Kein Vergessen. Ernst Meder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Meder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844274738
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zu vermindern. Er löste eine Fahrkarte, danach ging zu dem angegebenen Gleis, um sich einen Platz auf einer Bank zu suchen.

      Ausgeschlafen trat er auf dem neuen Hauptbahnhof aus dem Zugabteil, was für ein monströses Gebäude dachte er noch, während er sich auf den Weg richtigen zum Ausgang suchte. Wie angenehm war doch das Reisen ohne Gepäck, wie er jetzt unfreiwillig feststellen konnte. Trotzdem brauchte er in den nächsten Tagen eine komplette Ausstattung, wenn er sich bei einer Agentur vorstellen wollte.

      Auf dem Weg zum Ausgang sah er einige Geschäfte die eine vorläufig ausreichende Auswahl an Grundausstattung anboten. Er kaufte sich eine Erstausstattung an Kleidung sowie Toilettenartikeln, dann machte sich, mit zwei Tüten beladen, auf den Weg.

      Wo sollte er wohnen, was nicht infrage kam, war bei seinen Eltern, er hatte den Kontakt nach seinem Studium abgebrochen. Mit dem Abschluss war er nach München umgezogen, später wechselte er für einen Job nach Hamburg, von da war er nach New York gegangen.

      Die Wende hatte er in der Anfangszeit, später nur aus der Entfernung miterlebt, deshalb war für ihn dieses neue Berlin unbekannt. Natürlich hatte er immer wieder über die Entwicklung von Berlin gelesen, im Fernsehen einige Sendungen gesehen, aber die gesamte Entwicklung nur aus der Ferne miterlebt.

      Er hatte immer einen Bogen um Berlin gemacht, als er neunzehnhundertneunzig nach München geflohen war. Flucht war genau der Gedanke, den er damals empfunden hatte, die neue Stadt sollte ein Neubeginn für ihn werden.

      Während der Anfangszeit hatte seine Mutter versucht, den Kontakt aufrechtzuerhalten, bis er ihr, mit sehr drastischen Begriffen erklärt hatte, dass er nichts mehr mit ihnen zu tun haben wolle. Sie hatte es nicht verstanden, ihr Glaube an die eigene Unfehlbarkeit ließ keine andere Meinung, schon gar keine Kritik zu. Sein Vater hatte sich sowieso geweigert mit ihm zu reden, er hatte ihm immer gezeigt, dass sein Sohn ihn enttäuscht hatte.

      Als er acht Jahre später nach Hamburg in eine der großen Agenturen wechselte, hatte er sich bereits in Deutschland einen Namen in der Branche gemacht. Seine internationalen Meriten sollte er sich allerdings erst in Hamburg erworben. Die Leistungen in jener Zeit waren es auch, die ihn international bekannt machten und seinen Weg in die USA ebneten.

      Jetzt war er wieder hier, nach fast zwanzig Jahren kam er zurück zu der Stätte, die für ihn alles bedeutete. Freude, Leid, Glück, Unglück, Einsamkeit und Qual, unendliche Qualen, die sein Leben immer noch prägten. Bisher hatte er dies immer negiert, nichts davon sollte je wieder zum Vorschein kommen, keiner sollte je davon erfahren.

      In den Tagen, als er über sein bisheriges Leben nachgedacht hatte, waren erste Zweifel in ihm aufgetaucht, ob er wirklich alles richtig gemacht hatte. Oder hatte er es sich zu einfach gemacht, indem er vor diesen unendlichen Qualen davongelaufen war.

      Die Phasen, in welchen er ein störungsfreies Leben geführt hatte, waren immer unterschiedlich lang gewesen, häufig wurden diese durch eine Erinnerung oder einen Impuls wieder beendet. War es ein Geruch, ein Wort oder ein besonderer Körperkontakt, der diese Saiten in ihm zum klingen gebracht hatte. Sie waren jedenfalls immer der Auslöser für das Ansteigen der Spannung, bis die Saite riss.

      Der Bezirk, den er am besten kannte, war Tiergarten, dahin würde er fahren, sich vorerst in einem Hotel einquartieren. Er sah zwar die Schilder, die zur S-Bahn zeigten, er hatte allerdings keine Ahnung wie sich die Verbindungen in den letzten zwanzig Jahren geändert hatten. Etwas entfernt konnte er an der Stirnseite des Bahnhofs das BVG-Zeichen erkennen.

      Erleichtert hörte er der Erklärung der Angestellten zu, die ihm sagte, dass er nur eine Station zu fahren brauchte, um zum S-Bahnhof Bellevue zu gelangen. Er wusste, dort würde er sich zurechtfinden, schließlich war dies die Gegend, in der er seine Jugend verbracht hatte.

      Er verließ den Bahnhof, hier kannte er sich aus, es schien als wäre die Zeit stehen geblieben. Gegenüber auf der anderen Straßenseite sah er ein Restaurant, er erinnerte sich, auch damals wurde an gleicher Stelle ein jugoslawisches Restaurant betrieben. Er fühlte sich, als wäre er zu Hause angekommen, hier wollte er die Vergangenheit abschütteln, hier wollte er sein neues Leben beginnen. Die Frage, wie oft er bereits neu begonnen hatte, ebenso wie die Antwort nach dem Scheitern wollte er heute nicht stellen, sie hätte ihn sonst deprimiert.

