Clockwise - Reise durch Traum und Zeit. Carola Hipper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carola Hipper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847622826
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hast du denn geträumt?«

      »Ich habe geträumt, daß Mama und Paps sich einen Sohn gewünscht haben. Ich erfülle ihre Erwartungen nicht. Deshalb streiten sie sich ständig. Ich glaube, sie waren immer schon ein bißchen enttäuscht, weil ich nur ein Mädchen geworden bin.«

      »Das ist doch Unsinn!« meinte Paddy. »Deine Eltern sind wahrscheinlich so sehr mit sich selbst beschäftigt, daß sie sich gar nicht mehr miteinander beschäftigen können. Aber das kann ja nicht ewig so weitergehen.«

      »Du meinst, sie schieben ihre Probleme vor sich her, statt nach einer Lösung zu suchen?« schniefte Emma.

      »Vielleicht. Das ist eben das einfachste. Wenn man sich ordentlich anschreit, braucht man sich nicht über das Wesentliche zu unterhalten.«

      »Na ja. Womöglich hast du ja recht, und es war wirklich es nur ein ganz dummer Alptraum. Hast du auch manchmal böse Träume, Paddy?« erkundigte sich Emma, während sie in ihrem Mantel nach einem Taschentuch suchte.

      »Nein, nie! Ich träume immer, daß ich Pepperoni in die hoch erhobene Nase piekse! Das ist wohl eher ein Wunschtraum, oder was meinst du?!« sagte Paddy verschmitzt.

      »Ach, ihr zwei! Daß ihr dauernd streiten müßt!« Emma schüttelte den Kopf und lächelte.

      »Halb so wild. Was sich frißt, das liebt sich! Eigentlich ist die kleine Zicke ganz in Ordnung. Ich kann sie bloß nicht besonders gut leiden«, verriet Paddy gelassen.

      »Wo ist sie überhaupt abgeblieben? Ich sehe sie nicht mehr!« Auf Emmas Stirn zeichnete sich eine sorgenvolle Falte ab.

      »Die wird sich ’nen Schneekater gesucht haben, den sie ein bißchen auftauen kann!« frotzelte Paddy.

      »Pepperoni!« rief Emma laut in den Wald hinein. »Pepperooooni! Wo steckst du?«

      »Wenn du ihr unbedingt hinterherlaufen willst, dann sollten wir einfach ihrer Spur folgen«, philosophierte Paddy altklug. Emma sah zu Boden und erblickte Pepperonis Pfotenabdrücke auf der dicken Schneedecke. Die beiden folgten den kleinen Tatzenspuren bis zu einer Anhöhe, nach der sich der Weg gabelte. Der Schnee wurde immer tiefer und dichter, je weiter sie in den Wald vordrangen. Emma rief wieder und wieder Pepperonis Namen, doch die Katze blieb verschwunden. Als Emma ihren Schritt beschleunigte, griff Paddy ahnungsvoll nach einer ihrer Haarsträhnen. Als das Mädchen zu laufen begann, purzelte Paddy auf und ab, so daß er Mühe hatte, sich auf Emmas Schulter zu halten. Hilflos hüpfte er hin und her, kreuz und quer, bis ihm ganz schwindelig wurde. Die besorgte Emma lief schneller und schneller durch den Schnee. Sie bemerkte kaum, daß Paddy sich in ihrem Haar festklammerte und dabei unsanft durch die Luft geschüttelt, gerüttelt und geschleudert wurde. Wie ein kleiner Stacheltarzan in den Lianen hing der arme Paddy in Emmas dichtem Haar.

      »Ah, endlich!« keuchte Emma, die vom Laufen ganz außer Atem war. »Da vorn, da! Da ist sie!« Sie blieb stehen und rief noch einmal laut Pepperonis Namen. Endlich wandte die Katze, deren schwarzes Fell vor Kälte einen Blaustich bekommen hatte, den beiden ihr Gesicht zu. Sie miaute einmal kurz und fing an, sich zu putzen.

      »Na, die-hi hat ja Nerven!« hickste Paddy, der vom Durchgeschütteltwerden einen heftigen Schluckauf bekommen hatte. »Mir ist jedenfalls ganz schwi-hi-ndelig!«

      Mittlerweile brach der Tag an, und die Schneelandschaft erstrahlte bald im aufgehenden Sonnenlicht. Von Ferne hörten Emma und Paddy Pepperoni ungehalten schimpfen:

      »Nein, es war keine gute Idee, so früh am Morgen lustwandeln zu gehen! Keine gute Idee, nein! Die eiskalte Luft schadet meinem Teint!«

      »Ich glaube eher, das vi-hi-le Parfum scha-ha-det deinem Hi-hi-rn!« sagte der hicksende Paddy vergnügt, während er in das goldgelbe Licht der aufgehenden Sonne blinzelte.

      »Sollte ich ein Sonnenbad nehmen?« Pepperoni war auf eine erhöht gelegene Steinplattform geklettert. »Oh ja, das werde ich tun!« fügte sie hinzu und räkelte sich genüßlich, bevor sie eine sorgsam ausgesuchte Stelle der Plattform mit ihren fächerartigen Schwanzbewegungen vom frischen Schnee befreite. Nur noch ein letztes, schwungvolles Wedeln mit dem Katzenschwanz, dann, endlich, ließ sie sich nieder. Emma lächelte amüsiert. Plötzlich ertönte ein knarrendes Geräusch über ihren Köpfen. Emma trat einen Schritt zurück und sah sich um. Hoch oben in den Baumwipfeln bewegte sich etwas.

