Traurige Strände. A.B. Exner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: A.B. Exner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847665212
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meine Observationswohnung und ging über die Straße. Kein Mensch war zu sehen. Meine zugeschaltete Handyapplikation bewies mir, dass die Wohnung inzwischen keine neuen Besucher hatte. In keinem Raum. Zuerst sicherte ich die Fingerabdrücke auf der Haarbürste. Liskas daktyloskopische Abdrücke hatten wir. Jetzt auch die von dem Hünen, von Xetar, der Metin in den Unfall trieb. Dann kam die richtige Arbeit. Metins Leichnam auf den Balkon zu wuchten war schwer. Noch schwerer war, sich im Waschprogramm seiner Waschmaschine zu Recht zu finden. Mit Blut beschmutzte Laken immer erst mit kaltem Wasser per Hand ordentlich durchspülen und dann in einem möglichst wenigstens 60° Programm komplett durchwaschen. Ich war bestimmt zum hundertsten Mal in dieser Wohnung. Wieder suchte ich nach Informationen. Nach Akten, nach Anhaltspunkten. In seinem Büro hatten wir nichts entdecken können. Wir wussten, dass sie es taten. Wir ahnten wie. Wir hatten keine Beweise. Nach fast zwei erfolglosen Suchstunden war die Waschmaschine fertig. Das Laken konnte zum Trocknen auf den Balkon. Neben Metins letztes Lager. Vorletztes. Ich tauschte die Haarbürste, die Liska benutzt hatte, gegen eine andere, die ich im Flurspind fand. Nach meiner Erinnerung waren keine weiteren, offensichtlichen DNA Spuren von Liska in der Wohnung. Die normalen Fingerabdrücke ließen sich durch Liska sicherlich leichter erklären, als Menstruationsblut auf dem letzten Laken des Opfers. Warum tat ich das? Die Spur zu Liska Wollke hätte unsere Polizisten nur abgelenkt. Was könnte ich hier noch tun. Ich hatte ein Verbrechen absichtlich vorgetäuscht, um die Mittelsmänner Metins unter Druck zu halten. Hatte, obwohl es mich anstank, so gut es eben ging, Liska aus der ganzen Chose rausgehalten. Mehr durfte ich nicht tun. Spuren zu verwischen hieße, die Normalbullen auf Fährten zu locken. Das galt es zu vermeiden. Es wurde Montag. Ich erwartete Liska. Ich wusste aus drei Gründen, dass sie hierher kommen würde. Sie wurde durch Xetar mehrfach von Metins Handy aus angerufen. Liska musste aber davon ausgehen, dass die Anrufe von Metin waren. Das war der erste Grund. Zum weiteren hatte ich im Gefühl, dass Liska kommen würde. Das war zumindest für mich der offensichtlichste Grund. Drittens: Meine Kollegen kündigten sie soeben an. Ich wollte wissen, was sie eventuell wusste. Wenn Liska Wollke Komplizin war, dann würde sie sich genau jetzt verraten. Sofort war ihr klar, dass die Tür aufgebrochen worden war. Sie warf einen Schuh in die Wohnung – weshalb auch immer. Was sie auf den Balkon lockte, weiß ich nicht. Als sie den Leichnam Metins entdeckte, blieb sie erstaunlich ruhig. Das Laken begutachtete sie mit einem erleichterten Lächeln. Dann ging sie sehr zielstrebig vor. Ich konnte sehen, dass sie die Haarbürste und die Zahnbürste mitnahm. Das Weshalb war offensichtlich. Liska verließ die Wohnung. Sie hatte nichts gesucht, keine Geheimfächer geöffnet, den Computer im Schlafzimmer nicht eines Blickes gewürdigt. Meines Erachtens war diese nervige Person damit entlastet. Die Kollegin der Observation