      Langsam, jeden Schritt auf heimischen Boden genießend wandte er sich nach rechts in Richtung der Moabiter Brücke. Hier schien alles so geblieben zu sein, wie er es aus seiner Erinnerung kannte. Rechts, entlang der S-Bahngleise führte der Weg zum Schloss Bellevue, auch hier schien keine größere Veränderung sichtbar, oder sein Gedächtnis spielte ihm einen Streich.

      Auf der Brücke angekommen fiel sein Blick sofort nach links, zeigte ein geradezu vollständig neu entstandenes Stadtquartier. Alles war neu, die historischen Gebäude der alten Meierei waren verschwunden. Hier hatten sich Architekten und Stadtplaner zulasten der historischen Gebäude ausgetobt. Ob es wirklich besser oder schöner war, mochten andere entscheiden. Was ihm ins Auge fiel, war die Leuchtreklame, die über allem prangte, Abion Hotel, das war es, was er gesucht hatte.

      Am Empfangstresen des Hotels blickte ihn der Concierge neugierig an, die Klangfarbe seines Gegenübers hatte bei der Aussprache diesen leichten amerikanischen Einschlag. Trotzdem scheint dieser leicht mitgenommene Herr ohne Gepäck mit zwei Plastiktüten ein Zimmer zu wünschen, dachte er, ohne es direkt auszusprechen.

      Um einer Diskussion vorzubeugen, erklärte Matthias ihm, mein Gepäck ist leider abhandengekommen, deshalb werde ich neue Sachen benötigen. Dann fügte er hinzu, außerdem hätte ich gerne ein Doppelzimmer für zunächst vierzehn Tage.

      Leicht irritiert von der Person die vor ihm stand, begann sich bei dem Concierge die Augenbraue an seinem linken Auge nach oben zu bewegen. Etwas derangiert, dazu ohne Gepäck, jetzt ein Zimmer für zwei Wochen. Kann ich bitte Ihren Ausweis sowie eine Kreditkarte haben, um die Anmeldeformalitäten zu erledigen, fragte er höflich, ohne seine Irritation erkennen zu lassen. Er hatte schon andere eigenwillige Hotelgäste erlebt, sich abgewöhnt, nur nach Äußerlichkeiten zu urteilen.

      Am dringendsten brauchte er eine Dusche, er genoss sichtlich das auf ihn brausende Wasser, er hatte den stärksten Strahl eingestellt, der möglich war. Um sämtlichen Schmutz der Reise loszuwerden, hatte das Wasser so heiß eingestellt, wie er es gerade noch ertragen konnte. Rot wie ein Krebs aber vollständig erfrischt, stieg er aus der Dusche. Abschließend packte noch das neue Rasierzeug aus, dann begann er, den Bart der letzten Tage aus seinem Gesicht zu entfernen. Er fühlte sich wie ein neuer Mensch, mit seiner neuen sauberen Kleidung konnte er nun beginnen die Dinge zu besorgen, die er dringend benötigte.

      Als Erstes brauchte er dringend einen Kaffee, beim Hinaustreten aus dem Hotel blickte er sich genauer um. Vorher hatte er eher unterbewusst den Rest der ehemaligen Meierei gesehen, jetzt sah er genauer auf die Einbindung des alten Gebäudes in das neue Ensemble.

      Er wandte sich nach rechts zu dem Restaurant, dort bestellte einen einfachen Kaffee, wobei er einen Tisch wählte, der ihn ungehindert auf die Spree blicken ließ. Die Ausflugsschiffe, die permanent an ihm vorbei fuhren, zeigten ihm, er war wieder zu Hause, endlich daheim. Außerdem war es ein Genuss, wieder einmal Kaffee ohne die zweihundert Zusätze oder Varianten zu trinken. Es überraschte ihn, wie gut Kaffee in seiner ursprünglichen Form doch schmeckte.

      Er ließ sich ein Taxi rufen, als dieser ihn nach dem Ziel fragte, sagte er ihm, ich brauche einen Apple Computer, können sie mir sagen, wo ich hier einen bekommen kann.

      Ein Grinsen machte sich in dem Gesicht des Fahrers breit, klar Mann, ich benutze auch Apple, am Ernst-Reuter-Platz ist einer, da kriegen sie alles, was sie brauchen. Es dauerte keine zehn Minuten, als der Fahrer auf den Store zeigte, hier bekommen sie alles, was sie haben wollen.

      Er kaufte den neuesten MacBook sowie alles, was er für einen mobilen Internetzugang benötigte. Beim anmelden hatte er zwar gesehen, dass dieses Hotel über einen Internetzugang für Gäste verfügte, trotzdem wollte er, unabhängig davon, auch unterwegs die Möglichkeiten des Internets nutzen.

      Deshalb ließ er die Karte sofort freischalten, er wollte wissen, ob Rachel oder sein ehemaliger Boss auf seine Mails reagiert hatten. Außerdem musste er im Internet die Agenturen in Berlin