Traurige Strände. A.B. Exner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: A.B. Exner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847665212
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wenige Jahre vor dem Zerfall des sozialistischen Experiments auf deutschem Boden. Die dritte Frau heiratete einen Pfarrer aus der Bundesrepublik und verließ die DDR im Herbst 1988. Opa Beyer blieb. Er war einer der Sieger. Er hatte den Sozialismus auf dessen eigenen Territorium besiegt. Zwei Monate vor dem Mauerfall betreute er sechsundzwanzig Menschen in sechsundzwanzig Wohnungen. Diese geheimen Unterschlupfunterkünfte stammten teils von Künstlern, größtenteils aber von Menschen, die einfach nur unzufrieden mit der sozialen Situation waren. Eine Mammutaufgabe für einen alten Mann wie Opa Beyer. Er wurde nie enttarnt. Sein direkter Gegner wohnte, ohne es zu ahnen, nur zwei Hausnummern weiter. Nach der Wende lernten sich die beiden bei einer Podiumsveranstaltung in der Kulturbrauerei kennen. Das Ganze fand ungefähr drei Jahre nach dem Fall der Mauer statt. Im Stadtbezirk Prenzlauer Berg, in dem früher, zu sozialistischen Zeiten, die meisten Nichtwähler wohnten, waren gerade eben die meisten Stimmen für die PDS in Berlin abgegeben worden. Das interessierte die Welt, die Politik und die Anwohner. Wie konnte es dazu kommen? Im Publikum saßen freie Bürger, die verschiedene Vergangenheiten erlebt hatten. Ein geringerer Teil war der DDR sehr verbunden gewesen. Ein nicht größerer Teil der Anwesenden gehörte zur schweigenden Masse, deren Träume einfach in den vorgezeichneten Wegen der Parteifunktionäre vergilbten. Das Gros der Zuschauer jedoch wollte einfach nur Klarheit. Diese Menschen hatten Fragen. Wie war das mit den kleinen Mitarbeitern und Strukturen der Überwachung in Berlin? Welche Rolle spielten diese Seilschaften in der heutigen Zeit? Weshalb wusste man mehr als drei Jahre nach dem Fall des Systems so wenig darüber? So hatte jeder der Protagonisten auf der Bühne seine kleine Anhängerschar. Der Spitzel des Inlandsgeheimdienstes, der zu seiner Vergangenheit stand, wurde gefragt, wie er mit seiner Aufgabe umgegangen sei? Wie er mit Lügen, Schnüffeln und Hintergehen umgehen konnte? Das wären ja alles Befehle und das System gab ihm so einen Job und die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Macht. Zumal jeder Staat seine Systeme überwache. Was er getan habe, sei ganz normal gewesen. Das mit den Lügen aber könne er nicht verstehen, weil er immer die Wahrheit über die zu überwachenden Personen gesagt und weiter gegeben habe. Er sei sich keiner Schuld bewusst. Das System habe es so verlangt und immerhin habe das ja auch vierzig Jahre lang funktioniert. Das allein gebe ihm doch wohl schon Recht. Er habe nie gelogen. In aller Spitzfindigkeit, um von sich selbst abzulenken, leitete er die Frage nach der Lüge und damit an der Mitschuld des Nichtfunktionierens des Sozialismus, an Opa Beyer weiter. Die Anhänger des Gruppenleiters der informellen Mitarbeiter des Staatsicherheitsdienstes im Publikum setzen sich aufrechter hin. Sollte das Verbalgemetzel jetzt beginnen? Opa Beyer wurde also gefragt, wie er als Christ, als gläubiger Mensch zur Lüge stand. Im Auditorium zog sich ein unmutiges Raunen durch die Reihen. Durch alle Reihen. Offensichtlich waren die Reihen der Anhänger von Opa Beyer dichter geschlossen als die der Fans der ehemaligen Kontrollorgane der DDR. Opa Beyer griff nach seinem Glas, räusperte sich, sah seinem Gegenüber tief in die Augen und antwortete konzentriert ins Mikrofon: „Lügen ist nur dann ein Laster, wenn es Böses stiftet, dagegen eine sehr große Tugend, wenn dadurch Gutes bewirkt wird.“ Dann trank er einen Schluck, stellte sein Glas ab und wandte den Blick ins Auditorium. Dieses erwartete offensichtlich noch eine Erklärung, einen Nachsatz, kurz, er wollte Kontext! Die Reaktion allerdings kam von seinem ehemaligen Gegner. „Das ist doch wieder typisch, die Christen dürfen sich alles so zurechtlegen, wie sie es brauchen.“ Weißer Geifer sammelte sich in den Mundwinkeln. Die Augen stierten in Richtung der mehr als zweihundert Personen im Zuschauerraum. Dort jedoch kam keine Reaktion, die den alten Mann hätte ruhiger werden lassen können. „Lügen steht jetzt wohl in eurem Buch der Bücher als Tugend, als eines der Zehn Gebote?“ Der Mann war kurz davor seine Contenance völlig zu verlieren. Er war aufgesprungen. Seine definitiv im Publikum vertretenen Anhänger wurden sehr ruhig. Dort baute sich Distanziertheit auf. Die ehemaligen Befürworter wanderten ab. „Woher bitte stammt denn dieser blöde Spruch? Aus dem Buch Genesis oder den Briefen an die Korinther? WOHER?