sollte mir melden, wenn Liska weit genug von der Wohnung entfernt war. Sieben Minuten nach dieser Meldung betraten wir zu fünft die Wohnung, um unsere Überwachung zu deinstallieren. Acht Kameras und doppelt so viele Mikros. Nach weniger als einer Viertelstunde waren wir wieder draußen. Den Computer ließen wir in Ruhe, die Daten hatten wir uns sowieso permanent gespiegelt. Immer wenn der Kollege Finanzbeamte seine Wohnung verließ, holten wir uns seine Daten. Er war unter [email protected] für seine Kumpels und unter [email protected] für die seriösen Kontakte erreichbar. Er versandte an fleißigen Tagen mehr als zwanzig Mails. An Kumpels in die Heimat und in Berlin. Nirgends sonst kannte er Menschen. Was uns nicht wenig erstaunte: die komplette Buchhaltung für zwei Sektionen des türkischen Sportverbandes von Berlin lag in seiner Hand. Ehrenamtlich. Absolut seriöse Abrechnungen. Alles Sauber. Wir hatten dies sofort geprüft. Hätte ich ihn nur verhören dürfen. Eigentlich hatte ich Metin immer den Rest geben wollen. Schade, dass eine Haarbürste dazwischen kam. Seit Jahren beschattete ich Metin Gürdük und dessen Machenschaften. Ich wusste wonach ich fragen hätte wollen. Allein, ich durfte nicht. Ich verließ die Wohnung als Letzter. Die Einbruchspuren an der Tür waren offensichtlich. Wir ließen es dabei. Dann bestellten meine Kollegen einen Paketboten für den Montagabend in die Wohnung. Somit würde dann die Leiche schon mal gefunden, weil der Bote einer unserer Gehaltsempfänger war. Wenn auch nicht gerade auf Vierhundert-Euro-Basis. Eher weniger. Opa Beyer signalisierte mir durch einen verkehrt herum liegenden Fußabtreter, dass ich willkommen sei. Das Wort ENTER auf eben diesem Rosshaarfußabtreter war von seiner Tür aus zu lesen, für den Besucher stand die Nachricht auf dem Kopf. Natürlich hatte er mich vorher einfach auf meinem Handy angerufen. Aber dieser kleine konspirative Spleen - wie der mit der Fußmatte - war ihm eben nicht zu nehmen. Er wollte mir Informationen über den Herren liefern, der bereits zweimal in Liska Wollkes Wohnung eingestiegen war. Der alte, dennoch unglaublich vitale Mann, machte sich echte Sorgen. Die Einbrüche mussten Gründe haben, die so ein Vorgehen rechtfertigten. Da hatte der alte Nachbar unbedingt recht. Auch ihn mochte ich nicht, er war so makellos. Aber zurück zu meiner Arbeit. Warum bricht Xetar Gulper zweimal in die Wohnung von der Wollke ein. Wie viel Schuld lädt man sich für welch einen Gegenwert auf? Wie viel ist ein Menschenleben wert? Wie viel Zeit im Gefängnis zu verbringen riskiert man wofür? Natürlich musste er, wie mit Liska Wollke abgesprochen, die Polizei informieren. Selbstredend aber hatte Opa Beyer nicht sofort die uniformierte Truppe gerufen sondern sich vorher direkt bei mir gemeldet. Dass alle „Opa“ zu ihm sagten, war ihm Recht. Es hatte sich seit wir ihn zwei Jahre nach der Wende kennen gelernt hatten, so eingebürgert. Die Überwachungseinrichtungen in Liskas Wohnung offenbarten ein Leben in mich verwirrender Offenheit. Dieses Empfinden präziser zu beschreiben würde in freizügigen Stilmitteln ausarten. Noch nicht in pornographischen Stilmitteln, jedoch, viel fehlte nicht. Mit unserem Fall hatte dies alles nur als Nebenschauplatz zu tun. Liska Wollke war in etwas rein