Sichelland. Christine Boy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Boy
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844236200
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      "Menschen, die ihn verehrten. Menschen, die seine wahre Macht und Bedeutung erkannten. Menschen, die es ihm gleichtaten und Unrecht rechtmäßig straften und nicht nur mit Worten kämpften, sondern mit Taten. Und sie wurden ihm nie untreu, sie verleugneten ihn nicht und erwiesen sich nie als unwürdig. Bis heute nicht."

      "Die Cycala?"

      "Wie gesagt, nur wenige von uns dienen diesem Kult auf dem althergebrachten Weg. Aber ganz Sichelland respektiert den Blutdämon, wenn auch nur eine kleine Gruppe die alten Riten vollzieht. Nicht so im Mittelland. Hier ist er verhasst, er ist der Teufel und der Gefürchtete. Der, den es zu besiegen und zu verdammen gilt. Sein Bild ist das Zeichen der Verfluchten und sein Name ist der Inbegriff von Abscheu und Hass."

      Bei diesen Worten fielen Sara die alten Zurechtweisungen ein, die sie schon als kleines Kind gehört hatte.

      "Wenn du ungehorsam bist, holt dich der Schlangendämon zu sich.."

      Lennys verzog angewidert das Gesicht.

      "Ja, für die Mittelländer und auch die Manatarier ist er einfach nur der Abschaum, dessen Reich als die größte Strafe gilt. Aber wie ich heute feststellen musste, fruchtet diese Art von Erziehung bei euch nicht sonderlich."

      "Ist das der Grund.... für den Großen Krieg gewesen? Dass manche in Cycalas....Ash-Zaharr verehren?" fragte Sara jetzt vorsichtig.

      "Wer braucht schon einen Grund, wenn er Krieg führen will? Man findet immer einen. Und was geschehen ist, ist geschehen. Gejagt wurden damals alle aus dem Sichelland, und keiner wurde gefragt, wem er die höchste Ehre erweist. Was spielt es noch für eine Rolle, wenn ein kleiner, unbedeutender Kult betrieben wird? Glaubst du wirklich, eine .... Sekte.... könne durch ihren Ruf ein ganzes Land zu Fall bringen?"

      Lennys wurde lauter. Seit dem Morgen auf der Schildkrautlichtung hatte etwas in ihr gebrannt und war mit jeder Minute stärker geworden. Sie war es nicht gewohnt, sich über lange Zeit beherrschen zu müssen, sei es mit Worten oder mit Taten. Und nun schien die Grenze des Erträglichen schon zum Greifen nah.

      "Eine Bande von Fanatikern, sollen sie oben in den Wäldern Cycalas' doch treiben, was sie wollen, denkst du, das beeindruckt irgendjemanden? Die Menschen sehen, was sie sehen wollen und wenn sie der Meinung sind, sie bräuchten einen Grund, zum Schlag gegen uns auszuholen, dann gibt es wohl Naheliegenderes als eine abartige Religion!"

      Sara erschrak. Bis eben noch hatte Lennys eher respektvoll, beinahe schon ehrerbietig von den Dämonenanhängern gesprochen, doch jetzt nannte sie sie abartige Fanatiker, die keinerlei Bedeutung für das große Reich im Norden hatten. Und doch hatte sie einen Anhänger der geflügelten Schlange bei sich gehabt.

      'Aber sie hat ihn nicht selbst getragen.' rief sich die Novizin ins Gedächtnis. 'Und sie hat ihn weggeworfen, in diesen unheimlichen Brunnen...'

      "Da fallen sie nieder, die Cycala, aus Bewunderung für die, die sich einem alten Glauben verschrieben haben!" fluchte Lennys weiter. "Einen toten Glauben! Wem hat das Erbe Ash-Zaharrs je genützt? Es war immer nur eine Illusion, doch die dummen Menschen dort oben, sie sind stolz auf die Tradition und auf die Treue dieser Träumer, die nie die Welt so gesehen haben, wie sie wirklich ist! Verlogen und feige die einen, ignorant und naiv die anderen! Bald wird sich niemand mehr an den Blutdämon erinnern und dennoch wird die Sonne auf- und untergehen! Er wird vergessen sein und niemand wird dadurch besser oder schlechter dran sein! So bedeutungslos für alle und trotzdem halten sie daran fest, als würde ihr Leben von diesen Hirngespinsten abhängen! Hier nennt man sie die Verfluchten und die Dämonenbrut, und genau das sind sie, ja! So wie jeder, der sich in die Seelensklaverei dieser Tempel begibt, wie jeder, der nicht das sieht, was wirklich ist!"

      "Bitte...." Sara stand auf und trat auf die Cycala zu, deren Zorn jetzt endgültig aus ihr herauszubrechen drohte. "Bitte... man wird euch hören...."

      "Und? Willst du mich etwa zur Ruhe mahnen? Erträgt dieser heilige Ort die Wahrheit nicht?" schrie Lennys zurück.

      "Doch... ich meine... nein....bitte Herrin, sie werden alle aufwachen..."

