wieder Leute vor der Haustür oder im Treppenhaus mehr oder weniger aufgeregt und erbost miteinander reden.

      „So kann es nicht weiter gehen! Das können wir uns nicht gefallen lassen! Wo kommen wir da hin? Hat denn die Wohnungsbaugesellschaft nichts gegen diese Zustände? Die können damit auf keinen Fall einverstanden sein! Die haben schließlich ihren Ruf zu verteidigen. In dem Haus wohnen auch Kinder! Was ist mit den anderen Frauen hier? Muss auf die keine Rücksicht genommen werden? Das wäre ja noch schöner!“

      Es summte und brummte auf allen Gemeinschaftsflächen und –räumen vor und im Haus. Hausbewohner, die sich vermutlich bislang nie wahrgenommen hatten, sprachen miteinander, waren in heftige Diskussionen verstrickt und vertrauten sich persönliche Dinge an. Sie legten dar, wie lange sie schon in diesem Haus wohnten, mit wie vielen Familienmitgliedern in ihrer Wohnung und welche Renovierungen oder Umbauten sie sich im Laufe der Jahre zugemutet hatten. Was sie bisher an Arbeit, Energie, Zeit, Geld und Herzblut investiert hatten und jetzt das!

      „Das kann man doch nicht einfach so hinnehmen! Das geht wirklich zu weit! Es geht ja nicht nur um uns, obwohl mein Mann und ich auch nicht vorhaben uns das gefallen zu lassen, wir denken vor allem an unsere Kinder.“

      Jeder unbekannte männliche Halbwüchsige oder Erwachsene, der sich dem Haus näherte, wurde von einigen Fenstern aus zuerst verstohlen hinter den Vorhängen, dann ganz offen bei zurückgezogener Gardine oder geöffnetem Fenster in Augenschein genommen. Die Rücksichtnahme auf das Misstrauen der Nachbarn ging so weit, dass man sich schon gegenseitig erwarteten Besuch ankündigte. Das geschah allerdings auch, weil man den Besuchern eventuelle Fragen, zu wem sie wollten oder was noch schlimmer war, anzügliche Bemerkungen im Treppenhaus ersparen wollte.

      Eines Tages hing ein Aufruf am Schwarzen Brett neben der Haustür. Es war eine Einladung zu einer Aussprache. Als Tagungsort wurde das griechische Lokal um die Ecke vorgeschlagen, als einziger Programmpunkt war der Hausfriede angegeben. Um die Teilnahme aller Mieter und Wohnungseigentümer wurde dringend gebeten, die Anwesenheit von Frau Kiepert war ausdrücklich erwünscht. Der Aufruf war von mehreren Hausbewohnern unterzeichnet.

      Zuerst hatte ich keine Lust zu dieser Veranstaltung, aber aus Neugier und weil ich nichts anderes vorhatte, ging ich doch hin. Als ich zu der Versammlung kam, war der Gastraum schon so voll besetzt, dass mir von einem Kellner ein zusätzlicher Stuhl geholt wurde. Ich quetschte mich damit hinten an die Wand und sah mich um. Diese Leute wohnten also mit mir unter einem Dach oder wenigstens einige davon. Manche Gesichter waren mir mehr oder weniger bekannt, bei anderen war ich unsicher. Das Ehepaar Bause, das auf der gleichen Etage wie Frau Kiepert wohnte, hatte sich zu Moderatoren aufgeschwungen. Beide kannte ich vom Sehen. Sie begrüßten uns Mieter oder Wohnungseigentümer aus diesem äußerst unerfreulichen Anlass, wie Herr Bause mit hoch gezogener Augenbraue und beleidigter Stimme betonte. Er bedauerte ausdrücklich die Abwesenheit von Frau Kiepert, was aber auch nicht anders zu erwarten war, wie er sich beeilte hinzuzufügen.

      „Es geht also um Frau Kiepert. Kennen Sie die? Was ist mit ihr los?“, fragte ich meinen Nachbarn leise.

      „Keine Ahnung“, flüsterte er zurück. „Ich wohne nicht auf deren Stockwerk.“

      Herr Bause bat die Anwesenden um Ruhe, weil er beabsichtigte einen Brief der Hausverwaltung vorzulesen. „Halten Sie sich fest!“, forderte er die Zuhörer mit Grimm in der Stimme auf.

      Der Brief brachte die Gemüter zum Kochen. Hier wurde erklärt, dass es jedem Eigentümer möglich sei, in seiner Wohnung einem Gewerbe nachzugehen. Im Parterre gehe z. B. ein Steuerberater seiner Tätigkeit nach, was bisher von keinem Hausbewohner beanstandet worden sei. Wenn Frau Kiepert die Wohnung gemietet hätte, lägen die Dinge anders, dann wäre die Angelegenheit an den Vermieter zur weiteren Auseinandersetzung zu verweisen. Dies sei aber nicht der Fall, da es sich bei Frau Kiepert selbst um die Wohnungseigentümerin handele. Die Hausverwaltung habe keinen Einfluss auf die Art des Gewerbes, welches in den einzelnen Wohnungen ausgeübt werde, so lange dabei kein unzumutbarer Lärm erzeugt werde. Dass Frau Kieperts Tätigkeit mit häufigem Personenverkehr verbunden sei, sei an sich noch nicht störend und im Übrigen bei den meisten Kanzleien genauso.

      „Eine Unverschämtheit! Das ist ja das Allerletzte meine Arbeit mit dieser Nutte zu vergleichen! Das Wort Verkehr hätten die sich in dem Zusammenhang sparen können!“ Ein dicker Mann mit hochrotem Kopf erhob sich von seinem Sitz und klopfte sich auf die Brust.

      Von allen Seiten kamen Zwischenrufe, die die Aussage des Steuerberaters unterstützten.

      „Wo ist eigentlich jemand von der Hausverwaltung? Warum lassen die sich heute nicht blicken, diese Feiglinge! Oder haben Sie die etwa nicht eingeladen?“ Diese Fragen galten den Bauses.

      „Selbstverständlich haben wir die Hausverwaltung ebenfalls zur Teilnahme an unserer Sitzung eingeladen. Was denken Sie sich eigentlich? Wofür halten Sie uns?“ Frau Bause drehte ihren Kopf hektisch hin und her.

       „Wie ein aufgeregtes Huhn“, dachte ich, „sie müsste nur noch gackern und picken.“

      Frau Bause hob einen Zettel in die Höhe. „Wir sollten Argumente sammeln und sie der Hausverwaltung vorlegen. Es geht um den Hausfrieden und um die Moral. Bei uns hat sie noch einen Wert. Unser Haus ist kein Puff und kein Eroscenter. Wir haben vor Jahren die Wohnung gekauft um unseren drei Kindern eine schöne Umgebung zu schaffen. Mit viel Herzblut. Wenn ich daran denke, was daraus geworden ist.“ Ihre Stimme schlug ins Weinerliche um.

       Nun meldete sich der Mann neben mir: „Woher