Der Alkoholpegel stieg und mit ihm auch der Mut, sich auf die tanzende Meute zu stürzen und sich in ihren Rachen zu schmeißen, bis das euphorische Monster auch die beiden in sich einverleibt hatte. Zwei Mädchen zeigten Interesse. Soo-Jung bewunderte das Selbstbewusstsein, mit dem sich der Bürstenschnitt die Aufmerksamkeit des anderen Geschlechts ergaunerte. So viel Charme hatte er ihm nicht zugetraut.
„Das ist mein guter Freund, Soo-Jung“, lallte Haekwon. „Und mein schöner Name ist Haekwon. Wir sind die unbestreitbaren Herrscher der Nacht.“
Die beiden Mädchen, eine im Minirock und die andere in Hose, kicherten.
„Hallo Soo-Jung, mein Name ist ***“, sagte die eine mit Hose und trat näher. Lasziv warf sie ihr braun gesträhntes Haar zurück und fasste ihm an die Schulter. Ihr unbedeutender Name wurde von der lächerlich lauten Musik verschluckt. Sie war sehr hübsch, aber in dieser Basshölle musste er plötzlich an Hyuna denken, die sich gerade mit ihrem Vater abmühte. Derweil war Haekwon mit dem Minirock vertieft am Flirten. Anscheinend verstand er sein Handwerk gut, denn ihr grelles Lachen durschlug im regelmäßigen Takt die Mauer aus den Jubelschreien der Feiernden. Irgendwann war Haekwon mit dem Mädchen in der Dunkelheit verschwunden, die von Laserlichteffekten in tausend Stücke zerrissen wurde. Angestrengt suchte Soo-Jung nach ihm, aber konnte den Bürstenschnitt in der Menge nicht ausfindig machen. So verließ er sein Lager an der Bar und ließ *** stehen. Sie war hübsch, aber Hyuna strahlte für ihn mehr als ein hübsches Gesicht aus, was dem Mädchen eindeutig fehlte. ECHTHEIT. Ihr Redeschwall war ohnehin von einem Rapsong verschluckt worden, der die Feiernden noch lauter aufheulen ließ. Hier sah er nur lauter weibliche Mienen, die sich hinter Mascara versteckten, und ihre Körper im Laserlicht rekelten, um Kerle zu beeindrucken, die ihre Triebe frei ausleben wollten. Ein Paarungsritual der modernen Zeit, was in Soo-Jung Ekel und Faszination zugleich erweckte. Manche Atavismen konnte niemand gänzlich abschütteln. So langsam spürte er, wie der Alkohol das Blut in seinen Adern zum Kochen brachte und sein Blickfeld verschwamm, als säße er in einem Karussell, das sich mit unbändiger Geschwindigkeit drehte. Panisch wühlte sich Soo-Jung durch die Menge und kämpfte sich bis zum Ausgang vor, der kitschig mit pinken Neonröhren verziert war. Seltsam geformt bildeten sie den Namen des Clubs ab. Nightwatch. Der Türsteher, ein Mann mit kolossaler Statur und Schweinenacken, öffnete ihm rasch die Tür, da er zu ahnen schien, dass sich Soo-Jung nicht wohlfühlte und er ein Unglück in seinem Zuständigkeitsbereich verhindern wollte. Die frische Nachtluft traf den Kahlkopf wie eine Gewehrkugel. Mit der Überdosis an Sauerstoff kam auch die Übelkeit. Soo-Jung stützte sich an eine Straßenlaterne und übergab sich. Zu seinem Ärger bekamen auch seine Schuhe etwas ab, obwohl er sich weit nach vorn gebeugt hatte. Die Magensäure zeigte keine Gnade. So schmerzte ihm die Speiseröhre. Es war nun Zeit, den Heimweg anzutreten. Sollte doch der Bürstenschnitt zur Hölle fahren. Er würde sich schon melden. Schließlich gab es in der Cyberwelt mehr als nur eine Chance. Extra Life.
Noch nie war die billige Matratze in seiner billigen Wohnung ein so sehnsüchtiger Ort gewesen. Schlaftrunken taumelte er durch die Gassen. An den Wänden warben bunte Lichter für die jeweiligen Geschäfte und verschmolzen mit dem Licht der Straßenlampen zu einem grellen Lichterbrei. Das Kichern der Vorbeiziehenden hallte ihm im Schädel. Wutentbrannt warf er ihnen einen bösen Blick zu, der vermutlich mehr lächerlich wirkte als ernst zu nehmen war. In seinem Zustand war es umso schwerer ein Taxi zu finden. An die Fahrt selbst konnte er sich kaum noch erinnern, als wäre sie das Hirngespinst seiner Fantasie gewesen.
Der Wohnblock ragte wie ein schwarzer Monolith in die Höhe. Bei Licht ein heruntergekommener, sanfter Riese, bei Nacht ein furchteinflößender Betonklotz. Das Nudelhaus hatte noch auf.
„Da bist du ja endlich.“, beschwerte sich Gyeong. „Der Flohzirkus hier frisst mir noch das ganze Fleisch weg. Wie siehst du überhaupt aus? Hast wohl zu viel gesoffen.“
„Danke, dass du auf ihn aufgepasst hast“, murmelte Soo-Jung erschöpft und nahm die Leine.