gerutscht, was sie selbst nie bemerkte. Ihre Naivität war einfach Schwindel erregend. Sie war der festen Überzeugung, ihr Leben im Griff zu haben. Sie hatte aber nur einen Griff in der Hand – nicht mehr. An diesem Griff hing nichts weiter. Ohne ihren Professor, ohne ihre Studenten und letztlich ohne mich, wäre Liska schon längst…? Ja, wo würde sie sein? Sie hatte nicht mal Freunde. Metin hatte sie nur aus einer durch ihre Faulheit provozierten Notsituation kennen gelernt. Mit einer gewissen Zielstrebigkeit, zugegeben, dennoch hätte es auch gereicht, einfach die Steuererklärung selbst auszufüllen. Sogar ihre Freundin Heidi aus der Knaakstraße 14 war eine meiner Kolleginnen. Wir setzten Heidi auf Liska Wollke an, weil wir uns einfach nicht vorstellen konnten, dass Liska keinerlei Menschen in Ihrem Umfeld zum Freund hatte. Alle meine Kollegen vermuteten dahinter eine Legende. Wir mussten davon ausgehen, dass es Liska Wollke so nicht gab, sondern dass es sich um eine konstruierte Person mit erdachter Historie handelte. Wir sollten falsch liegen. So erstaunlich es uns vorkam. Wir mussten den Kontakt zu Metin aber sichern, sollte heißen, wir benötigten eine Kontaktperson in Liskas Nähe, besser aus dem direkten Umfeld. Über einen Tipp der psychologischen Beraterin unserer Abteilung, kamen wir an Opa Beyer ran. Beide, Beyer und unsere Psychologin waren in derselben evangelischen Gemeinde in Berlin organisiert. In der Paul-Gerhardt-Kirche in der Wisbyer Straße im Prenzlauer Berg. Sofort erklärte er sich bereit, zu helfen. Seine Geschichte war nicht nur in der Kirchengemeinde bekannt. Der alte Nachbar hatte eine freundschaftliche Beziehung zu Liska aufbauen können, die schnell durch Vertrauen und sogar Zutrauen gekrönt wurde. Er würde dieses Vertrauen niemals enttäuschen, soviel stand fest. Deshalb hatte Opa Beyer Liska Wollke auch nur beaufsichtigt, und niemals die Ergebnisse seiner Überwachung einsehen wollen. Was mir als Leiter dieser Observation durchaus in die Karten spielte. Opa Beyer war einer der sechs Verantwortlichen aus der evangelischen Gemeinde, die zu DDR-Zeiten Regimegegner versteckten und dabei nicht auf die Konfession achteten. Soweit zu der evangelischen Glaubensgemeinde. Katholische Denkperioden dauern etwa fünfhundert Jahre. Nicht aber, wenn sich diese in einem sozialistischen Staat befinden. Dann sind die wirklich flexibel. Und kooperativ. Auch ökumenisch. Die katholischen Feinde des Sozialismus hatten in der Sankt-Augustinus-Kirche in der Dänenstraße ihren Anlaufpunkt und die evangelischen in der schon erwähnten Kirche, in die auch Opa Beyer immer ging. Konfessionslose wurden in den geheimen Wohnungen und in einem kleinen Versammlungsraum im Dachgeschoß des Schwimmbades in der Oderberger Straße betreut. Von den sechs Freiwilligen wurde anerkennenswert gute Arbeit geleistet. Diese sechs, drei Männer und drei Frauen, waren die Verantwortlichen für den Stadtbezirk Prenzlauer Berg. Sie sorgten für Unterkunft, wo auch immer, besorgten Verpflegung und organisierten sowohl Kleidung als auch Verkleidung. Damit waren diese Christen direkte Gegenspieler des Inlandsgeheimdienstes und der Polizei. Zwei der Frauen wurden durch Lockvögel verraten. Beide saßen einige Zeit im Gefängnis. Eine erlag vor der Wende einem Herzanfall, die