Im Galopp durchs Nadelöhr. Gabriele Plate. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gabriele Plate
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783745067972
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sich nach amerikanischen Jeans, nach Tisch und Sofa und nach elektrischen Geräten, obwohl es kein öffentliches Stromnetz gab. Da sah man Toiletten mit Wasseranschluss und Autos mit eigener Garage. Ganz oben, auf ewig unerreichbar in der Wunschliste, thronte das Auto. Solch eine Garage aus der Fernsehserie, mit Betonboden, Fenster und Tür und einem Dach aus Ziegeln, erschien den Dorfbewohnern wie ein Luxushaus. Sie wollten es sich holen.

      Karl versuchte am nächsten Abend schrittweise, diese abscheuliche Nacht in sein Gedächtnis zu rufen. Die Erinnerung verschwand in einem Nebel. Kein schwarzes Loch, aber auf eine ihm unbekannte Weise nicht greifbar. Er stöberte verstört einige Fetzen der Erinnerung auf, sie huschten davon, er befürchtete den Verstand zu verlieren. Sein Erinnerungsvermögen hatte noch nie zuvor versagt.

      Was Karl nicht wusste, betraf das offene Geheimnis, dass es in diesen Landen, hoch oben in den Bergen oder im tiefsten Regenwald auf der „anderen Seite“, Beeren, Kräuter, Wurzeln, Pilze, Kaktusfrüchte oder spezielle Rinden gab, die man sorgsam sammelte und je nach Bedarf einem Feind oder Freund verabreichte. Auch hochgeschätzte Gifttropfen, aus diversen Schlangenzähnen oder Froschkehlen abgesaugt, wurden von den dafür talentierten Menschen gesammelt. Man konnte all das in versteckten Hütten erwerben. Unter diesen Schätzen bildeten die bewusstseinserweiternden Pülverchen und die Aphrodisiaka die Renner. Auch die Nachfrage nach der tödlichen, im Blut nicht nachzuweisenden Dosis, für einen gehassten, gefürchteten oder einfach überflüssigen Menschen, der einem das angestrebte Ziel verwehrte, war beachtlich.

      Karls selbsternannte Aushilfe hatte sich eingedeckt und den angeblich hausgekelterten Wein für ihn präpariert. Diese Gegend war kein Weinanbaugebiet, das hatte Karl ebenfalls nicht beachtet. Er hatte sich eine besonders hohe Dosis einverleibt, eine teuflische Mischung eines Aphrodisiakums und verschiedenen Lahmlegern des eigenen Willens. Er konnte denken was er wollte, der Wille gehorchte ihm nicht, und seine Libido spielte dazu verrückt. Er war nicht überaktiv gewesen, nur sein Geschlechtsteil war es, etwa so als hätte er in Kokain gebadet. Ansonsten aber war seine Aktivitätsmöglichkeit, bis auf eine reduzierte Denkfähigkeit, fast lahmgelegt gewesen.

      Der Angst- und Ekelauslöser saß allerdings in dem intakten Bereich des Gehirns, er kam direkt aus dem unkontrollierbaren Teil des Unterbewusstseins der forcierten Libido in die Quere. So siegte dieser Effekt über die hinterhältig eingeflößte, provozierte Geilheit. Sein Penis ließ sich zwar reizen bis zum Bersten, aber er ließ sich nicht in „ihr Loch“ befördern. Und genau das Wenige aber Ausschlaggebende war es, woran Karl sich noch erinnern konnte, einzig und allein an die Tatsache, dass er nicht in ihr „drin“ war.

      Er schüttelte sich, es war ein Alptraum. Wie konnte er das zugelassen haben, betrunken oder nicht. Er füllte die Schüssel mit heißem Wasser für das Kamillebad. Es war die größere Schüssel aus der Küche, in der Luz immer die Zwiebelringe für das ceviche in Salzwasser ausdrückte. Die Kamilleblüten hatte sie ihm vor Wochen mitgebracht. Warme Umschläge damit, hatten ihn von einer üblen Bindehautentzündung befreit. Dieser ewig staubige Wind. Ach, Luz del Mar, dachte er sehnsüchtig.

      Es war Abend, er saß breitbeinig auf einem Stuhl, die Schüssel zwischen den Beinen. Sein Penis war wund und baumelte über den Rand in dem wohltuend warmen Heilwasser. Die Vorhaut war leicht eingerissen und blutete ein bisschen. Karl empfand Schmerzen und hätte am liebsten geweint, nicht wegen der Schmerzen, er fühlte sich einfach zum Heulen elend. Seiner Erinnerung der vergangenen Nacht war nicht weiter auf die Sprünge zu helfen, mit Klarheit erfasste er nur den nächsten Morgen und ihren Rausschmiss.

      Karl hatte am späten Vormittag, nach dem Besäufnis, wie er es unwissend nannte, dieses Weib nackt neben sich vorgefunden. In seinem Bett! Er hatte sie erschrocken und mit Abscheu betrachtet. Stellte sie sich schlafend? Mit spitzen Fingern hatte er sie angetippt, als sei sie eine Leiche, als wolle er auf diese Weise herausfinden, ob sie noch am Leben sei. Hatte er sie etwa erwürgt? Dann schlug sie die Augen auf, sie lebte und sah ihn mit ihrem breiten Grinsen an.

