Dummes Mädchen, schlaues Mädchen - Ein Fall für Harald Steiner. Ansgar Morwood. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ansgar Morwood
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844262780
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Der Kerl hat die Frau beschimpft. Einige wollen gehört haben, wie er ihr lauthals vorgeworfen habe, ihn angerempelt zu haben, ihr dann aber auch gleich ins Gesicht schlug und das Messer zückte. Dunkler Vollbart, schwarze Lederjacke, Käppi, Bluejeans und weiße Turnschuhe. Nicht gerade sehr individuell. Für das Ausmachen eines spezifischen Akzentes des Täters hatte die Länge seiner Mitteilungen niemandem gereicht. Er hat dem Opfer auch nichts weggenommen, so weit man uns zu berichten wusste. Handtasche, Geld, Schlüssel, Kreditkarten, alles scheint noch vorhanden. Sie heißt übrigens Angela Jahn, 23, stammt aus Kassel und wohnt in Marienburg. Sie wird nicht gerade am Hungertuch genagt haben, wenn ich mich so ausdrücken darf.“

      „Sind auch alle Zeugen der Tat erfasst worden?“ wollte Harald wissen.

      „Garantiert nicht,“ erwiderte Heinz Schmidt. „Einige, die das ganze Spektakel fast hautnah verfolgt haben dürften, sind weitergelatscht, als wären sie an einer uninteressanten Schaufensterauslage vorbeispaziert.“

      „Typisch!“ knurrte der Hauptkommissar. „Die Polizei für jeden Firlefanz herbeirufen, aber wenn es brenzlig wird, weg sehen. Und Sie, Boomberg, was haben Sie mir zu berichten?“

      „Nichts Gutes,“ antwortete der Spurensicherer. „Sie haben ja das Video gesehen. Das Opfer kam gar nicht mehr dazu, seinen Angreifer irgendwie anzufassen. Rechnen Sie also bitte nicht damit, den Kerl anhand von Haut- oder Stoffpartikeln unter den Fingernägeln der Toten dingfest machen zu können. Es sieht auch nicht danach aus, er könnte hier irgendwo eine Zigarettenkippe runterfallen oder seinen Schuhabdruck hinterlassen haben. So zynisch es klingen mag, aber dieser Unhold hat doch prompt eine der belebtesten Ecken unserer Stadt auserkoren, um nach seiner Bluttat wieder ungehindert unterzutauchen. Wenn die KTU hierzu überhaupt etwas Sinniges zu sagen haben wird, Steiner, dann bestenfalls die Eingrenzung der Art der Stichwaffe. Und glauben Sie mir, sogar das Ergebnis wird Sie ob seiner Mehrdeutigkeit wenig zu erfreuen vermögen.“

      Steiner hatte sich nicht weiter am Tatort aufhalten wollen. Zeugen, die wie verschreckte Hühner oder wie sich aufplusternde Gockel viel, aber effektiv nichts auszusagen hatten, konnten ihn wenig begeistern. Da hielt er es doch für sinnvoller, in das Milieu einzutauchen, in dem das Opfer verkehrt hatte. Der erste Anhaltspunkt war ihre Wohnadresse in Marienburg. Dort traf er um 19 Uhr abends Heiko Nille an, der sich offenbar gerade ein Fertiggericht in den Backofen geschoben hatte, wie es der Geruch im Flur dem Kriminaler zu vermitteln schien, als ihm die Tür geöffnet wurde.

      Steiner zückte seinen Dienstausweis. „Kripo Köln, Steiner mein Name. Bin ich hier richtig bei Frau Jahn?“

      Heiko wusste nicht recht, wie er diesen Überfall zu bewerten hatte, zögerte kurz, meinte dann aber, wenn es um Angela ginge, konnte es ja nicht seine Geschäfte betreffen, obschon er sich kaum vorstellen konnte, dass Angela ins Visier der Kripo geraten sein könnte. Er trat zwei Schritte von der Tür zurück. „Ja, ja, hier wohnt Angela Jahn. Sie wohnt mit mir zusammen, ist aber jetzt nicht da. Ist etwas geschehen?“

      „Sind Sie mit ihr verwandt?“ Steiner stellte diese Frage, um sich vorzeitig ein Bild davon zu machen, wie niederschmetternd seine Mitteilung auf seinen Gegenüber wirken musste.

      „Verwandt nicht, aber wir leben zusammen. Aber…“

      „Ihr Name ist?“ wollte Steiner wissen.

      „Nille. Heiko Nille. Steht ja auch an der Tür gleich neben Angelas Namen.“

      „Herr Nille, es tut mir außerordentlich leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Frau Angela Jahn heute Nachmittag verstorben ist.“ Harald benutzte bei solchen Gelegenheiten lieber das Wort „verstorben“ aus zwei bestimmten Gründen. „Verstorben“ kam im ersten Augenblick milder an als „ermordet,“ und aus der darauf folgenden Reaktion konnte man meistens heraushören, ob der Adressat nicht doch zufällig so etwas wie eine Ahnung dessen haben könnte, was denn die Ursache des Versterbens gewesen war.

