Clockwise - Reise durch Traum und Zeit. Carola Hipper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carola Hipper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847622826
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hatte; das Kleinod war das Behältnis einer schicksalhaften Botschaft, die als Prophezeiung lange Zeit verborgen in seinem Inneren ruhen sollte, bis, eines Morgens, Stellavera vom sterbenden Atem des Mondes geweckt wurde.

      Noch war die Welt in Sternenlicht getaucht und dichter Nebel lag über den Ebenen von Dies parhathellyienn, da schickte sich die göttliche Sternenwahrerin an, in die Sphären von Terra lucida einzutauchen und den Stimmen der heiligen Seelen zu lauschen. Ihr himmlischer Gesang rührte kaum an den ersten Strahlen der Morgenröte, da leuchtete das Weiße Jugulum hell auf, und Stellavera ward von einer Vision heimgesucht. In einer Zeit, da das Weltreich des Tyrannen Mordogar zerfallen war, und die großen Usurpatoren um die Macht eiferten, wurde die Welt von erbitterten Territorialfehden verwüstet. Überall auf Erden und in den Zwischenwelten tobte ein kräftezehrender Kampf zwischen den rechtmäßigen Eigentümern der Erdteile und jenen, die das Erbe Mordogars an sich reißen wollten. Es gab der Schlachten unzählige, und doch war es ein einziger Krieg, der alle Sphären gleichermaßen erschütterte.

      Infolge der Territorialkämpfe, die beide Hemisphären erfaßt hatten, waren die alten Grenzen aufgesprengt. Ungewißheit beherrschte die Nationen, uralte Bündnisse waren zerschlagen, die alten Herrscher ermordet. Vertrauen verwandelte sich in Zweifel, Uneinigkeit hatte die Königreiche verwundbar gemacht. Überall auf der Welt strebten die großen Usurpatoren nach der Macht. Man schrieb das 8. Jahrhundert im 13. Jahrtausend nach metaphorischer Zeitrechnung. Metaphoren, so wurden die Wolkenkinder von den Bewohnern von Thalamarrh genannt; sie waren nicht nur die direkten Abkömmlinge der Weißen Havatheri, sondern auch Zeugen aller Vorgänge auf der Welt.

      Die Metaphoren besaßen menschliche Gestalt. Doch ihr göttlicher Atem machte sie erhaben über die Schwerkraft der Erde, und so schwebten sie in den Wolken der Zwischenwelten Thalamarrh und Wanamarrh. Niemals in der Geschichte der Zeit hatte ein Wolkenkind seinen Fuß auf den Boden der Zwischenwelt gesetzt.

      Zu jener Zeit geschah es, daß Stellaveras allgütiger Blick in das Zentrum des Weißen Jugulums wanderte. Dort, im tiefsten Zentrum der Unendlichkeit, sah sie einen Stern aufleuchten. Sein Licht erstrahlte in allen Farben des Regenbogens. Beim Anblick solcher Pracht wußte die Gottgeborene, daß ihr die größte Offenbarung zuteil geworden war. Stellaveras Vision kündete von Orvelyn, dem Menschenkind, das auserkoren war, zwischen den Welten zu wandeln und als erstes sterbliches Wesen heimzukehren nach Terra lucida.

      Seither erzählen sich die Wolkenkinder, Orvelyn, das Menschenkind, sei auserwählt, der Zeit ihre Farbe zurückzugeben und so die Weltenordnung zu erneuern. Die Kunde von der Ankunft einer großen Erlöserin verbreitete sich über alle Erdteile. Nicht lange, da kannte jeder Bewohner der Hemisphären die Prophezeiung von Orvelyn, dem Magischen Mädchen.

       ENDE ARENGA BUCH I

       Norddeutschland,

       Januar 2000

       1. Kapitel Ein Spaziergang im Schnee

      An jenem winterlichen Sonntagmorgen lag eine wundersame Stille über dem Haus der Familie Clock, als die zwölfjährige Emma erwachte. Das Mädchen lag mit geschlossenen Augen da und lauschte den eigenen, regelmäßigen Atemzügen.

      Noch hatte der Schlaf seinen sanften Schleier nicht ganz und gar gelüftet, und noch immer fühlte sich Emma als ein Teil jenes fremden Landes, das sie in ihrem Traum bereist hatte, da begann die Erinnerung an die phantastischen Abenteuer, die sie in der vergangenen Nacht durchlebt hatte, zu verblassen. Schlaftrunken wankte das Mädchen an der Schwelle zwischen Traum und Wirklichkeit, und beinahe bedauerte Emma, die wunderbare Traumwelt verlassen und zum Leben erwachen zu müssen. Eine Weile blieb sie reglos liegen. Sie horchte in die Stille des Raumes hinein, dann, endlich, richtete sie sich auf. Noch herrschte die Dunkelheit mit magischer Macht über Emmas kleine Welt, als das Mädchen die Bettdecke zurückstreifte, aufstand und zum Fenster ging. Emma blickte hinaus in die sternklare Nacht, die sich noch nicht entschlossen hatte, dem anbrechenden Tag zu weichen.

