Wenn Blau im Schwarz ertrinkt. Sandra Andrea Huber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sandra Andrea Huber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847639398
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einige weitere Schritte bis knapp vor die Gruppe, ließ den Blick abschätzend über ihre Gesichter gleiten, bis er wie gebannt auf dem Mädchen in ihrer Mitte hängen blieb. Er vermochte nicht zu sagen, was es war, dass ihn derart faszinierte. Etwas an ihr war anders, besonders. Sie berührte ihn auf eindringliche Art und Weise, sodass er nicht anders konnte, als sie anzustarren.

      Nicht sicher, ob sein Auftauchen nun Rettung oder noch mehr Peinigung bedeutete, hatte das Mädchen ihr Gesicht starr auf den Boden gerichtet, schien sich seines taxierenden Blickes aber dennoch bewusst zu sein.

      Nach einer längeren Weile entzog er ihr mühsam seine Aufmerksamkeit und richtete sie erneut auf die vermeintliche Anführerin der Truppe. „Mein Name ist Nikolaj und ich will, dass ihr verschwindet. Sofort. Ihr werdet nie wieder in ihre Nähe kommen – ist das klar?“ Er sprach mit Autorität und Bestimmtheit, die dem Mund eines Kindes nicht zuzutrauen gewesen wären. Doch genau genommen war er ja auch kein normales Kind, kein normaler dreizehnjähriger Junge. Er war jemand, der anderen drohen konnte.

      Obwohl seine Worte sichtliches Unbehagen über das vorlaute Mädchen und ihre Begleiterinnen hinweg rollen ließ, brachte die Blondhaarige trotzig eine Erwiderung hervor. „Du hast uns gar nichts zu sagen! Für wen hältst du dich eigentlich? Hast du mal in den Spiegel gesehen? Du siehst aus, wie ein Gespenst!“ Sie kicherte, doch es war ein wackeliges Kichern.

      Er taxierte sie. Sein Gesicht verriet weder einen seiner Gedanken, noch eine seiner Emotionen. Es gab nichts von dem Preis, was in ihm aufzüngelte; verriet nicht, dass sich der Rand seines Blickfeldes schwarz färbte.

      Ein paar Sekunden verstrichen, ohne dass sich die Szenerie änderte, dann gab eines der Mädchen plötzlich keuchende Atemgeräusche von sich und fing an zu schreien.

      Erschrocken drehten sich die beiden anderen in ihre Richtung, würgten, ehe auch sie hektisch die Hände ans Gesicht hoben, um einen Fluss karmesinroten Bluts aufzufangen, der ihnen aus der Nase quoll, ihre Lippen besprenkelte und über das Kinn den Hals entlanglief.

      Nikolaj beobachtete das Geschehen ohne die geringste Regung oder Erschrockenheit. Beobachtete, wie die Mädchen mit Panik und Unverständnis auf den Gesichtern zurückwichen, über den Spielplatz zur Straße liefen, um eine Ecke bogen und verschwanden.

      Auch das Mädchen hatte das Geschehen wortlos, aber mit überrascht geweiteten Augen verfolgt und wandte sich nun, da sie alleine waren, vollends ihm zu. Eine lange Weile sah sie ihn stumm an, damit beschäftigt ihre Gedanken zu ordnen und sich eine Meinung über ihn zu bilden.

      Er drängte sie nicht, wartete jedoch überaus angespannt auf ihr Urteil. Als er das Gefühl kaum noch ertragen konnte, machte sie endlich einige zögerliche Schritte auf ihn zu, lächelte und sagte mit leiser, aber fester Stimme: „Danke.“

      Eine Duftwolke süßlichen Aromas wogte ihm entgegen, kitzelte verlockend in seiner Nase und ließ ihn tiefer einatmen. Als er ihr antwortete, gingen die Worte aus einer Leichtigkeit hervor, die ihm fremd war. „Gern geschehen.“

      Wie bereits zuvor konnte er den Blick nicht von ihr abwenden. Angetrieben von einer inneren Sehnsucht, vom Blut, das durch seine Adern rauschte, drängten sich die Worte von ganz allein aus seinem Mund. „Du gehörst jetzt mir.“

      Sie kniff die Augen zusammen, neigte den Kopf zur Seite und bedachte ihn mit einem nachsinnenden Ausdruck. „Niemand gehört irgendwem. Aber wir können Freunde sein, wenn du möchtest. Ich bin Gwen.“ Sie hob die Hand und hielt sie ihm entgegen.

      Er wusste nicht, was er sagen sollte. Ihre Antwort verärgerte und irritierte ihn, ließ Trotz und Widerwillen in ihm aufkommen, ebenso wie sie ein warmes Gefühl in seiner Brust aufwallen ließ, das sich mit dem lieblichen Duft paarte und durch ihn tanzte.