      Nille reagierte jedenfalls nicht wie ein Wissender. „Angela tot?! Wie, was, wo…?“

      Nun trat der Hauptkommissar in die Wohnung und nahm sich die Freiheit, selber die Tür hinter sich zu schließen. „Wie es scheint, ist sie auf offener Straße von einem jungen Mann grundlos erstochen worden. Aber grundlos… Na ja, wir gehen bei Tötungsdelikten immer zunächst einmal von Vorsatz aus.“ Besonders pietätvoll ging Steiner die Sache nicht mehr an, aber auch Nille schien sich schnell wieder gefangen zu haben, obwohl er das Wort „Mord?!“ noch mit Verblüffung in den Mund nahm. „Wer sollte Angela denn ermorden wollen? Sie hat doch niemandem etwas getan.“

      „Nun, Herr Nille, wer es weshalb getan hat, wissen wir noch nicht genau, nur dass es sich beim Täter um einen Mann von Anfang zwanzig handelt. Warum er die Tat begangen hat, wissen wir noch weniger. Haben Sie denn gar keinen Verdacht?“

      „Tut mir leid… Nein, mir fällt wirklich niemand ein, der… Nein, eigentlich hatte Angela kaum Kontakte hier in Köln unterhalten. Sie…“ Heiko brach jegliche weiteren Erklärungsversuche ab.

      „Auch wenn es Ihnen momentan so kurz nach dieser traurigen Mitteilung schwerfällt, muss ich Sie bitten, zu mir ins Präsidium zu kommen. Wir haben nämlich Aufnahmen vom Vorgang, auf denen man den Täter sehen kann. Vielleicht können Sie ihn ja doch identifizieren. Vielleicht können Sie bei der Gelegenheit dann auch die Tote als Ihre Freundin identifizieren. Können Sie in einer Stunde da sein? Oder soll ich eine Streife vorbeischicken, falls Sie sich noch nicht für befähigt halten, sich selber ans Steuer zu setzen?“

      Heiko lächelte matt. „Nein, das werd ich schon schaffen.“

      „Ach ja, bringen Sie bitte auch ein Foto von ihr mit und eines von Ihnen selber. Eventuell benötigen wir die noch bei unseren weiteren Ermittlungen. Steiner überreichte Nille seine Karte und verabschiedete sich. Sein erster Eindruck von Nille war gemischt. Seine Irritation über den Tod der Jahn war nicht gespielt, doch die Geschwindigkeit, mit der er sich über diese Irritation hinwegsetzte, war schon recht erstaunlich. Eigentlich hätte er den jungen Mann gleich mitnehmen können. Aber die halbe Stunde, die er vor ihm im Präsidium sein würde, wollte er nutzen, um mal nachzusehen, ob und was über Heiko Nille und Angela Jahn in den Akten stand. Inzwischen, so hoffte er, würde Frisch mit den Aufnahmen, die der Tourist vom Geschehen gemacht hatte, auch dort eingetrudelt sein.“

      So war es dann auch. Frisch erhielt sofort von seinem Chef die Order, die gewünschten Angaben herauszusuchen und wurde rasch fündig. Zwar war Heiko Nille in den letzten zehn Jahren nicht auffällig geworden, doch vor zehn Jahren, also noch vor seiner offiziellen beruflichen Karriere, war das wohl einmal der Fall gewesen. Er war auf frischer Tat beim Aufbrechen eines PKW ertappt worden. Da man seine Beteuerung, er habe nur das Autoradio mitgehen lassen wollen und keineswegs das ganze Auto, nicht widerlegen konnte und er keine Vorstrafen gehabt hatte, war er mit einer Bewährungsstrafe davongekommen. Über Angela Jahn gab es weitaus mehr Lektüre. Mit siebzehn soll sie eine Kollegin mit einer Schere angegriffen und verletzt haben. Das war in einem Frisörladen in Kassel passiert, wo beide Mädchen ihre Lehre machten.

      Die Tat wurde als Affekthandlung bewertet und hatte für die Jahn nur einige Sozialstunden zur Folge gehabt. Doch auch später war sie einige Male zu polizeilichen Verhören geladen worden, weil man sie weiterer aggressiver Handlungen bezichtigt hatte. Diese Verdächtigungen blieben allerdings ausnahmslos ohne Folgen für Angela Jahn. Seitdem Angela nach Köln übergesiedelt war, also seit zwei Jahren, war auch sie nicht mehr auffällig geworden.

      Für Steiner war die Zeit zu knapp, sich ausgiebig über diese Informationen Gedanken zu machen, denn Nille trudelte zeitiger ein, als es ihm aufgetragen worden war.

      „Wann haben Sie Frau Jahn zuletzt gesehen?“ fragte Harald.

      „Heute Morgen um acht beim Frühstück. Dann ist sie zur Arbeit gegangen.“

      „Sie arbeitete wo und in welcher Funktion?“

      „Sie ist…war Frisöse im Salon ‚Chez Maître André’ in der Bonner Straße. Halbtags.“

      „Halbtags, das hieße ja dann, sie dürfte gegen Mittag Schluss gemacht haben,“ hakte Steiner nach.

      „In der Regel verließ sie den Salon um halbeins,“ sagte Heiko und erklärte in Folge, weshalb Angela nur halbtags arbeitete, dass sie einen