Wie ich endlich den richtigen Mann gefunden habe. Brigitte Körner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Brigitte Körner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847636311
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Er zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich neben seinem Auto mit dem Rücken zu mir an einen Pfosten. Ich stellte mich ganz nah an das Plakat heran und betastete verstohlen die langen Beine von meinem wunderschönen Freund.

      „Wie gut, dass ich so früh gekommen bin, als hätte ich es geahnt. Wir haben die gleiche Wellenlänge, du und ich“, flüsterte ich ihm zu.

      Endlich machte ich die Fotos, eins nach dem anderen, von vorne, von rechts und von links. Ich holte die einzelnen Partien heran, seinen Kopf, sein Gesicht, seine Augen, seinen Hals, seine Brust, seine Arme, seine Hände, seine langen Beine in den Jeans. Ich trat einige Schritte zurück und nahm ihn im Ganzen auf, immer wieder.

      „Jetzt geh ich aber mal ran“, schreckte mich die Stimme des Plakatklebers auf.

      Ich sah auf die Uhr. So spät war es schon? Da musste ich mich sputen um rechtzeitig zum Unterricht zu kommen.

      „Danke, vielen Dank!“, rief ich dem Plakatkleber zu, schenkte meinem Mannsbild noch einen letzten Blick und trat in die Pedale.

      Meinen Unterricht brachte ich wie ein Automat hinter mich. Beim letzten Klingeln verließ ich, so schnell es ging, das Schulhaus, schnappte mein Fahrrad und fuhr wie gejagt nach Hause. Ich hetzte in mein Zimmer, lud die Bilder auf meinen Laptop und dann auf einen Stick. Zum Betrachten gönnte ich mir dabei keine Zeit, sie sollten ja so bald wie möglich entwickelt werden. Bevor ich mit dem Stick in der Tasche das Haus verließ, löschte ich alle Aufnahmen von meinem wunderschönen Mannsbild auf dem Fotoapparat. Diese Bilder gehörten nur mir allein, Erik gingen sie nicht das Geringste an. In der Drogerie ließ ich mir bei der Bestellung und Entwicklung der Bilder Zeit. Es war undenkbar, sich nicht jedes Foto genau anzusehen. Am liebsten hätte ich einige als Poster angefordert, traute mich aber nicht. Vielleicht später einmal. Ich entschied mich für das Format 10 x 15 bei allen Abzügen. Die konnte ich wunderbar in jeder Handtasche verstauen und mit mir herumtragen. In den nächsten Tagen und Wochen verbrachte ich viel Zeit damit die Fotos zu betrachten. Auch in der Schule nutzte ich die Pausen auf der Toilette dazu meinem Liebsten zuzulächeln.

      „Ist alles in Ordnung?“, fragte eine Kollegin besorgt, als ich neulich lange auf dem Klo blieb.

      Die hatte ja keine Ahnung, wie gut es mir ging mit meinem abgelichteten Schatz.

      Und dann geschah, was einfach kommen musste. Das Schicksal lässt sich nicht aufhalten, tief im Inneren habe ich es längst geahnt und das neue Ereignis erwartet. Auf jeden Fall war ich mit allen Sinnen und jeder Pore empfangsbereit. Dennoch war ich an diesem frühen Nachmittag kurz vor den Herbstferien nicht darauf gefasst. Es war schon die ganze Woche recht kühl und ich friere leicht, aber jetzt wurde mir plötzlich warm. Ich hatte den Tchiboladen gerade betreten, weil ich mir eine Thermokanne kaufen wollte, als sich unsere Blicke trafen. Da stand er an einem der hohen Bistrotische und trank einen Kaffee. Er war es, es gab keinen Zweifel, hier bei Tchibo stand mein Mannsbild und trank Kaffee. Diese Statur, die braunen, gelockten Haare, sein schönes Antlitz, die großen Augen, das Lächeln, die schlanken, langen Beine in den Jeans, er stand leibhaftig vor mir. Endlich! Ich lachte laut und ging zu ihm hin. Er sah mich überrascht, erstaunt, aber auch erfreut an. Hier im künstlichen Licht hatten seine Augen nicht dieses Mittelmeerblau, ihre Farbe war eher grau, grau wie die Havel oder die Spree. Ohne viel Federlesen holte ich die Fotos aus meiner Handtasche und legte sie vor ihm auf die Tischplatte. Bevor er Fragen stellen konnte, erklärte ich ihm, wie gut er mir auf dem Plakat gefallen hat und wie froh ich bin, dass ich mit den Fotos sein Bild für mich gerettet habe, bevor es überklebt wurde.

      „Wie heißt du?“, fragte er mich, als ich nach Luft schnappte. „Ich bin Ricardo.“

      „Ricardo, ich bin Hella.“

      „Erst mal raus hier“, sagte Ricardo und ergriff meine Hand. „Lass uns ein bisschen spazieren gehen. Wolltest du hier etwas kaufen?“

      Natürlich war ich mit einem Spaziergang einverstanden. Die Idee mit der Thermokanne verwarf ich auf der Stelle. So ein Ding brauchte ich überhaupt nicht. Unsere Küchenschränke quollen sowieso über. Auf der Straße war es immer noch warm, viel wärmer als heute Mittag, obwohl es allmählich dämmerig wurde. Wir entfernten uns bei unserem Spaziergang immer weiter von meinem Stadtteil und das war mir recht. Ricardo war ein guter Zuhörer. Er ließ mich reden ohne mich ständig zu unterbrechen, was ich bei Erik so hasste. Nachdem ich ihm von meinem Job berichtet hatte, fragte ich, wie es ist, seinem eigenen Konterfei überall in der Stadt zu begegnen. Anstatt zu antworten blieb er stehen.