      Im Griff dieses inneren Chaos nahm er ihre Hand und erwiderte mit Blick ihre hellbraunen Augen: „Du kannst mich Nick nennen.“

      EINS

Grafik 40

      Gwen zog den Kragen ihres Mantels dichter um ihren Nacken und beschleunigte ihre Schritte. Sie war müde, fror und wollte auf dem schnellsten Weg nach Hause. Eigentlich hätte ihre Schicht bereits vor drei Stunden enden sollen, ein Notfall hatte sie jedoch länger im Krankenhaus festgehalten. Das war nicht unbedingt ein Einzelfall. Es kam häufiger vor, dass sie über ihre Schicht hinaus arbeitete oder dass man sie nachts anrief, weil Assistenzärzte die ersten waren, die man aus dem Bett scheuchte. Sie waren gewissermaßen das Ende der Nahrungskette. Normalerweise kam sie damit gut zurecht, immerhin hatte sie sich diesen Beruf ausgesucht, obwohl ihr im Vorfeld bewusst war, dass diese Arbeit einiges von ihr fordern würde. Nichtsdestotrotz liebte sie, was sie tat. Dieser Umstand schmälerte die Anstrengung aller Doppelschichten und Überstunden, entschädigte für die kurzen Nächte und wenige Freizeit. Und genau so musste es auch sein. Ohne Leidenschaft konnte man diesen Beruf nicht ausüben.

      Inzwischen war es nach Mitternacht. Die Nacht gab sich in tiefster Schwärze, die Stadt lag schweigend und nasskalt da. Der Januar näherte sich seinem Ende und rückte ein weiteres Stück in Richtung ersehnten Frühlings. Zwar brach die Sonne nun schon von Zeit zu Zeit durch das graue Himmelszelt, speiste den Grund zu ihren Füßen mit sanftem Licht und dem Versprechen ihrer wärmenden Wiederkehr, doch war es nach wie vor der Winter, der die Obermacht innehatte, die Tage, und vor allem die Nächte, in seinem eisigen Griff gefangen hielt.

      Neidisch dachte Gwen an all jene, die bereits in ihren warmen Betten schlummerten und angenehmen Träumen nachhingen. Doch es war nicht mehr weit bis nach Hause. Noch ein paar Minuten und einige Abkürzungen durch Seitenstraßen und Gässchen, dann würde auch sie selig in den Kissen liegen und schlummern.

      Mit diesem tröstenden und zugleich lockenden Gedanken bog sie um die nächste Ecke und fasste einige Meter vor sich zwei Männer ins Auge. Angesichts ihres grunzenden Gelächters schienen sie sich über irgendetwas zu amüsieren. Das zeitgleiche Torkeln ließ Gwen auf Alkohol schließen.

      Die beiden bemerkten sie schneller als erwartet. Ihr Lachen verwandelte sich in ein dunkles Raunen, das prompt ein mulmiges Gefühl in Gwens Magen aufkommen ließ. Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken die Straßenseite zu wechseln, dann schallt sie sich, nicht gleich in Panik auszubrechen. Zwei Männer, die auf dem Heimweg oder in die nächste Bar unterwegs waren – das war alles. Kein Grund zur Sorge.

      Mit diesem inneren Tadel behielt sie ihren Weg bei, beschleunigte ihre Schritte jedoch zunehmend und ließ den Blick auf den Gehsteig gerichtet, als sie an den beiden vorbeilief. Die Männer im Rücken atmete sie erleichtert auf, entließ die Spannung aus ihrem Körper und schüttelte den Kopf angesichts ihrer Paranoia.

      Sie war erst ein paar Meter gegangen, als das unverkennbare Geräusch von Schuhwerk auf Asphalt an ihr Ohr drang, welches zweifelsohne aus ihrem Rücken kam. Ihr Puls beschleunigte sich unmittelbar, als hätte er nur auf diesen einen Moment gewartet. Ließ rauschend Blut und Adrenalin durch ihre Venen schießen. Ließ Angst sprießen und wurzeln.

      Keine Rede von Paranoia. Gesunder Überlebensinstinkt - das war es gewesen.

      Während ihre Schritte größer und gehetzter wurden, warf sie einen raschen Blick über die Schulter. So viel sie im Schein der Straßenlaternen erkennen konnte, quittierten die Männer ihre Reaktion mit amüsierten Grimassen. Auch sie bewegten sich mit großen und schnellen Schritten vorwärts und schlossen so immer näher zu ihr auf.

      Bittere Panik gebar sich in Gwens Innerem, wickelte ihren Verstand in eine neblige Wolke. Die einzig vernünftige Handlung, die sie schließlich klar herausfiltern und als Befehl an ihren Körper weitergeben konnte, war die, loszurennen.

      Die Absätze ihrer Stiefel, vermischt mit den wetzenden Laufgeräuschen ihrer Verfolger, polterten durch die dunkle Nacht. Kalte und spitze Luft presste in ihre Lungen, ließ einen süßlichen Geschmack in ihrem Mund aufgehen, der in einem Brennen im Hals mündete.

      Grob und unvorbereitet umschlang eine Hand ihren Oberarm und riss sie nach hinten. In der nächsten Sekunde wurde