Johannas fliegende Fische. Martin Jaeger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Jaeger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742788078
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viel, mehr von den Materialien, mit deren Hilfe man sie erzeugte. Aber er schätzte den Institutsleiter für seine unkonventionellen Methoden, selbst wenn nicht immer klar war, worüber der Leiter des Instituts gerade grübelte. Der Mann besaß hohe Ideale, hatte Mut, war obendrein beliebt bei der lokalen Bevölkerung in Graz. Und vor allen Dingen glaubte er an das Gleiche wie er: dass ein Wandel in eine bessere, heilsamere Epoche der Energiewirtschaft machbar sei: ohne Atom, ohne Kohle, ohne Verbrennung von irgendwas. Ja, vielleicht.

      Für die neue Unternehmung war Bulgakov an einer Art Anti-Gravitations-Maschine gelegen. Er meinte, die Schwerkraft, das sei auch nur so eine mathematische Idee, die es zu überwinden gälte. Nun gut, das Lieblingsprojekt van Galtens war das definitiv nicht, aber immerhin, der Junge war auf dem Weg.

      Cord würde auch diese Eskapade geduldig an seiner Seite als stiller Assistent mit ihm aussitzen, ausharren mit der ihm eigenen Demut.

      Das halbe Leben wartete er schon. Niemals war klar, ob sich die Warterei lohnte. Allezeit stand er als Universalhandwerker bereit, durfte nur auf Anfrage nach Bedarf agieren. Zwischendurch geschah mal etwas, von dem man dachte, das wäre es, doch wer wusste schon, ob das Getane die Wartezeit tatsächlich verkürzte oder nur erneute Komplikationen bescherte.

      Die Entwicklungen des leitenden Physikers oben im dritten Stock ähnelten dem Wirken eines Uhrmachers, der stets noch ein neues Rädchen einzubauen hatte, um Funktionalität und Zufriedenheit über sein Uhrwerk zu bewirken. Nie war ein Projekt ganz fertig. Trotzdem war der Akademiker eine pure Wohltat für das Institut und die Öffentlichkeit, verbreitete er doch grundsätzlich Hoffnung auf eine bessere Zukunft: die Realität kostenloser Energie für alle.

      So war es wohl: Cord van Galten fungierte als Türsteher und Portier eines kommenden Zeitalters, beharrlich darauf wartend, den Raum für den Rest der Welt öffnen zu können.

      Für ihn ging es immer nur um die Sache. Darum hatte er sich nach dem Exil in Holland bereit erklärt, nach Graz zurückzukehren, um diskret als Pförtner und Hausmeister tätig zu werden. Dekan Meyerhof war als Leiter der Universität der Einzige, der seine wahre Geschichte kannte .

      Ich bin ein Untercover-Portier, schmunzelt er in sich hinein, nimmt einen großen Schluck aus dem Kaffeebecher.

      Es bereitete Befriedigung, Fakten zu schaffen, Maschinen und Prototypen nach den Skizzen der Dozenten zusammen zu bauen, selbst wenn dies nicht sein offizieller Job war. Schließlich erwies sich der Intellekt der Akademie erst durch die Mitarbeit tatkräftigen Handwerks als effizient. «Herz, Hirn, Hand», so lautete das Motto von Cord van Galten. Anders hatte der Herrgott die Welt auch nicht erschaffen, dessen war er sicher.

      Genüsslich zieht er den süßlichen Duft der Jasminblüten in sich hinein, öffnet die Augen, betrachtet seine zerfurchten Handwerkerhände, knorrige, elastische Äste, die sich den wärmenden Strahlen der Sonne darbieten, als könne das Licht Falten in Jugend verwandeln.

      Das beste Werkstück war die alternative Antriebstechnologie, die er mit dem Meister nachgebildet hatte, die geliebte Repulsine. Die meisten Leute unterschätzten sowohl die Bescheidenheit als auch das Gedächtnis des Forstrats. Es war die Zeit nach dem Krieg, als Schauberger mit seinem Sohn in Bad Ischl die Pythagoras-Kepler-Schule eröffnete und sich daran machte, die Wirbelphysik, die er den Bewegungen des Wassers abgeschaut hatte, auf eherne, vor allem theoretische Füße zu stellen. Bezüglich der Erklärungen waren sie im Prinzip damals mit dem Mathematiker Pythagoras und dem Astronomen Kepler gut bedient.

      Heuer wäre das wahrscheinlich nicht mehr ganz so leicht zu stemmen. Van Galten gluckst still in sich hinein. Seine Landleute verdrängten lieber, dass Viktor Schauberger der Größte war, den das Land jemals hervorbrachte. Wasser ist Leben. Vielleicht hielten sie auch nur den Ball flach. Klüger war es ja.