      »Vielleicht ein Vogel, der hier überwintert«, dachte Emma. Sie hielt eine Hand schützend vor die Augen, weil das grelle Sonnenlicht sie blendete. Pepperoni saß noch immer schmollend auf der freigeschaufelten Stelle unmittelbar unter einer mächtigen Blautanne, die bis in den Himmel zu ragen schien. Die Tanne ächzte und knarrte unter der Last des frischen Schnees.

      »Oh, nein!« rief Emma sorgenvoll aus, als sie das Unheil kommen sah. »Komm da weg, Peppi! Schnell!«

      Doch es war zu spät! Mit einem ohrenbetäubenden Krächzen, Knacken und Knarren der sich unter der weißen Last biegenden Äste und Zweige löste sich eine gewaltige Schneemasse aus dem Wipfel des Baumes und sauste wie eine Blitzlawine zur Erde hinab und landete genau auf der Stelle, die Pepperoni mit ihrer Schwanzspitze soeben sorgsam freigewedelt hatte.

      »Hi-hihi-hoppla-ha!« Paddy hielt sich vor Schadenfreude den Bauch und hickste gleich mehrmals hintereinander, als er sah, daß Pepperoni ihren Kopf aus dem weißen Haufen, der sie unter sich begraben hatte, hervorstreckte und ihn heftig schüttelte. Bei diesem Anblick konnte auch Emma das Lachen nicht mehr unterdrücken. Während Emma und Paddy sich nun also vor Lachen bogen, schimpfte und fluchte Pepperoni lauthals vor sich hin:

      »So eine blöde Idee! Ich hätte unbesorgt weiterträumen können, aber ihr mußtet ja unbedingt mitten in der Nacht einen Spaziergang machen. Nun schaut mich an! Mein Fell! Es ist ruiiiiniert!« jammerte die durchnäßte Katze, die sich mühevoll aus der pappigen Schneemasse zu befreien versuchte.

      »Hihi-hi-hihihi! In dei-hei-nem früheren Le-he-ben warst du bestimmt ein bego-ho-ssener Pu-hu-del!«

      Paddy war außer sich vor Vergnügen. Es war ein Tagesauftakt nach seinem Geschmack!

      Nach Pepperonis kleinem Unfall machten sich die drei Frühaufsteher auf den Weg nach Hause. Dort angekommen, öffnete Emma so leise wie möglich die Haustür, denn sie nahm an, daß ihre Eltern noch schliefen. Sofort schlüpfte Pepperoni durch den Türspalt ins Haus hinein, wo sie schnurstracks unter die Kellertreppe in ihr kuscheliges Bett verschwand.

      Bevor Emma eintrat, lauschte sie für einen Moment ins Haus hinein. Sie hörte die Stimmen ihrer Eltern, die sich im Wohnzimmer unterhielten. Wahrscheinlich hatten sie gleich nach dem Aufstehen begonnen, miteinander zu streiten. Emma schloß die Haustür ebenso leise, wie sie sie geöffnet hatte. Dann zog sie ihren Mantel aus und horchte. Leise und vorsichtig öffnete sie die Zwischentür und spähte ins Haus. Die Eltern waren offenbar vollauf mit ihrem Streit beschäftigt. So vertieft in ihr Wortgefecht bemerkten sie nicht, daß ihre Tochter an ihnen vorbei die Treppe hinaufschlich. Oben angelangt, setzte sich Emma auf den Treppenabsatz und ließ ihren Tränen freien Lauf. Paddy war untröstlich über den Kummer seiner Freundin. Emma schluchzte leise, als sie ihre Mutter plötzlich sagen hörte:

      »Es war ein Fehler, sage ich dir! Wir hätten den Jungen behalten sollen! Es war eine falsche Entscheidung, die wir übereilt getroffen haben. Es war ein bitterer Fehler!«

      »Red keinen Unsinn!« schrie Emmas Vater zornig zurück. »Das hätte auch nichts geändert! Mir reicht’s! Hätte ich doch meine Heimat nie verlassen!«

      Elizabeth Clock brach in Tränen aus. Mit dünner Stimme erwiderte sie:

      »Und was geschieht nun? Was sollen wir jetzt tun? Wirst du es Emma sagen? Sie wird wissen wollen, wieso ...«

      »So geht es nicht weiter! Wir müssen ihr die Wahrheit sagen!« unterbrach Titus Clock seine Frau.

      »Also, gut. Ich werde sie aufwecken. Früher oder später mußte es ja so kommen«, erwiderte Emmas Mutter niedergeschlagen. Nach diesen Worten öffnete sie die Wohnzimmertür. Auf der Suche nach einem Taschentuch lief Elizabeth Clock schluchzend in die Küche. Unterdessen kauerte ihre Tochter mit dem schweigsam gewordenen Paddy auf ihrer Schulter noch immer