„Da bist du ja endlich“, grüßte der Kahlkopf noch lachend und begann das Mädchen zu kitzeln. Ihre Antwort war ein schüchternes Kichern.
„Bin ich zu spät?“, fragte Haekwon mit einem Auge auf die Armbanduhr spähend.
Die Hübsche blickte ihn mit einer Ernsthaftigkeit an, die verletzend war. Ein süßes Lächeln wäre ihm lieber gewesen. Haekwon hatte das Gefühl, dass die anderen Gäste ins Nichts verschwunden waren. Seine gesamte Aufmerksamkeit war auf das Mädchen gerichtet, um das Soo-Jung seinen bleichen Arm gelegt hatte.
„Ich bin Hyuna“, stellte sie sich vor, nachdem sie sich von den Liebkosungen ihres Spielgefährten befreit hatte.
„Haekwon“, erwiderte er und ergriff ihre schmale, kalte Hand. Eisig wie ein Kühlschrank mit einem Lächeln wie ein Engel, dachte er.
„Setz dich doch“, schlug Soo-Jung vor und nahm sich einen Zahnstocher, den er sich lässig zwischen die Zähne klemmte. „Ich habe Hyuna gerade von unserer verrückten Nacht erzählt. Mensch, wie du mit den Mädels umgehst. Alle Achtung.“
Haekwon wäre es lieber gewesen, wenn der Kahlkopf seinen Mund gehalten hätte. Mit amourösen Eroberungen verhielt es sich wie beim Musizieren. Man redete nicht darüber, sondern tat es einfach. Außerdem wollte Haekwon nicht vor dem Mädchen, das ihm so unbekannt wie das Universum vorkam, nicht gleich bei der ersten Begegnung als hohler Weiberheld dastehen. Der gute Eindruck war die halbe Miete, aber wofür?
„Das war schon gut.“ Mehr fiel ihm dazu nicht ein.
Auch die anderen beiden schwiegen, während die Luft mit beißendem Chiliaroma geschwängert war und die Leute unentwegt miteinander redeten. Durch den Dampf, der aus den Schalen kroch, hatte sich Kondenswasser an der Scheibe gebildet. Die beiden Jungs sahen dem Mädchen dabei zu, wie sie mit dem mageren Zeigefinger über die Scheibe glitt. Das Ergebnis war ein Herz, gemalt auf Kondenswasser.
„Ach ja, Soo-Jung hat mir erzählt, dass du in Gangnam wohnst. Dort muss es wirklich schön sein.“ Mit ihrer liebvollen Art hatte sie das Rad des Gesprächs wieder ins Rollen gebracht. Haekwon sah ihr ins Gesicht und erkannte den guten Charakter. So eine Aufrichtigkeit schlummerte nicht in vielen Menschen, daher musste man sie behüten wie einen Diamanten.
„Darf ich Ihnen etwas bringen?“
Haekwon wollte gerade antworten, da wurde die feine Brücke, die zwischen ihnen entstanden war, durch die Bedienung wieder niedergerissen. Notgedrungen bestellten sie. Haekwon und Soo-Jung jeweils eine Schale Jajangmyun, sie bestellte eine Portion Udong mit Schweinefleisch. Während des Essens berührten sich Haekwons und ihre Stäbchen, als sie zum süßen, gelben Rettich greifen wollten. Jedes Mal, wenn dies passierte, lächelte sie ihn verlegen an. Seit Haekwon da war, wirkte sie schüchterner.
„Gangnam ist nur eine Ansammlung prächtiger Bauten, nichts Besonderes. Ich würde viel lieber in einem anderen Stadtteil wohnen.“
„Ich würde viel lieber in Gangnam wohnen“, widersprach sie.
„Der jammert den ganzen Tag, obwohl es ihm gut geht“, scherzte Soo-Jung und meldete sich nach einer längeren Zeit wieder zu Wort.
„Bla, bla, bla, und du redest den ganzen Tag nur Schwachsinn“, feuerte Haekwon zurück.
„Jedenfalls würde ich das Viertel gerne mal besuchen“, beschwichtige sie die beiden Streithähne.
Haekwon blickte nachdenklich durch die Scheibe. Es fing an, zu regnen und die Fußgänger huschten schnelleren Schrittes an ihnen vorbei, als hätte sich ein dichter Stau gelöst. Einige Tropfen prasselten mit der Härte von Hagelkörnern an die Fensterscheibe und verursachten ein Trommeln, das an Bongo spielende Afrikaner erinnerte.
„Ja, wieso nicht.“
„Mir gefällt deine Frisur.“ Mit ihrer zarten Handfläche strich sie über seinen Borstenschnitt. Als er ihre Haut auf seinem Schädel spürte, hätte er am liebsten die Augen geschlossen, aber das wagte er nicht.