      Huuuuuiiiiii pfiff sie, danach sauste das geschweißte Stück Metall, die Repulsine, turboschnell durch das Dach der Werkstatt; wie beim ersten Mal in den 30er Jahren, als sie begannen, die neuen Antriebe zu entwickeln. Schnitzer und Fehlleistungen hatte Maestro Schauberger mit Absicht nachgebaut, um zu erforschen, was genau dabei geschah. Auf dem Weg zur Perfektion zog er aus Fehlern häufig mehr Erkenntnis als aus dem Gelingen. Kein Wunder, dass die Alliierten das Artefakt nach dem Krieg unbedingt mitnehmen mussten, obwohl es zum Fliegen nicht wirklich taugte. Da gab es wohl Effektiveres, anderswo. Und als Schauberger nach der Rückkehr aus Texas so unerwartet verstarb, war es gut, dass er in den Niederlanden für anderthalb Jahrzehnte untertauchen konnte. Das war notwendig und überhaupt nicht fair. Wie schnell hätte auch ihm etwas zustoßen können.

      Holland tat ihm gut. Es war auch richtig, nach der Hochzeit mit Mareike ihren Familiennamen anzunehmen, um die Spuren der Vergangenheit zu verwischen. Weil es besser so war. Damit er in Ruhe wirken und an Stellen helfen konnte, wo die meisten Entwickler scheiterten. Helfen, darum ging es doch.

      Van Galten schaut hoch in den dritten Stock. Auch Bulgakov droben in der Bibliothek steht nun kurz vor einem Durchbruch. Er wird ihn unterstützen, so lang es geht.

      Hausmeister und Universalhandwerker, welch schicke Untertreibung. Ja, er kocht Kaffee, wechselt Sicherungen, kommt in der Früh, verlässt als letzter die Werkstätten. Nur wenn er mit den Doktoren, Ingenieuren und Erfindern allein ist, lassen sie kurzfristig ihre Masken fallen und die Arbeit an einer neuen Physik darf beginnen. Niemals existieren Probleme, immer nur Situationen, die es zu wandeln gilt. Die größten Schwierigkeiten erfasst er beim Betreten der Laboratorien mit einem Blick. Natur und Effizienz eines wissenschaftlichen Versuchsaufbaus kann man riechen, ja was denn sonst? Zu lange hat er sich mit der Schwerkraft und ihrer technischen Überwindung beschäftigt, als dass er auftretende Komplikationen nicht auf Anhieb durchschaut. Selbst dort, wo er eine elektrische Schaltung kaum zu lesen vermag, erkennt er Lösungen intuitiv, aus dem Bauch heraus. Häufig genug liegt er richtig.

      Löten, drehen, fräsen, schleifen, polieren: meistens erledigt er handwerkliche Aufgaben nach Dienstschluss, zwischen 20 Uhr und Mitternacht. Dann legen die Studenten und Dozenten ohne Ehrgeiz die Hände in den Schoß. Trotzdem sitzt er morgens als Erster in seinem Verschlag, den privaten acht Quadratmetern, lächelt verbindlich aus dem Portierskabäuschen heraus, wenn die Studenten zu den Vorlesungen an den Universitätsplatz eilen. Nicht wenige, die ihn völlig übersehen, weil es so aussieht, als ob er die Tage bestenfalls dösend oder träumend verbrächte, auf dass es Abend wird und er endlich fortführen kann, was er einmal angefangen hat.

      Ein tiefes Seufzen entweicht ihm und mit blinzelnden Augen starrt er in den Morgenhimmel. Wie ein Dieb in der Nacht läuft er durch das Leben, in dem er nicht einmal der eigenen Familie über seine heimlichen Tätigkeiten Auskunft geben darf. Auf keinen Fall schlafende Hunde wecken. Oder schlimmere. Doch was heißt hier Familie?

      Cord fummelt an seinen roten Bartflusen.

      Mit der Tochter hat er es verrissen. Immer wieder packt ihn die Melancholie, wenn er in seinem Hausmeisterverschlag hockt und an den Streit mit dem Hannerl denkt. Dem eigen Fleisch und Blut. Seit vier Wochen zählt er die Tage. Dergleichen hat schon härtere Kaliber als ihn in die Depression gestürzt. Genau hierin offenbart sich die melancholische Mentalität seiner Heimat? Und er dachte noch, er käme drum herum.

      Irgendetwas wird geschehen. Er fühlt es im Bauch, er hört es im Kopf. Was könnte es dieses Mal sein? Kann doch nicht schon wieder ein Krieg ausbrechen, wie 1939, als der Forstrat kurz vor der technischen Revolution mit natürlichen Mitteln stand.

      In zwei Wochen wird Bulgakov einen Antigravitations-Generator präsentieren – und dann soll es gut gewesen sein. Toi, toi, toi. Die Sehnsucht nach Beschaulichkeit wird jeden Tag größer. Soll ja wohl in Ordnung gehen, mit 73 Lenzen auf dem Rücken.

      Über den Sonnenstrahlen, die durch das sommerliche Blattwerk fallen, bilden sich regenbogenfarbene Prismen im Morgentau auf dem Blattwerk der Bäume. In ihnen lässt er schwungvoll Johanna tanzen. Immer häufiger tanzt er mit ihr, denn nichts ist so groß wie der Wunsch, sie endlich wieder in seine Arme zu schließen. Weil er sie verloren hat, sie gehen ließ, er sein dummes Schandmaul nicht halten konnte.

      Wie in Stein gemeißelt kauert die ungeklärte Situation in einer Ecke seiner Brust und er möchte, dass die morgendliche Wärme sie auflöst, geradewegs ungeschehen macht.

      «Ich