Kein Vergessen. Ernst Meder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Meder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844274738
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beinahe hätte er es vergessen, er brauchte noch ein Telefon sowie eine deutsche Mobilfunknummer. Das Ladegerät für sein Telefon lag noch in New York, außerdem hatte es nur die amerikanischen Anschlüsse. Wenn er daran dachte, was er alles noch besorgen musste, waren die nächsten Tage komplett ausgefüllt.

      Der Weg zurück ins Hotel erfolgte völlig zugepackt, und um zweitausenddreihundert Euro ärmer, jetzt musste er alles noch einrichten, um es auch nutzen zu können. Für heute hatte er genügend besorgt, nun wollte er auch damit arbeiten. Nachdem er die Funktionen überprüft hatte, rief er seinen E-Mail-Account auf, um nachzusehen, ob Mails eingegangen waren.

      Die beiden hatten, neben anderen, geantwortet, trotzdem ging er zuerst in den Einstellungs-Modus, um sein Passwort zu ändern. Er hatte Rachel sein Passwort gegeben, da er nichts vor ihr zu verbergen hatte, das hatte sich nun geändert. Er rief als erste Mail die von seinem ehemaligen Chef auf, dieser war sauer, er beschimpfte ihn mit „What a douche bag“. Mann der war richtig sauer, wenn er ihn als üblen Kotzbrocken beschimpfte. Er musste umschalten, wieder auf Deutsch denken, damit er hier nicht den Amerikaner raushängen ließ, meist wurde einem dies sehr schnell sehr übel genommen.

      Er las weiter, unabhängig von seinem Job nahm er ihm sein Verhalten Rachel gegenüber übel. Zum Schluss wurde er versöhnlicher, wenn er für einen neuen Job in Europa eine Empfehlung bräuchte, würde er die trotzdem erhalten, da er seinen Job gut gemacht hatte.

      Sein Finger wollte die nächste Mail nicht öffnen, er hatte Angst, was sie geschrieben hatte. Er fürchtete zu Recht ihre Wut und ihren Zorn, wenn sie ihn beschimpfen würde, könnte er es nur zu gut nachvollziehen.

      Sie war traurig, sie war verwirrt sie fühlte sich schuldig, sie wusste aber nicht, worin ihre Schuld lag. Sie bat ihn zurückzukommen, ihr alles zu erklären, es hatte sie wütend gemacht, dass er so einfach aus ihrem Leben verschwunden war, ohne ihr die Chance des Verstehens zu geben. Wieso wollte er ihr oder ihrem gemeinsamen Leben keine Chance geben, hatte sie alles nur missverstanden. Sie hatte mit ihrer Familie telefoniert, ihr Vater sei sehr wütend geworden aber Kim und ihre Mutter hatten sie getröstet. Ob er nicht doch zurückkommen wolle?

      Er war fassungslos, das hatte er nicht erwartet, mit allem hatte er gerechnet, mit Beschimpfungen mit Verwünschungen auch mit Drohungen, aber nicht mit so einer Mail. Er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte, er hatte jetzt noch keine Erklärung, er musste in Ruhe darüber nachdenken. Er brauchte erst mal eine Pause, er konnte nach dieser Mail nicht einfach zum nächsten Punkt gehen, der erledigt werden sollte. Nach dem Ausloggen legte er sich auf das Bett, als er sich umdrehte, spürte er, dass sein Kopfkissen feucht war, er wischte über sein Gesicht, er hatte geweint.

      Völlig zerschlagen wachte er am Morgen auf, die Zeitdifferenz von sechs Stunden würde ihm noch ein paar Tage zu schaffen machen. In New York war es schließlich noch sehr früh gerade mal drei Uhr in der Nacht. Trotzdem quälte er sich aus dem Bett, nach einer Dusche würde die Welt sicher etwas freundlicher aussehen. Er ging zum Fenster, er wollte sehen, wie das Wetter heute sein würde, er wusste noch sehr gut, der Herbst in Berlin war nicht immer freundlich.

      Er zog die Jalousie zur Seite, heute hatte er wohl noch mal Glück, die Sonne schien, trotzdem hatten die Leute die unten vorbei gingen warme Jacken an. Es schien kälter zu sein, als es wirkte, egal, heute würde er sich einkleiden dabei überlegen, was er Rachel schreiben sollte. Gleichzeitig wollte er sie bitten, seine persönlichen Dinge hier an das Hotel zu senden, vielleicht brauchte er doch nicht alles neu zu kaufen, ein Versuch war es wert.

      Nach seiner Einkaufstour wollte er sich zuerst seine Mail an Rachel schreiben, danach wollte er sich eine Wohnung und einen Job suchen. Wenn er weiter so mit seinen Ersparnissen umging, wie in den letzten beiden Tagen brauchte er wirklich bald eine neue Einkommensquelle.