“ Opa Beyer antwortete, indem er das Mikrofon ganz nah an den Mund nahm und sehr deutlich und laut nur diese acht Buchstaben, diese beiden Silben sprach: „VOLTAIRE!“ Das Mikro von seinem Gesicht weg schiebend, ließ Opa Beyer sich gleichzeitig gemütlich in seinen Sessel fallen. „WAS SOLL DENN EIN WOLLTÄHR SEIN?“ Diese gebrüllte Fragestellung des offensichtlichen Verlierers dieser Podiumsdiskussion beendete eben selbige und füllte auf Wochen die Seiten von einigen Zeitungen. Opa Beyer war einer von den Guten. Den richtig Guten. Ich verabscheute seine Aura und seinen Habitus. Er war zu gut. Komplotte und Intrigen zu schmieden konnte mit ihm nicht funktionieren. Wir benötigten aber die Hilfe dieses Heiligen. Wir hatten also mit Heidi Tech, Opa Beyer und mir eine perfekte Überwachung organisiert. Eine Überwachung die uns drei Jahre lang nicht einen Schritt weiter gebracht hatte. Was meinen Chef sehr wurmte. Jetzt, da Metin nicht mehr war, stand die Münze plötzlich auf dem Rand. Kopf oder Zahl? Diese Bande wusch Geld. Das war klar. Wie? Wer? Woher? Wohin? Wann? Das waren die Fragen meines Chefs an mich. Vieles wusste ich bereits. Allein, ich wollte ihm noch nicht Bericht erstatten. Nur wenn ich diesen Wollknäuel komplett vor ihm ausrollen können würde, dann würde ich reden. Und ihn um die Versetzung ins Ausland bitten. Auch Menschen wie ich hatten Ziele. Ergo arbeitete ich weiter. Es war kein Kontakt von Liska zu Metins Geschäften oder seinen Partnern nachzuweisen. Wir hatten mehrere Mal versucht zu ergründen, ob Metins Leute Liska zu geheimen Botendiensten benutzten. Botendiensten von denen Liska nichts wusste. Immerhin rannte die Frau stundenlang in verschiedensten Verkleidungen durch den Wedding, Kreuzberg und Mitte. Sie setzte sich in einschlägig bekannte Restaurants, echte Berliner Kneipen und die heruntergekommensten Etablissements. Als Mohammedanerin verkleidet mischte sie sich unter Touristengruppen auf dem Alexanderplatz oder dem Kurfürstendamm. Einen Tag später, als geblümt bekleidete Marokkanerin, fand sie sich auf der Besucherempore im Berliner Rathaus. Die dritte Verkleidung der Woche war indisch, in einem vorrangig von Asiaten besuchten Klubhaus in der Nähe des Museums für asiatische Kunst in Dahlem. Unser Abteilungsleiter war elektrisiert. Das musste es doch sein. Perfekte Verkleidung. Verschiedene Haarfarben, immer anders geschminkt. Das war die Botin der Geldwäscher. Seit sie am ersten Abend dieser Eskapaden mit dem Taxi nach Haus fuhr, wurde festgestellt, dass der Fahrer Türke war. Seither wurden auch diese möglichen Geldpfade mit überwacht. Taxifahrer als Kuriere. Das wäre genial. Und war… Ergebnislos. Und es war zum Verzweifeln. Erst nach einem Gespräch von Liska Wollke mit ihrer neuen Freundin Heidi aus der Knaakstraße 14, wurde uns klar, was dieses ganze Verkleidetheater sollte. Es war ihre Arbeit und ihr Hobby gleichzeitig. Sie ging ihren Forschungen als Sozialepidingsda nach. Sie blieb aber der Kontakt zu Metin. Ich persönlich hatte Metin in der Kneipe „stadtgöre“ kennen gelernt. Ein farbloses Werkzeug. Für beide Seiten, sowohl für die Chefetage in seinem Finanzamt, als auch mit Sicherheit für seinen Chef bei den dunklen Geschäften. Heidi konnte mit Metin gar nichts anfangen. Metin zu reizen war schlichtweg nicht möglich. Er rastete nie aus. Selbst als einer unserer Leute ihm mit Absicht in seinen Peugeot fuhr, erklärte Metin nur, dass die Versicherungen das wohl schon regeln würden. Wir brauchten diesen Unfall, damit wir eine Chance hätten, das Auto einmal in aller Ruhe zu demontieren und mit entsprechender, nur uns dienlicher, Elektronik zu bestücken. Es gelang. Wir waren innerhalb weniger Stunden mit der Reparatur fertig und könnten jeden Schritt, besser, jeden gefahrenen Weg Metins live überwachen. Dachten wir. Zwei Tage nach dem Unfall rief Metin in der Werkstatt an, um zu verkünden, dass ein türkischer Autohändler den Peugeot holen würde, er selbst habe sich schon ein neues Auto gekauft. Immer wieder setzten wir zum Stoß an, immer wieder erlitten wir Rückschläge. Und jetzt war Metin tot. Und Liska war weg. Wohin? Nicht die leiseste Ahnung. Morgen musste ich mit dem Chef zum Staatsanwalt. Darauf freute ich mich wie auf eine 4-Finger Rektaluntersuchung.

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       LISKA WOLLKE

      Ich kannte ihn seit drei Tagen.

       Nikolaus Demir.

       Alles machte er mit enormer Intensität.

       Wenn er in sich versunken nachdachte, nahm ich den Geruch von kochender Milch wahr.

       Wenn er wild in mich drang, suchte ich nach dem Geruch von verbranntem Kondomgummi.

       Jetzt aber, er führte nach Orgasmen mit drei zu zwei, lag sein Kopf auf meinem Bauch. Mit der rechten Hand verwöhnte