      Guten Morgen Geliebter, mi Cariño, mein Zärtlicher, dröhnte es gegen seine Gehörorgane. Karl rollte sie aus seinem Bett und schob sie mit Gewalt vor die Haustür, und da sie es verweigert hatte sich anzukleiden, war sie noch splitternackt. Ihre Kleidung flog aus dem Fenster.

      Endlich war sie draußen. Aber während sie sich mit erstaunlich wenig Eile in diesem Draußen angezogen hatte, Karl hatte durch das Fenster gelugt, trat sie im Fünfsekundentakt gegen die Tür. Zur Erheiterung einiger Zuschauer, die stehengeblieben waren, um dem Spektakel beizuwohnen. Keine außergewöhnliche Szene im Camp. Sie hatte laut nach ihm gerufen, schrie beinahe und bediente sich dabei, für alle hörbar, der üblichen Kosenamen für einen Geliebten. Die Tür blieb ihr verschlossen, und sie zockelte nach etwa fünf nervenaufreibenden Minuten davon.

      Karl atmete bei dieser Erinnerung tief ein und mit einem schweren Seufzer wieder aus. Wohlig entspannt lag nun sein geschundener Penis in dem warmen, duftenden Kräutersud. Plötzlich, ein energisches Klopfen an der Haustür.

      Karl schreckte auf und drückte die Beine zusammen. Es war schon dunkel, wer wollte so spät noch etwas von ihm? Luz del Mar? Freudig sprang er auf, die Schüssel kippte, die Hälfte des Wassers schwappte auf seine Hose, die zu seinen Fußknöcheln lag. Er klemmte schnell das bereitliegende Handtuch zwischen seine Schenkel, tupfte in Eile, aber doch mit äußerster Vorsicht den wunden Freund trocken und zog das nasse Kleidungsstück mit seinen beschädigten Bügelfalten wieder hoch. Er öffnete die Tür. Die Aushilfe stand auf der Schwelle. Karl stieß vor Schreck einen Schrei aus, als stünde der Teufel leibhaftig vor ihm. Er warf sich von innen mit der rechten Schulter gegen die Tür, eine Hand hielt gleichzeitig seine rutschende Hose, die noch nicht geschlossen war. Die Frau schob blitzschnell den Fuß zwischen Tür und Rahmen und schlüpfte in den Raum, während Karl in Panik versuchte den Reißverschluss seiner Hose hochzuziehen. Dieser hatte sich verhakt, es klappte nicht. Sie bemerkte, dass er an seinem Hosenschlitz tätig war und riet ihm augenzwinkernd, sich noch ein paar Minütchen zu gedulden, erst wolle sie hier Ordnung schaffen, dann erst käme das Vergnügen.

      Karl rannte mit offener Hose aus dem Haus und sprang in sein Auto. Seine lästige Angewohnheit, den Autoschlüssel stecken zu lassen, erfreute ihn jetzt. Er stob in unpassender Geschwindigkeit und nasser Hose über die staubige Camp-Straße, die Schranke öffnete sich, bevor er dort anhielt, da der Posten ihn schon von weitem erkannte. Karl raste in die nächtliche Wüste hinaus.

      Die Straße aus der Richtung Chilete war schmal und schlecht asphaltiert. Wenn sich zwei PKWs entgegenkamen, konnten diese ohne Mühe aneinander vorbei, wenn aber nur ein Lastwagen an der Begegnung beteiligt war, musste schon eins der beiden Fahrzeuge weit an den Rand ausweichen und bedeutend die Geschwindigkeit drosseln. Einer Geschwindigkeit von sowieso nur höchstens sechzig Stunden Kilometer.

      Kamen sich zwei Lastwagen entgegen, musste einer der beiden Fahrer sich schnell entschließen in den Straßengraben zu lenken und anzuhalten. Der Entgegenkommende rauschte dann wie ein Gewinner an ihm vorbei. Meist erkannte man schon von weitem, welcher der größere Wagen war, und diese Tatsache entschied, wer an den Rand der Straße auszuweichen hatte, der kleinere. Ein ungeschriebenes Gesetz. Tagsüber, bis spät in den Abend hinein marschierte eine nicht enden wollende Reihe von Menschen an diesem Straßenrand entlang. Mit Säcken, Hühnern, Krügen oder Kindern beladen, marschierten sie in beide Richtungen. In ein Dorf hinein oder aus einem Dorf hinaus, in das nächste. Wenn sich ein entfernter Lastwagen schon mit Hupgetöse anmeldete, stoben diese Menschen auseinander, sprangen schimpfend vom Asphalt, einige Meter in die Seitenbereiche der Straße hinein und rissen ihr Vieh, das sie oft neben sich herlaufen hatten, mit sich.

      Karl raste einem dieser belebten Dorfausfahrten entgegen. Er roch die Nähe des Dorfes schon von weitem, sie stank nach Urin und Müll. Plötzlich erkannte er einen Tanklastwagen, dessen Rücklichter nicht funktionierten, direkt vor ihm. Karl hupte anhaltend und versuchte im letzten Moment zu überholen. Er hatte auch die oberen Scheinwerfer des Pickup angestellt, und so wirkte sein Wagen, wahrscheinlich durch den Rückspiegel des anderen Fahrers, bedrohlicher als er war. Vor allem größer!

      Der Lastwagenfahrer reagierte zwar, aber nicht ganz wunschgemäß, er fuhr nur wenig an den Rand der Straße, nicht weit genug, um ihn überholen zu können, und er bremste vorher nicht genügend ab. Um einen Auffahrunfall zu vermeiden,