      Liebe Rachel, bitte verzeih mir, was ich Dir angetan habe. Ich kann Dir nicht erklären, weshalb ich in der damaligen Situation so gewalttätig reagiert habe. Ja ich weiß, ich bin ganz sicher, dass Du keine Schuld an meinem Gewaltausbruch hast. Lange habe ich mir in den vergangenen Tagen die Situation vor Augen geführt und es hat mich erschreckt, zu welchen Dingen ich fähig bin. Ich habe Dich verlassen, weil mir bewusst geworden ist, wie sehr ich zu einer Gefahr für Dich geworden bin, da ich nicht beurteilen kann, wann und weshalb ich erneut die Kontrolle verliere. Ich wünsche Dir, dass Du das Glück welches Du verdienst bei einem anderen Mann findest. Falls es Dir möglich ist, bitte ich Dich, mir meine persönlichen Dinge an das Abion Hotel zu senden. Bitte versuche nicht, mich umzustimmen. Bitte hasse mich nicht, Matthias.

      Mehr war nicht zu sagen, er hoffte, dass sie dies so akzeptieren würde. Jetzt kamen Wohnung und Job dran, zuerst der Job, schließlich musste man einen künftigen Vermieter von der Zahlungsfähigkeit überzeugen. Er suchte nach Agenturen in Berlin und erschrak über die Vielzahl, die sich auf seinem Monitor ausbreiteten, dann suchte er nach bekannteren Namen.

      Er fand seine ehemalige Agentur aus Hamburg, die inzwischen auch eine Dependance in Berlin hatte, sie war eine der größten in Deutschland. Dort würde er es zuerst versuchen, sie hatten bedauert, als er die Agentur verließ, um in den USA zu arbeiten. Sollte er je wieder nach Europa zurückkehren, hatten sie ihm einen Job in Aussicht gestellt.

      Es war bereits zu spät, morgen wollte er direkt in Hamburg anrufen. Dort so hoffte er, hatte sich die Struktur nicht wesentlich verändert, mit etwas Glück würde er seine ehemaligen Vorgesetzten noch vorfinden. Dies würde die gesamte Prozedur vereinfachen, sie hatten seinen Werdegang in New York sicher verfolgt.

      Üblicherweise blickte man auch über den Teich, um die Arbeiten der Mitbewerber zu verfolgen, diese konnten sich auf dem immer kleiner werdenden Markt schnell zu Konkurrenten entwickeln. Dass einige der Kampagnen seinen Namen trugen, war sicher mit Interesse vermerkt worden.

      Er musste sich entscheiden, in welchem Bezirk sollte seine neue Wohnung liegen. Eigentlich war dies sicher von seinem Job abhängig, andererseits wollte er in der Gegend bleiben, in welcher er vieles wiedererkennen würde. Spontan entschied er, dass eine Wohnung nur in diesen Bezirken suchen wollte, Tiergarten, sein ehemaliger Heimatbezirk sowie das angrenzende Charlottenburg.

      Es ging nicht darum, in Erinnerungen zu schwelgen, nein er wollte sein Lauftraining wieder aufnehmen, dazu bot sich der Park geradezu an. Die Entscheidung, die prinzipiell gefallen war, hing im Wesentlichen von der Tätigkeit sowie dem Umfeld ab, heute war darüber keine Entscheidung mehr möglich, so entschied er, erst morgen das Telefonat abzuwarten.

      Plötzlich hatte er freie Zeit, bevor er genau wusste, was geschah, stand er ausgehfertig vor dem Hotel. Ruhig blickte auf die vereinzelten Spaziergänger, sah, wie eine ältere Frau an einer Büste stehen blieb, um zu lesen, was auf einem Kupferschild stand. Ihr Weg führte zur nächsten Büste, wo sich die Prozedur wiederholte. Auf dem vorübergleitenden Ausflugsschiff waren nur wenige Plätze mit Ausflügler belegt, die trotz des Sonnenscheins, in dicke Jacken gehüllt waren.

      Er wandte sich ab, ging jetzt selbst die „Straße der Erinnerung“ entlang, in der Personen der Zeitgeschichte der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts geehrt wurden. An der Moabiter Brücke wählte er den Weg in den Tiergarten, er wollte unbedingt sehen, was sich in den letzten zwei Jahrzehnten geändert hatte. Hatte der Park, außer seinem natürlichen Wachstum, seine Anziehungskraft behalten, oder hatte man auch derart gravierende Änderungen vorgenommen. Er erinnerte sich noch sehr genau an die Wochenenden, die er mit Freunden im Park verbracht hatte, der immer von sonntäglichen Spaziergängern überlaufen war.

      Beim Durchlaufen des Parks entdeckte er Stellen, die ihn an seine Kindheit erinnerten, hier hatten sie Fußball gespielt, Spaziergänger geärgert oder einfach nur in der Sonne gelegen. Bereits beim Betreten des Parks hatte er es gespürt, hatte den Geruch aufgesogen, den er nie vergessen hatte. Der Park hatte sich verändert aber nicht so spürbar, dass er die markanten Stellen nicht erkannt hätte. Er lief am Teehaus vorbei, ohne zu ahnen, wie schicksalhaft dieser Ort für ihn werden sollte, plötzlich fühlte er sich wieder zu Hause angekommen. Hier auf seine Eltern zu treffen brauchte er nicht zu befürchten, diese hatten vor Jahren bereits Berlin verlassen und lebten in Bayern. Das heißt, seine Mutter lebte noch dort, wo genau hatte ihn nie interessiert. Den Tod seines Vaters hatte er längst aus seinem Gedächtnis gelöscht.