Dummes Mädchen, schlaues Mädchen - Ein Fall für Harald Steiner. Ansgar Morwood. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ansgar Morwood
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844262780
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Hier ein Cocktailabend, dort ein Dinner und so weiter. So ließ es sich leben. Sie ahnte nicht, wie nahe sie schon dem Tode war.

      Im November hatte sie endlich ein ihr genehmes Geschäftslokal in Bayenthal gefunden und angemietet. Sie hatte beschlossen, erst im März, pünktlich zum Beginn des Frühjahrs, zu eröffnen. Für sie brach eine hektische Zeit an, in der sie alles bis aufs I-Tüpfelchen vorbereitet wissen wollte. Die Formalitäten waren noch die unwesentlichsten Dinge, der sie sich zu widmen hatte. Da sie bereits den Meisterbrief besaß, bildete das Genehmigungsverfahren wenig Mühe. Wichtigere Eckpunkte waren die Einrichtungsgegenstände, die Gestaltung, das Geschäftskonzept, die Kontrakte mit exklusiven Zulieferern, die richtige Strategie zur Einführung auf dem Markt und natürlich die Anwerbung des geeigneten Personals. Ihre bisherige Stelle hatte sie auf Halbtags heruntergefahren und bereits ihre definitive Kündigung zum Letzten des Februars ihrem Chef mitgeteilt. Der bedauerte zwar, eine seiner fähigsten Angestellten zu verlieren, schöpfte aber nicht den geringsten Verdacht, sie könnte sich selbständig machen und das zudem nur mal gerade einige hunderte Meter weiter dieselbe Straße aufwärts, gleich hinter dem Kreisverkehr.

      Heiko war seiner neuen Freundin organisatorisch nur beim Ausspähen der richtigen Räumlichkeiten an der richtigen Stelle behilflich gewesen. Finanziell sicherte er ihre Planungen durch Bankbürgschaften und einem kleinen Privatkredit ab. Alles Weitere überließ er ihr. Er meinte, sie würde schon genauestens wissen, was von Nöten sei, und sie war ihm für sein Vertrauen sehr dankbar. Es war wohl einer der seltenen Fälle, in denen ein Günstling seinen Gönner auch wirklich zu lieben lernte. Sie witterte nicht das Unheil, das sich über seinem Kopf zusammenbraute, das sie als erstes Opfer in den Abgrund reißen sollte. Oder hatte ihre Ermordung am Ende doch nichts mit seinen dunklen Geschäften zu tun?

      Jedenfalls hatte Heiko seit dem Sommer mit immer mehr Ungemach zu kämpfen. Es gab Leute, die Geld von ihm haben wollten, aber er wusste nicht, wer diese Leute waren und woher sie ihre Informationen bezogen. Nicht einmal die Steuerprüfer hatten bei ihm Unregelmäßigkeiten entdecken können. Wie also sollten ihm andere auf die Schliche gekommen sein? Polizeifahndern hätte er das vielleicht noch am ehesten zugetraut. Aber bei ihm war nie Polizei auf der Matte gewesen. Folglich kamen auch keine korrupten Bullen in Betracht. Was seine Geschäftspartner anging, war für diese eine Transparenz seiner Methoden ebenfalls nicht nachvollziehbar. Wer die Autos besorgte, wusste nicht, wer sie übernahm, wer sie weitertransportierte, wusste nicht, wer sie bekam. Insbesondere wusste aber niemand außer ihm selber, wie die gesamte Kette funktionierte. Sogar seine beiden Freunde, mit denen er damals das Mercedes Coupé gestohlen hatte, die auch heute noch in seinem System mitmischten, kannten nicht alle Details, die relevant gewesen wären, ihm seine unlauteren Geschäfte nachweisen zu können. Auf eine umsichtige Weise hatte Heiko seiner Freundin niemals den Eindruck vermittelt, mit diesen neuen Ärgernissen konfrontiert zu werden. In der Beziehung war Helga weitaus intuitiver veranlagt gewesen. Sie hätte sofort gemerkt, dass etwas im Argen lag, und wahrscheinlich hätte sie sogar rausbekommen, was es war. Das brachte Heiko zeitweilig auf den Gedanken, die Erpressung könnte auf Helgas Mist gewachsen sein. Dieser Verdacht war nicht vollends aus der Luft gegriffen, denn Helga hatte ein BWL-Studium absolviert, betrieb eine eigene Unternehmensberatungsfirma und hatte fast drei Jahre mit ihm zusammengelebt. Sie hatte immer Zugang zu seinen Unterlagen gehabt und verfügte über die Begabung, Dinge zu durchschauen, die andere nicht zu durchschauen vermochten. Er hatte sie zwar nie komplett über seine Deals eingeweiht, aber immerhin über einige ihrer Facetten. Diese Facetten reichten nicht aus, alles durchblicken zu können, hatte Helga nach ihrer Flucht aber genügt, so etwas wie Unterhaltszahlungen von 2.000 Euro pro Monat bei ihm einzufordern. Mit ein wenig Fantasie könnte sie mit der Zeit eine Spur dreister geworden sein, vielleicht sogar dreister, als er es ihr zugetraut hätte. Dem sprach aber der Umstand entgegen, dass die Erpresser über Einzelheiten Bescheid wussten, in die Helga bestimmt nie Einblick gehabt hatte. Ihr Poker beruhte bislang im Wesentlichen nur auf der Differenz zwischen seinem Lebensstandard und seinem offiziellen Einkommen, weniger auf den Hintergründen. Wie dem auch sei, die Apanage für Helga war ein Flohschiss gegenüber der Forderung dieser Erpresser. Die lautete, jeden Monat 50.000 Ocken abzudrücken. Sogar diese Summe schien gut errechnet zu sein. Heikos Gewinne aus Schwarzverkäufen liefen laut seinen eigenen statistischen Erhebungen auf etwa gemittelt 65.000 aus. Die Raffinesse, die sich hinter dem geforderten Betrag verbarg, lag wohl darin, dass 15.000 nebenher zu kassieren, noch immer besser ist, als in den Knast zu wandern. Allerdings würde ein Einlenken seinerseits bedeuten, seine gesamte Lebensplanung auf den Kopf zu stellen.