      An diesem besonderen Morgen schien es Emma, als leuchteten die Sterne in einem sehnsuchtsvollen Blau vom Himmel auf sie herab. Gerade wollte sie das Fenster öffnen und die klare Morgenluft mit einem tiefen Zug einatmen, sie beugte sich dicht über das Fensterbrett, als plötzlich-

      »Aua!« meldete sich eine ihr wohlbekannte Stimme vorwurfsvoll.

      »Oh! Entschuldige, Paddy! Habe ich dich aufgeweckt?« Emma trat rasch einen Schritt zurück und beugte sich hinab zu dem kleinen stacheligen Gewächs, das in einem mit Sand gefüllten Blumentopf auf ihrem Fensterbrett stand und sich in dieser Sekunde ausgiebig räkelte.

      »Uuuiiiaaaaaaaah!« gähnte das grüne Gewächs aus voller Kehle. »Es ist ja noch mitten in der Nacht!«

      »Ach, ich wollte nur das Fenster öffnen, dabei muß ich dich angestupst haben. Tut mir leid, ich wollte dich nicht aufwecken«, sagte Emma und ließ sich vom Gähnen ihres stacheligen Zimmergenossen anstecken.

      »Hab’ ich dich etwa in den Bauch gepikst?« grinste der kleine Frechling, der weder Mensch noch Tier war. Paddy war ein aufgeweckter, kleiner, grüner Kaktus, dessen voller Name Sir Paddington Grusonii lautete.

      »Beinahe!« schmunzelte Emma und warf Paddy einen vieldeutigen Blick zu, während sie in ihre Jeans und das T-Shirt schlüpfte, das sie am Abend zuvor über die Stuhllehne geworfen hatte.

      »Tjaja, ich kann nun mal nicht heraus aus meiner Haut«, erwiderte der kleine, grüne Stachelkopf und räkelte sich genußvoll.

      »Und ich vergesse immer wieder, daß du für deine Größe ganz schön frech bist! Warte nur, ich hab’ dich lange nicht mehr abgebraust ...« Emma machte ein gespielt drohendes Gesicht.

      »Wasser? Bäääh!« Paddy zog einen Flunsch und schüttelte seine spitzen, goldgelben Stacheln in alle Himmelsrichtungen. Dann verschränkte er die kurzen Arme und fügte hinzu:

      »Das meinst du doch nicht ernst, oder? Wenn du mich unter die kalte Dusche stellst, hole ich mir einen Schnupfen, und dann sollst du mal erleben, was es heißt, mit einem niesenden, hustenden, prustenden Echinokaktus das Zimmer zu teilen. Oh ja, und wenn ich mir dann eine Infektion zuziehe und am Ende an Naßfäule elendiglich zugrunde gehe, jaja, dann wirst du schon merken, was du in den guten alten Zeiten an mir hattest!«

      Emma streifte sich ihren Lieblingspullover über und schüttelte lächelnd den Kopf:

      »Du bist nicht nur wasserscheu, mein Freund, ein richtiger kleiner Dramatiker bist du!« lachte sie. »Sei bloß froh, daß du kein kleiner Junge bist. Sonst müßtest du dich täglich waschen und sogar die Zähne putzen!«

      »Iiiiiiiihhh!« rief Paddy aus und schüttelte sich voller Abscheu.

      »Pst. Sei mal still!« sagte Emma, die die Zimmertür vorsichtig geöffnet hatte und nun ins dunkle Treppenhaus spähte.

      »Ich habe etwas gehört. Ich glaube, Mama ist aufgestanden«, flüsterte das Mädchen.

      Emmas Eltern durften nicht erfahren, daß sich ihre Tochter wieder einmal mit ihrem kleinen, grüngelben Zimmergenossen unterhielt. Sie hielten Paddy für ein lebloses Gewächs, und sie sahen es nicht gern, daß Emma mit ihrem kleinen, grünen Gefährten redete, statt mit gleichaltrigen Jungen und Mädchen Freundschaften zu schließen. Emma erinnerte sich nur zu gut an das Donnerwetter, als Tante Kunigunde sich eines Sonntags bei einem ihrer unerwünschten Besuche im Hause Clock auf Paddys Kopf gesetzt hatte. War das ein Tohuwabohu! Emma hatte nicht aufgepaßt und den kleinen Kaktus für einen Moment auf dem großen Ohrensessel im Wohnzimmer abgesetzt, als Emmas Mutter plötzlich ihren Namen gerufen hatte. Das Mädchen war zu ihrer Mutter in die Küche gelaufen, und als die dicke Tante unbemerkt von ihrem ausgiebigen Toilettengang zurückgekommen war, hatte sie sich mit ihrem großen, behäbigen Hinterteil auf den Sessel niederlassen wollen. Und gerade, als sie den armen Paddy schon beinahe zerquetscht hatte, nun, da hatte er sich schließlich zur Wehr setzen müssen –, und so war es passiert! Paddy hatte seine allerdicksten Stacheln ausgefahren, und Tante Kunigunde war schreiend aufgesprungen und wie von einer Tarantel gestochen im Wohnzimmer