      „Hier wohne ich, sagte er und deutete auf einen Balkon im ersten Stock. Möchtest du jetzt bei mir einen Kaffee trinken?“

      Es kam nicht zu dem Kaffee. Kaum hatten wir die Wohnung betreten, fielen wir übereinander her, zuerst hastig und gierig, dann überaus vorsichtig und zärtlich. Jeden Zentimeter, ach was, jeden Millimeter dieses gebräunten muskulösen Körpers wollte ich streicheln, meine Finger darüber gleiten lassen und liebkosen. Wie oft hatte ich es in Gedanken schon getan und nun war mein Traum Wirklichkeit geworden. Ich konnte nicht genug davon kriegen ihn zu berühren und fuhr mal mit der einen, mal mit der anderen Hand über seine Stirn, die Wangen, die schmale Nase, seinen Hals. Ich wuschelte in seinen Haaren, zerzauste sie und drehte einzelne Strähnen zu Locken. Ich legte mein Ohr auf seine Brust und lauschte seinem Herzschlag. Ricardo machte nicht viele Worte, aber seine Augen, seine Hände, sein ganzer Körper sprachen Bände.

      „Ich bin angekommen“, flüsterte ich, „ich bin endlich angekommen.“

      Mein Geliebter sagte nichts, er antwortete auf seine Art und beförderte mich damit erneut in andere Gefilde.

      „SEI WIE DU FÜHLST“, sagte ich, bevor ich in der Nacht das Taxi bestieg.

      „Mit dem Motto bin ich einverstanden“, Ricardo lächelte mir mit seinen herrlich grauen Augen und seinem göttlichen Mund zu. „Morgen treffen wir uns gleich bei mir?“

      Was für eine überflüssige Frage!

      Die folgenden Wochen mit Erik waren nicht leicht. Und wenn er mir noch so glaubhaft seine Liebe erklärte, so ernst und flehend wie nie bisher in all den Jahren unserer gemeinsamen Zeit, es interessierte mich nicht mehr. Ich hörte ihm nur aus Höflichkeit und aus Mitleid zu.

      „Unser Haus, unsere Reisen, unsere Freunde, unser Leben, unsere Erinnerungen, ist das alles nichts wert? Was habe ich falsch gemacht? Wie kann ich es ändern? Ich bin bereit dazu, aber gib mir eine Chance! Sonst ist das einfach unfair.“ Er schluckte und schniefte und sein Doppelkinn zitterte dabei. Und dann legte er eine andere Platte auf. Diese Töne waren gemein. „Glaub` doch bloß nicht, dass dieser junge Stecher lange Interesse an dir hat. Sobald der sich was anderes zum Vögeln an Land gezogen hat, bist du für den nur noch eine alte Schachtel. Dann lässt er dich links liegen. Guck doch mal in den Spiegel! Wofür hältst du dich eigentlich? Wovon lebt der überhaupt? Womit verdient er sein Geld? Vermutlich hat er es auf dein Beamtengehalt abgesehen. Willst du jetzt in einer kleinen, miesen Absteige unterkriechen, Hauptsache ihr habt ein breites Bett?“

      Solche Äußerungen voller Gift und Galle trieben mich zur Eile an. Hier in unserem Haus hatte ich nichts mehr verloren. Bei Ricardo konnte ich nicht einziehen, seine Wohnung war zu klein für uns beide. Aber zwei Straßen weiter fand ich etwas für mich. In meinem früheren Leben wäre mir diese Wohnung viel zu schäbig vorgekommen und die Gegend hätte mir auch nicht gepasst. Aber jetzt war es anders. Ich fühlte mich nicht mehr bürgerlich, was hatte ich dann in einer bürgerlichen Gegend zu suchen? Und außerdem wohnte ich nicht weit weg von Ricardo. Nur das zählte noch. Wie hatte ich es so lange in unserem Haus, diesem mit protzigen Möbeln vollgestopften Käfig ausgehalten? Warum hatte ich mich nie ernsthaft gegen Eriks Angebergeschmack gewehrt? Nicht mal bei der Küchenplanung hatte ich mich durchgesetzt. Jetzt konnte mir das endlich egal sein. Für Prospekte von Bulthaupt und Gaggenau würde ich keine weiteren Sekunden meines Lebens verschwenden. Der Plunder von Alessi konnte mir ebenfalls gestohlen bleiben. Erik durfte all das Zeug behalten, ihm war es wichtig, es machte das aus, was er als gehobenen Stil bezeichnete. Nur mein Arbeitszimmer zog mit mir um, alles andere ließ ich mit Erik zurück.

      Ricardo und ich trafen uns, wann immer er es