Sichelland. Christine Boy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Boy
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844236200
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Sie zog etwas hervor, was die Novizin ebenfalls nicht zu erkennen vermochte und ließ es in die Tasche ihres Umhangs gleiten.

      „Irgendwann...“ sagte sie leise und mit einem Hauch Überheblichkeit, „kehrt alles nach Hause zurück. Sollen sie hier nun die passende Antwort finden, aber nicht das, was sie erhofften. Niemand....“, ihre Stimme wurde einem Zischen, „... niemand wird ihn mir je wieder nehmen.“ Dabei lächelte sie nicht und ihre Bewegungen waren immer noch gemessen und zugleich kraftvoll, nicht enthusiastisch oder übermütig. Doch ihre Züge schienen ein wenig entspannter und die schwarzen Augen funkelten nicht mehr gefählich, sondern schienen seltsam sanft zu leuchten. War ihr Auftreten schon von Beginn an arrogant und ein wenig herrisch gewesen, so konnte sie ihre Selbstsicherheit nun kaum mehr verbergen.

      Sara gab sich nicht dem Irrglauben hin, dass diese Worte für sie bestimmt waren. Zweifellos war Lennys hierhergekommen, um genau das zu suchen und zu finden, was sie nun verborgen unter ihrem Umhang trug und die Novizin war beinahe erleichtert, nicht zu wissen, worum es sich dabei handelte. Sie versuchte, nicht darüber nachzudenken, ob es vielleicht eine Waffe war... oder eine Trophäe.... ein Schatz... oder ein schreckliches Geheimnis... .

      'Es geht mich nichts an.' dachte sie zum hundertsten Mal an diesem Tag. 'Sie weiß, was sie tut und ich bin nur hier, um ihr zu dienen.'

      „Wir gehen.“ Lennys klang wieder genau wie sonst, als wäre nichts geschehen, dass ihre Gemütslage auch nur um einen Wimpernschlag verändert hätte. Sie winkte Sara zu der Quelle, die tatsächlich aus etwa einem Meter Höhe aus dem Fels sprudelte und dann in der Unterwelt versickerte. Kaum hatten beide ihre Flaschen gefüllt, eilte die Cycala schon hinaus, als wolle sie diesen Ort wieder so schnell wie möglich verlassen.

      Es war Mittag geworden. Gnadenlos versengte die Hitze das Land und Sara freute sich, als sie sich schneller als erwartet wieder dem winzigen Bach bei den Kiefern näherten. Bald würde das Gelände wieder vertrauter und grüner werden. Und nicht mehr lange, dann würde sogar der Nebeltempel in weiter Ferne am Horizont zu sehen sein...

      „Wir werden uns hier trennen.“ stellte Lennys fest. „Ich möchte, dass du zum Tempel gehst und Menrir aufsuchst. Sag ihm, ich warte am Waldrand auf ihn, nordwestlich des Tempels. Dort, wo er so gern Pilze sammelt. Ich habe keine Lust, jetzt Beema in die Arme zu laufen, ich gehe lieber direkt dorthin. Findest du den Weg allein?“

      „Ja.“

      „Gut. Du kannst noch Pause machen, wenn du es nötig hast, aber warte nicht zu lange. Ich werde ohnehin vor euch da sein.“

      Ohne ein weiteres Wort des Abschieds ließ sie Sara unter den düsteren Bäumen zurück und wandte sich in die westliche Richtung dem Drei-Morgen-Wald zu, der am Horizont dunkelgrün schimmerte.

      Es war ein Umweg, doch Lennys nahm ihn gern in Kauf. Der Tempel war ihr zuwider und sie war froh, seinem Anblick noch eine Weile zu entgehen. Außerdem konnte sie so das Tempo anziehen und ein wenig von dem abbauen, was sich in ihr aufwallte.

      Sie brannte auf eine ruhige Minute im Schatten der Bäume, auf einen unbeobachteten Moment, in dem sie sich den Triumph noch einmal vor Augen führen konnte, den sie eben erlebt hatte. Lächelnd ließ sie ihre Hand über den Umhang gleiten, bis sie den harten Gegenstand spürte, den sie vorhin in der Finsternis der Höhle rasch verborgen hatte. Er war da. Er war immer noch dagewesen. Niemand hätte ihn dort finden können, niemand wusste davon. Und doch... zu viel war geschehen um ganz sicher zu sein, zu viele Dinge, die einer Erklärung bedurften. Zu viele Geheimnisse, die an den Falschen geraten waren. Doch nicht dieses eine. Und falls doch.... dann würden sie zu spät kommen, würden nichts mehr finden. Wie ein erstes Omen der blutigen Niederlage, der sie entgegenrannten. Sie beschleunigte ihren Schritt.

      'Ihr wusstet nicht, wo er ist. Was hättet ihr mit ihm getan, wenn ihr ihn gefunden hättet? Ich hätte ihn nie aus der Hand geben dürfen, niemals. Ein unverzeihlicher Fehler. Nur ein einziger hätte ihn finden und zurückbringen können, doch sein Wissen war nur vage und sein Wille stand dem meinen entgegen. Gleich wird er erkennen, dass ich mich von niemandem beherrschen lasse....'