      Er war jetzt achtundzwanzig. Spätestens mit vierzig wollte er sich endgültig zur Ruhe setzen. Laut seinen Berechnungen seines offiziellen Einkommensbildes, hätte ihm das dann jedes Finanzamt als realistisch abgekauft, wenn er seine Firma auch noch auf Papier günstig verscherbeln würde, und er hätte real noch über etwa 15 Mio. Euro weiteres Kapital an unehrlich erworbenem Geld verfügt, also in Saus und Braus leben können, noch viele Jahre, bevor er am Stock gehen müsste. Und wer konnte schon wissen, wie lange diese Ganoven diese Erpressung durchführen wollten? Das war nach Adam Riese solange möglich, wie er seine Nebengeschäfte betrieb und darüber hinaus die fünf oder gar zehn Jahre potenzieller gesetzlich fiskaler Verfolgung. Unter dem Strich konnten diese Schmarotzer ihm alles, was er nebenher angespart hatte, wegnehmen, bevor er selber davon zu genießen beabsichtigte. Keine schönen Aussichten, allerdings auch nichts, was er vielleicht noch verhindern oder teilweise umgehen konnte. Ihm schwebte eine Alternative vor, die schlichtweg auf der geographischen Verlagerung seines Tätigkeitsfeldes bei gleichzeitigem Zurückfahren seiner Tätigkeiten im Großraum Köln-Düsseldorf-Dortmund fußte. Eventuell würden die Erpresser ihren Aktionismus dann auch allmählich zurückfahren, er, Heiko, aber weiter agieren können, ohne dass diese Lumpen ihm ins Handwerk pfuschen konnten.

      Doch alles kam anders.

      Mittwoch, der Todestag von Angela Jahn

      „Sonderbar! Sehr sonderbar!“ sprach Hauptkommissar Harald Steiner. Er, seine Assistenten Ralf Frisch und Heinz Schmidt, sowie der Leiter der Spusi, Alfred Boomberg, standen in einer von der Polizei abgesperrten Zeile der Schildergasse vor der am Boden liegenden Leiche einer jungen Frau. Neben ihr kniete der Gerichtsmediziner Ernst Lambrecht und schüttelte den Kopf. „Ins Herz hat er ihr nicht gestochen. Sie ist aber trotzdem an Herzversagen gestorben,“ erklärte er. „Das dürfte eine Schockreaktion ihres Körpers gewesen sein. Die drei Stiche wären initial nicht tödlich gewesen, wenn man die Blutungen rechtzeitig gestoppt hätte. Obwohl, dazu hätte es eines gut geschulten Chirurgen gleich nach dem Attentat bedurft. Mehr als drei bis fünf Minuten ohne Versorgung nach dem Angriff hätte sie ohnedies nicht überlebt. Dafür wäre der Blutverlust zu groß gewesen. Meines Erachtens waren die Stiche deutlich auf das Herz gemünzt, aber hätten auch beim Verfehlen dessen immer zum Tode führen müssen, wenn nicht sofort jemand zur Stelle war, der die Blutungen zu unterbinden wusste.“

      „Ein Profi also?“ wollte es Steiner genau wissen.

      Lambrecht hob die Arme, während er sich aufrichtete, und ließ sie wieder sinken. „Nicht unbedingt. Aber gewiss wusste der Kerl, was er tat, und zumindest theoretisch, wie er es zu tun hatte.“

      Harald wandte sich Kommissar Frisch zu. „Und diese Chose ist allen Ernstes gefilmt worden?“

      Frisch musste leicht beschämt grinsen. „Sie kennen doch diese Touristen. Wo sie stehen, wo sie gehen, alles muss für die Daheimgebliebenen auf Film gebannt werden. Sehen Sie selber, was das ältere Ehepaar da aufgenommen hat.“ Ralf hielt seinem Chef die kleine Videokamera hin und ließ die entsprechende Sequenz abspielen, deren wichtigster Teil noch keine acht Sekunden in Beschlag nahm. Offenbar hatte der holländische Tourist nur vorgehabt, seine Frau zu filmen, doch im Hintergrund lief das bedeutsamere und dramatischere Geschehnis ab. Da die Schildergasse Bestandteil der Fußgängerzone der Kölner Altstadt war, reichte der Lärm, sich unterhaltender Passanten vollends aus, die Wiedergabe der Mordtat ausschließlich auf der visuellen Ebene festzuhalten. Das Opfer schien gemächlich der Straße von östlicher Richtung her zum Neumarkt hin dahergeschlendert zu kommen, als ein offenbar junger Mann auf sie zueilte, sie anrempelte, sie anbrüllte, ihr eine Ohrfeige verpasste und sodann mit einem Messer dreimal heftig auf ihren Oberkörper einstach. Sie sank zu Boden, und der Mörder verschwand in die angrenzende Antonsgasse. Wo der Mord geschah, war es wegen diverser Beleuchtungsquellen relativ hell und die