      In diesem Moment packte Lennys Sara am Kragen und zog sie so dicht an sich, dass die Novizin das Spiegelbild ihrer eigenen grünblauen Augen in den schwarzen Lennys' erkennen konnte.

      "Nenn .. mich .. nicht .. Herrin!" fauchte diese und ließ Sara im gleichen Moment wieder ruckartig los.

      "Verschwinde." sagte sie dann mit einer so unerwartet plötzlichen Ruhe, dass Sara glaubte, dies sei die letzte stille Sekunde vor einem alles zerstörenden Vulkanausbruch.

      Vollkommen verwirrt von den letzten Minuten und von der so unberechenbaren Reaktion ihrer Herrin ging sie zur Tür und war schon beinahe erleichtert, als diese schützend hinter ihr zufiel. Ratlos blieb sie auf dem Gang stehen und wartete, doch niemand rief sie zurück und Lennys schien auch nicht ihre Wut am Mobiliar des Zimmers auszulassen. Es herrschte Totenstille.

      Nach einer guten Stunde ereignislosen Wartens beschloss Sara, ins Bett zu gehen. Es war ohnehin schon sehr spät und sie erwartete auch nicht ernsthaft, in dieser Nacht noch einmal gebraucht zu werden. Aus dem Schlafraum war kein Laut zu hören und vielleicht hatte Lennys sich schon längst hingelegt. Und selbst, wenn nicht – es war sicher besser, ihr heute nicht mehr unter die Augen zu kommen.

      Als Sara am nächsten Morgen wieder an Lennys' Tür klopfte, war sie etwas nervös und das immer noch recht ärgerlich klingende „Komm rein“ beruhigte sie nicht gerade.

      „Die Sonne ist bereits vor über einer Stunde aufgegangen. Ich wollte eigentlich um diese Zeit schon längst weg sein, wo warst du?“ blaffte Lennys sie an. Man sah ihr nicht an, dass sie nur wenig geschlafen hatte und auch nicht, dass sie am Abend zuvor eine halbe Flasche Rum getrunken hatte. Selbst die schlechte Laune in ihren Zügen war kein ungewöhnlicher Anblick und Sara fragte sich, ob es überhaupt eine zufriedenstellende Antwort auf Lennys' Frage gab.

      „Ich wusste nicht, dass ihr mich schon so zeitig erwartet. Es war spät gestern und ich wollte euch auch nicht wecken.“

      „Dann wisse ab jetzt, dass Cycala nicht so viel Schlaf brauchen wie ihr. Wir kommen mit wenigen Stunden Ruhe aus. Versuche nicht, es mir gleich zu tun, du wärst nach drei Tagen vollkommen übermüdet. Trotzdem wäre es mir lieber gewesen, wenn du zeitiger gekommen wärst. Ist Beema schon wach?“

      „Nein. Sie nimmt nur selten am Morgengebet teil und steht meist erst auf, wenn die Zeremonie beendet ist.“

      „Sehr vorbildlich.“ erwiderte Lennys ironisch und griff dann nach ihrem Umhang. „Dann sollten wir jetzt aber keine Zeit verlieren und gehen, bevor sie mich noch in die Hände bekommt. Zieh dich um, wir treffen uns draußen.“

      Sara freute sich, dass sie trotz des Zwischenfalls am Vorabend wieder mitkommen durfte, auch wenn sie noch nicht wusste, welche Überraschungen dieser Tag für sie bereithielt. Sie schwor sich aber, es nicht noch einmal zu einer solch gefährlichen und vielleicht sogar provokanten Situation wie gestern kommen zu lassen.

      Eine halbe Stunde später hatten sie den Tempel schon hinter sich gelassen und waren in einen steinigen Pfad eingebogen, der hinauf zum Gebirge führte. Die Bergkette Valahir lief direkt hinter dem Nebeltempel aus und ein vergleichsweise kurzer Marsch von zwei bis drei Stunden führte trittsichere Wanderer schon in die Nähe der ersten kleinen Gipfel.

      Der Weg war von dichtem Wildbel und den kleinen gelben Blüten der Feldauke gesäumt und immer wieder schützten hohe Kiefern und Tannen vor den glühenden Sonnenstrahlen, die auch heute wieder gnadenlos vom Himmel brannten. Vom Gewitter des Vortages waren nur noch wenige Spuren zu sehen, einige abgerissene Äste, halb versickerte Pfützen und hier und da ein umgestürzter alter Baum, doch all das waren Bilder, die sich hier regelmäßig boten. Das Gebiet um Valahir und den Nebeltempel war solche Unwetter gewöhnt und da ihnen meist ein umso schönerer Sonnentag folgte, störte sich niemand daran. Auch das Gezwitscher der Vögel, das leise Zirpen von Grillen und anderen Insekten und das sanfte Rauschen des Sommerwindes in den Baumkronen verliehen dem Land eine Unschuld, die es noch wenige Stunden zuvor gänzlich verloren hatte.

      Sie erreichten die ersten steileren Hügel, aus denen