      Kein Zorn loderte in ihr wie sonst, nur Genugtuung und ein Gefühl der Erhabenheit. Doch gleichzeitig ahnte sie, dass mit diesem Sieg, den nur sie kannte, noch etwas Anderes in ihr zurückgekehrt war. Etwas, das sie ebenso begraben hatte wie die Erinnerungen an die Schildkrautlichtung, etwas, dessen Bekämpfung vielleicht noch schmerzhafter gewesen war. Und nun kam es zurück, langsam, schleichend, doch unaufhaltsam. Ein Verlangen, das bald in jeder Ader pulsieren würde, das sich in ihr ausbreiteten würde und sie dann ganz erfüllte... und diesmal würde sie nicht dulden, dass man es zügelte.

      'Nur ein wenig noch...' dachte sie weiter. 'So lange hast du in mir geschlafen, also erwache nicht zu schnell. Die Belohnung, der rechtmäßige Preis, wird kommen, wenn die Zeit reif ist. Wie lange hast du mich gefoltert, wie lange gequält und mich beherrscht... was bedeutet nun noch diese kurze Zeit,....du wirst willkommen sein... Verlangen...'

      Der Drei-Morgen-Wald roch noch immer nach feuchter Erde und nassem Laub, die Sonne hatte hier noch nicht alle Spuren der letzten Nacht verwischen können. Unter einer hohen Eiche nahe des Waldrands fand Lennys jedoch eine trockene, moosbewachsene Stelle, auf der sie sich niederließ. Es würde noch mindestens eine Stunde dauern, bis Menrir hier ankam, denn nicht nur seine Gelenkigkeit, sondern auch seine Ausdauer litten zunehmend unter dem Alter. Plötzlich fiel ihr ein, dass sie nicht gesagt hatte, der Heiler solle allein hierher kommen. Wenn Sara ihn begleitete, würde sie noch mehr erfahren als ohnehin schon. Weniger als der Gedanke daran beunruhigte Lennys jedoch die Tatsache, dass sie sich zunehmend an die Novizin gewöhnte. Normalerweise wäre es ihr nie in den Sinn gekommen, irgendjemanden mit in diese Höhle zu nehmen. Oder auf diese Lichtung. Was um alles in der Welt war nur in sie gefahren? Doch war es nicht auch gut gewesen, dass sie sich eine Begleitung gewählt hatte? Was wäre denn gewesen, wenn sie ganz allein in diesen Brunnen gestarrt hätte – kein Mensch weit und breit, der sie, wenn auch noch so lose und kaum wahrnehmbar, an einer hauchdünnen Kette in der Realität, im Hier und Jetzt hielt. Was wäre geschehen, wenn sie unbeobachtet und ungehört heute diesen wichtigen Moment hätte erleben dürfen? Sie hatte sich unter Kontrolle gehabt, weil sie musste. Sara war wie eine Grenze, die sie nicht überschreiten durfte, wie ein schwebendes Beil der Vernunft über ihr, das zuschlug, wenn sie zu weit ging. Natürlich, das Mädchen hätte alles stillschweigend hingenommen, hätte die Geheimnisse wohl mit ins Grab genommen und sich jeglicher Wertung und jeglichen Urteils enthalten. Doch ohne es zu wissen oder auch nur zu ahnen, tat Sara etwas, was Lennys allein nicht immer so gelang, wie es nötig war. Sie zügelte und bremste das Temperament der Cycala. Bis zu einem gewissen Punkt. Dieser war gestern abend natürlich überschritten worden und Lennys wusste ganz genau, dass es in Zukunft Situationen geben würde, in denen nicht einmal Sara verhindern konnte, dass sie die Beherrschung verlor. Aber selbst wenn sie es könnte,... sie würde dann schon nicht mehr da sein. War das nicht auch besser? Oder spielte es überhaupt eine Rolle? War diese einfache Novizin es überhaupt wert, sich über sie Gedanken zu machen? Nein, natürlich nicht. Sie war in zwei sehr wichtigen Momenten anwesend gewesen, in einem Augenblick des Sieges, und in einem anderen... Niemals hätte Lennys es Niederlage genannt.

      'Ich unterliege nicht. Nie.'

      Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr kam sie zu dem Schluss, dass Sara nichts anderes war als das Publikum. Das Publikum, dem man einen Triumph offenbaren konnte, das davon Kenntnis nahm. Das Publikum, vor dem man seine wahren Stärken verbarg, um es hinzuhalten, um es neugierig zu machen. Und das Publikum, vor dem man nicht verlieren wollte. Es hatte kein Gesicht, keinen Namen. Ein Beobachter, der vielleicht wertete und dessen Wertung zugleich unwichtig war. Der Anreiz allein zählte. Denn ein Spiel, ein Kampf,.. war doch reizlos ohne Zuschauer....

      Ferne Stimmen rissen Lennys aus ihren Gedanken. Sie waren unverwechselbar.

      „....und mit etwas Glück und natürlich viel Fleiß wirst du diesen Herbst vielleicht schon in die nächste Klasse aufsteigen. Glaub mir Sara, du wirst einmal eine wirkliche gute Heilerin, nicht jeder hat so viel Talent....“

      „Ich mache noch zu viele Fehler, Menrir. Vielleicht sollte ich noch ein Jahr warten mit der Prüfung, dann wäre ich mir viel sicherer....“

      „Aber