„Jetzt verschwinde! Ich will den Laden dichtmachen.“
Der Schwanz von Kurt Cobain wedelte wie ein Metronom. Hechelnd schmiegte der Hund sich an Soo-Jungs Bein, während der Betrunkene seinen entkräfteten Körper die Stufen hochschleppte. Eine Instantnudelsuppe sollte ihn wieder zu Kräften kommen lassen. Und der treue Hund bekam eine Wurst. Nach dem lauten Getöse in der Disco kam Soo-Jung die Ruhe in seiner Wohnung befremdlich vor. Der Hund war schon in seiner Ecke eingeschlafen, als er sich ans Fenster stellte und dem Lärm auf den Straßen horchte, die immer eine neue Geschichte zu erzählen hatten. Eine Prügelei unter Männern, die durch den Geist des Alkohols nicht mehr Herr ihrer eigenen Sinne waren, das Hupen der Autos oder das Scharren unzähliger Schuhe über den Bürgersteig. All das war für ihn eine Sprache, die nur er verstand. Täglich fuhr er durch die Straßen und belieferte Menschen aus allen Kreisen. Dabei lauschte er der Stimme von Seoul und versuchte, all die Dinge zu übersetzten, die diese Metropole zu erzählen hatte. Die schönste Geschichte von allen war seine Begegnung mit Hyuna gewesen.
Regeln ohne Regeln
Der Ventilator gab gelegentlich ein Rattern von sich, während er kräftig Luft auf die verschwitzte Brust blies. Die gekrausten, grauen Haare darauf leisteten keinen Widerstand. Hyuna schwieg während des Essens und beobachtete mit einem gewissen Ekel dieses Schauspiel. Neben ihr saß ihr jüngerer Bruder, Ji-Min, der für seine sechs Jahre schon ziemlich aufgeweckt war. Lächelnd legte sie ihre Hände auf seinen Topfschnitt und diese liebevolle Geste wurde mit einem Leuchten aus seinen schmalen, aber lebhaften Augen erwidert. Während die Drei das Frühstück, eine dünne Seetangsuppe, ein wenig Reis und das letzte Kimchi, einnahmen, hörte man nur das Rülpsen und Schmatzen des Familienoberhauptes. Die Tischdecke aus Kunststoff war bereits mit einzelnen Reiskörnern und Suppe beschmiert, was das kitschige Blumenmuster darauf noch hässlicher erscheinen ließ.
„Kleines, du kommst nach der Schule direkt nach Hause“, grunzte Jun-Su schmatzend und schlürfte einen weiteren Löffel Seetangsuppe. Ihm klebte ein Stück getrocknetes Chilipulver zwischen den Zähnen. Bei dem Anblick kam es ihr fast hoch.
„Ja, Vater“, antwortete sie, nicht aus Gehorsam, sondern aus Furcht vor seinen Launen. Dazu liebte sie Ji-Min zu sehr, als dass sie ihn in Schwierigkeiten bringen wollte.
„Spielen wir nach der Schule etwas?“, fragte ihr kleiner Bruder.
„Ja, natürlich“, antwortete sie und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
Sie räumte ihre Schale in die Spüle und packte die Bücher in den Rucksack. In diesem trostlosen Leben gab es für sie nur einen Lichtblick, ihr kleiner Bruder. Ohne ihn wäre sie schon längst von zu Hause weggerannt. Manchmal schämte sie sich für ihre Gefühle. Denn der Hass auf Vater und Mutter machte sie blind für die Liebe, die sie Ji-Min nicht immer geben konnte. Ein unschuldiger Junge hineingeboren in eine Familie ohne Fürsorge. Bei dem Gedanken kamen ihr jedes Mal die Tränen. Ji-Min begleitete sie morgendlich ein Stück des Weges. Schweigend liefen sie durch das Gassenlabyrinth, eingezwängt zwischen kahlem Beton. Wenn sie wieder mit dem Zeigefinger die Risse im Gemäuer entlang strich, tat es ihr Ji-Min gleich. Dumpf schallte das Knirschen des Gesteins unter ihren Sohlen durch den Morgendunst.
„Wo wohl Mama gerade ist?“, fragte er und unterbrach das kleine Spiel.
„Bestimmt irgendwo, wo es schön ist.“
„Ich vermisse sie“, sagte Ji-Min wehmütig. „Warum hat sie uns nur verlassen?“
Hyuna zerbrach innerlich, wenn dieser kleine, unschuldige Junge versuchte, die Kälte und Gleichgültigkeit der Erwachsenenwelt zu verstehen. Es war so, als würden die Worte wie Glassplitter in ihre Ohren eindringen, ihr Gehirn zermartern und die Seele bis tief in die Nacht quälen. Ihr selbst fehlten die passenden Worte, um ihm liebevoll verständlich zu machen, dass es Dinge auf dieser Welt gab, die unerklärbar und grausam zugleich waren. Sie war doch selbst noch ein Kind und verstand vieles auch nicht.
„Du