Die atonale Filmmusik störte mich beim Einschlafen, aber ich amüsierte mich damit, mir zuerst Heiners dummes Gesicht vorzustellen, wenn er morgen merkte, dass er keinen Schlüssel mehr hatte, und mir dann zu überlegen, warum dieser Kampmann das Haus so hatte verkommen lassen. Darüber schlief ich dann doch ein.
Vier
Geweckt wurde ich von Heiners Genörgel, weil kein Frühstück im Haus war.
„Ich hab noch kein Geld gekriegt“, antwortete ich ungnädig und rieb mir die Augen, „das läuft doch über JobTime. Und du kriegst hier ohne Cash sowieso nichts mehr zu essen. Für wie blöde hältst du mich eigentlich? Geh doch ins Café frühstücken!“ Heiner brummte herum. Himmel, der war schon angezogen! Ich musste ihn an der Wohnungstür verabschieden, damit er das mit dem Schlüssel nicht jetzt schon merkte!
Unlustig stand ich auf und bearbeitete wenigstens Gesicht und Zähne.
„Recherche oder Sitzung?“, heuchelte ich dann Interesse, während Heiner eselsohrige Zettel in seine Tasche stopfte.
„Recherche. Scheiße, der Block ist voll. Kann ich deinen nehmen?“
„Nein, ich will am Nachmittag in die Bibliothek, da brauch ich ihn selbst. Außerdem hast du letztes Mal meine Notizen zum Teil bekritzelt, zum Teil einfach weggeschmissen.“
„Ich konnte doch nicht mit diesem Museumsscheiß bei einem Avantgarde-Künstler auftauchen.“
„Eben – kauf dir selbst einen Block!“
„Keine Zeit mehr.“
„Tja, das ist ja wohl dein Problem. Schönen Tag!“ Ich stand in der Tür und hielt sie einladend auf. Heiner fauchte etwas und schoss nach draußen und die Treppen hinunter. Sehr gut!
Ich schloss die Tür hinter ihm und ging ausgiebig unter die Dusche. Herrlich – und wenn ich die Wohnung erst einmal für mich hätte, wäre das ganze Leben herrlich, jeder Tag! Putzen, Geld verdienen, promovieren und abends meine Ruhe. Und wenn ich wieder ein paar Cent in der Tasche hätte, könnte ich auch mal wieder mit Ingrid und Carla einen zwitschern gehen, ins Ratlos oder zu Fabrizio. Hier gab es so viele Kneipen, aber Heiner lehnte sie alle als kulturlos und Schickimicki ab. Als ob die dämlichen Prosecco-Stehempfänge bei diesen off-Broadway-Ausstellungen und Inszenierungen nicht auf ihre Art genauso stereotyp wären! Blöder Hund.
Ich fischte seine Schmutzwäsche vom Boden des Kleiderschranks und stopfte sie in eine Tüte, dann baute ich eine der Umzugskisten auf und warf die Tüte hinein. Um neun musste ich bei dieser Frau Rössel sein. Fuggerplatz... da gab es nie Parkplätze, also sollte ich lieber zu Fuß gehen. Etwa eine halbe Stunde... jetzt war es zehn nach acht...
Ich sperrte meinen Laptop auch noch in den verschließbaren Schrank, aß den letzten Apfel, zählte mein Geld (noch exakt siebenunddreißig Euro und fünfundachtzig Cent), zog meine Putzkluft an und machte mich auf den Weg, nachdem ich die Wohnungstür extra sorgfältig verschlossen hatte.
Frau Rössel war etwa fünfzig, allein stehend – und sie trug selbst einen Putzkittel. Dass ich keinen hatte, bemängelte sie sofort. Sobald sie sich wieder beruhigt hatte, zeigte sie mir die Toilette, wo die Kachelfugen vergilbt waren. Ich bekam eine Tube Fugenweißer und hatte alles sorgfältig nachzuziehen und dann die Kacheln auf Hochglanz zu polieren – immerhin mit einem dafür laut Werbung extrem geeigneten Mittel. „Um elf sollten Sie damit fertig sein, dann können Sie den Wasserhahn entkalken.“
Na, wenn nichts Wichtigeres anlag... Ich machte mich an die Arbeit, polierte die Kacheln, zog jede Fuge sorgfältig nach und schüttelte ab und an meinen erlahmenden rechten Arm aus. Scheißjob! Nebenan hörte ich den Staubsauger. Aha, der Putzteufel erledigte die Routine wohl selbst und hatte mich nur für Sonderaufgaben engagiert? Auch recht!