„Der sieht doch eher aus, als müsste er morgen zum Militärdienst.“ Mit Eifersucht hatte Soo-Jung sie beobachtet.
„Nein, ich finde es schön“, widersprach sie und gab Soo-Jung einen Kuss auf die Wange, was den Kahlkopf wieder ruhiger werden ließ.
Es war lange her, dass ein Mädchen einen so tiefen Eindruck bei Haekwon hinterlassen hatte. Schlagartig kamen ihm seine früheren Beziehungen bedeutungslos vor. Wie ein Mathematiker an seinem Lebensende feststellen musste, dass seine Theorien ins Leere führten. Sie schien nicht aus reichem Hause zu stammen und gerade das gefiel ihm am meisten. Im Laufe der Jahre wusste Haekwon genau, wie reiche Frauen sich bewegten, über welche Oberflächlichkeiten sie redeten und wie affektiert sie sich in der Öffentlichkeit verhalten konnten. Er hatte sie regelrecht studiert. Und Hyuna war das glatte Gegenteil von ihnen, sozusagen das weiße Schaf im Rudel schwarzer.
„Lass uns doch nach dem Essen in die Spielehalle“, schlug sie vor. Sie hatte ihre Suppe kaum angerührt und der Dampf, der geisterhaft aus der Schale gestiegen war, hatte sich ebenfalls in Wasser an der Scheibe transformiert. Im Geschirr der Jungs hingegen erinnerten nur noch braune Spuren aus Sojasauce an ein sättigendes Mahl. Mit einer Serviette wischte sich Haekwon die verkrustete Sauce auf seinem Mund ab. Soo-Jung ließ sie sich von Hyuna abwischen. Haekwon zahlte die Rechnung. Nicht weil er Eindruck schinden wollte, nichts erregte seine Abneigung mehr als zu zeigen, dass seine Eltern reich waren, sondern weil er einfach wieder an der Reihe war. Als sie den Laden verließen, hatte der Regenschauer eine Pause eingelegt. Die kurze Gnadenfrist nutzten sie und liefen über den Bürgersteig, auf dessen brüchigem Relief sich glänzende Pfützen gebildet hatten, die sie spielerisch übersprangen. Die Spielehalle war glücklicherweise nicht weit vom Imbiss entfernt und das Mädchen schien den Besitzer gut zu kennen. Als sie den dumpf beleuchteten Kellerraum betraten, strömte Haekwon ein harziger Geruch in die Nase, als wenn die greisenhaften Holzsäulen, die das Deckengemäuer stützen, frisch gebohnert worden waren. Soo-Jung stürzte sich mit Begeisterung ans Lenkrad, um zwei anderen Kids zu zeigen, dass er der wahre König der Rennbahn war. Hyuna bestand darauf, wenigstens das virtuelle Vergnügen zu spendieren, wenn sie schon für das Essen nichts bezahlen musste. Aus Haekwons Milieu ließen sich die Frauen gerne etwas spendieren. Es galt als Bestätigung ihres aus Mascara wohlgeformten Äußeren.
Verblüfft sah Haekwon ihr dabei zu, wie sie einen alten Mann bezahlte und mit ihm einige Worte wechselte. Die Kakophonie aus Schusswechseln, Motorengeräuschen und Kung-futritten trat für einen Moment in den Hintergrund.
„Ich möchte dir jemanden vorstellen“, sagte sie etwas lauter zum Alten, der seinen mageren Oberkörper auf einen Gehstock stützend auf einem hohen Hocker saß.
Interessiert blickte der Greis Haekwon an und winkte ihn rüber. Die dürre Hand des Alten fühlte sich überraschend warm an, als er sich vorstellte. Aus den sanften Zügen kam eine freundliche Stimme, aus der Geduld und Erfahrung zu hören waren.
„Wie halten Sie den Lärm hier aus?“, fragte Haekwon.
„Ich arbeite hier schon so lange. Ich höre ihn schon gar nicht mehr.“ Das hagere Gesicht formte sich unbeholfen zu einem Schmunzeln.
„Tae-Min ist so etwas wie mein Großvater geworden.“ Behutsam umarmte sie den Spielhallenbesitzer, als würde er aus zerbrechlichem Glas bestehen.
„Ja, gewonnen! Ich bin der Beste und Schnellste!“ Mit hochgerissenen Armen kam Soo-Jung auf sie zu. Die anderen Kids missgönnten ihm den Sieg und schauten ihm finster hinterher, als er im Freudentaumel auf die drei zuwankte.
„Und du musst Soo-Jung sein.“ Wie schmales Geäst streckte Tae-Min dem Kahlkopf die Hand entgegen.
Noch trunken vom Sieg schüttelte Soo-Jung sie kräftig.
„Ich gehe ein bisschen Flippern“, meinte Hyuna und hüpfte zum Automaten.
„Wo haben Sie Hyuna kennengelernt?“