Gegen halb elf hatte ich alle Fugen, auch zwischen den Bodenkacheln, in strahlendes Weiß versetzt und die Kacheln selbst funkelten in hochglänzendem Schokoladenbraun. Sehr passend für ein Klo; leider waren die Becken nicht auch braun, dann müsste man sie nie putzen, überlegte ich missmutig und sprühte die Mischbatterie mit Entkalkerschaum ein, bevor ich den Perlator abschraubte und ihn ebenfalls einschäumte. Man sollte ja bei der Arbeit mitdenken, um einen einigermaßen intelligenten Eindruck zu machen; also polierte ich auch gleich noch den Handtuchhalter und entfernte die Fingerabdrücke vom grell weißen Lichtschalter. Der Entkalker schäumte immer noch munter vor sich hin, also wischte ich auch noch den Lampenschirm feucht ab und brachte den Klopapierhalter auf Hochglanz.
Sobald aller Schaum entfernt und der Hahn wieder zusammengesteckt war (hei, wie das Wasser jetzt strömte), rief ich voller Stolz Frau Rössel, damit sie meine Meisterleistung bewunderte.
„Ganz ordentlich“, war der Kommentar, „aber beim nächsten Mal fragen Sie mich bitte, bevor Sie einfach den Hahn entkalken oder die Armaturen polieren. Und wieso sind Sie denn um elf schon mit der ganzen Gästetoilette fertig?“
„Ich habe eben zügig gearbeitet“, entschuldigte ich mich.
„Zügig schon – aber auch gründlich? Na, mal sehen...“
Sie inspizierte die Kachelfugen durch die Brille, die sie dazu extra aus der Tasche des lila-rosa-grün geblümten Kittels zog, wies mich triumphierend auf zwei nachzubessernde Stellen hin und war dann gnädig einigermaßen zufrieden. „Wir haben ja noch eine Stunde Zeit. Kommen Sie mit, Fräulein Holler!“
Ich protestierte nicht wegen der antiquierten Anrede, sondern folgte ihr brav in die Küche, wo mir ein Schrank gezeigt wurde, der eine Fülle von Putzutensilien enthielt, wie ich sie noch nie gesehen hatte, Reihen und Reihen von Flaschen, Stapel der verschiedensten Lappen und Tücher, Schrubber, Wischmops, Besen – alles mehrfach. Ein anderes Hobby schien die Alte nicht zu haben, oder sie konnte den Anpreisungen der Fernsehwerbung nicht widerstehen. Das Riesengerät im Wohnzimmer hatte ich durch die offene Tür wohl erspäht. „Räumen Sie alles aus und wischen Sie den Schrank feucht auf, danach räumen Sie ihn sorgfältig wieder ein, so dass man jedes Teil auf Anhieb findet.“ Der scharfe Unterton schien zu unterstellen, dass ich hier eine heillose Unordnung verursacht hätte. Eine Frechheit!
Seufzend ging ich an die Arbeit, faltete die Tücher dabei gleich exakt im gleichen Format und sortierte sie nach Qualität, Vlies, Microfaser, Scheuerlumpen (natürlich ladenneu, ich entdeckte überhaupt kein gebrauchtes Stück – oder wusch und bügelte diese Verrückte alles nach Gebrauch?), wischte alle Flaschen feucht ab und sortierte sie ebenfalls, Bodenreiniger, Fensterreiniger, Entkalker, Fettlöser, Glanzspray, Scheuermilch...
Die Besen und Schrubber landeten vor dem Kühlschrank, und ich bearbeitete das ältliche Holz des Putzschranks, bis keine Ränder von undichten Flaschen und keine Staubmäuse mehr zu sehen waren. Nicht, dass der Schrank besonders verstaubt gewesen wäre, wahrscheinlich hatte sie ihn kürzlich erst selbst geputzt. Ich kannte das von meiner Mutter: Kinder, räumt auf und putzt, morgen kommt die Zugehfrau, und ich will mich nicht vor ihr schämen müssen.
Als der Schrank intensiv nach Zitronenreiniger duftete und langsam trocknete, begann ich damit, die Fächer in perfekter Ordnung wieder einzuräumen; ich hatte sogar das rote Plastikkörbchen abgewaschen und getrocknet, in dem Bohnerwachs, Herdplattenpolitur, das Bügeleisenputztuch und eine angebrochene Packung Kühlschrankdeo gelegen hatten. Was es für einen Kram gab...! Zuhause hatte ich einen Allzweckreiniger mit Orangenduft, einen großen Lappen und einen altersschwachen Staubsauger. Damit wurde auch alles irgendwie sauber.
Schließlich kam Frau Rössel gemessenen Schrittes in die Küche und nahm die Endabnahme vor; sie nickte angesichts des makellosen Schrankes gnädig und gestattete mir, nächsten Mittwoch wiederzukommen. Als besondere Vergünstigung wurde mir in Aussicht gestellt, die Kronleuchter reinigen zu dürfen. Ich bedankte mich schwächlich für diese Auszeichnung und machte, dass ich nach Hause kam, schließlich musste ich ja Heiner belauern.
Er war noch nicht da, Gott sei Dank. Den Anblick, wie er fluchend vor der Wohnungstür stand, brauchte ich nicht so dringend, lieber stritt