Die Dämonen vom Ullswater. Steffen König. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Steffen König
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748590774
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woher der Kristall die elektrische Energie bezieht, um eigenständig zu leuchten. Aber lassen Sie uns einen Schritt nach dem anderen machen.«

      Davidson betätigte eines der Stellräder an der Vorderseite des Transformators. »Ich erhöhe jetzt langsam die Spannung.«

      Die Zeiger der Strom- und Spannungsmessgeräte erwachten zitternd zum Leben und begannen, träge über ihre Skalen zu kriechen. Gespannt blickte ich zu dem Artefakt hinüber, das zunächst aber keinerlei Veränderung zeigte. Davidson drehte das Stellrad weiter. Nichts passierte. Noch immer glomm der Kristall mit gleichbleibender Helligkeit. Ich schaute zu meinem Gastgeber, der meinen fragenden Blick sofort mit einer beschwichtigenden Geste quittierte. »Nicht ungeduldig werden, junger Mann. Beobachten Sie nur ruhig weiter unser Versuchsobjekt. Ich habe noch nicht einmal ein Viertel der mir zur Verfügung stehenden Leistung durch die Kabel gejagt.«

      Mit diesen Worten drehte er das Stellrad bis zum Anschlag. Ein tiefes, bösartiges Brummen drang aus dem Transformatorengehäuse und ich trat erschrocken einige Schritte zurück. Davidson bedachte mich mit einem mitleidigen Lächeln und konzentrierte sich danach wieder auf seine Armaturen. Im selben Moment geschah etwas mit dem Artefakt. Das bisher schwache, blaue Leuchten aus dem Inneren des Kristalls nahm sichtbar an Intensität zu und schwoll innerhalb von Sekunden zu einem blendend hellen Schein. Während Davidson mit einer Hand seine Augen abschirmte, wühlte er mit der anderen aufgeregt in einer Schublade. Zum Vorschein brachte er ein Paar Schutzbrillen mit getönten Gläsern, von denen er mir ein Exemplar reichte.

      Durch die dunklen Gläser der Brille geschützt, schaute ich mich um. Das ganze Labor war vollständig von einem grellem Strahlen erfüllt und schwere, dunkle Schlagschatten zeichneten sich gespenstisch an den Wänden ab. Davidson stand wie gebannt in diesem Meer aus Licht und starrte fasziniert zu der kleinen Sonne hinüber, die er in seinem Labor entzündet hatte. Mich hingegen erfreute dieser Anblick weitaus weniger. Denn in der Zwischenzeit hatte das Brummen des Transformators eine derart ohrenbetäubende Lautstärke erreicht, dass ich glaubte, das Gerät müsste jeden Augenblick explodieren. Mittlerweile roch es verdächtig nach verschmortem Kautschuk und von überall drang das beunruhigende Knistern elektrischer Entladungen an meine Ohren. Es bestand kein Zweifel, mein experimentierfreudiger Gastgeber verlor langsam die Kontrolle über seine Apparaturen.

      »Davidson!«, brüllte ich durch den Lärm. »Schalten Sie ab, bevor uns hier alles um die Ohren fliegt!«

      Der Chemiker reagierte nicht. Er schien völlig gefangen von dem, was sich dort vor seinen Augen abspielte. Ich griff nach seinem Arm und versuchte Davidson zur Besinnung zu bringen. Eine halbe Ewigkeit schien zu vergehen, bis er endlich reagierte. Langsam drehte er sich zu mir herum. Seine Mundwinkel zuckten vor Verzückung. »Unglaublich, nicht wahr? Dieses Licht, dieses überirdische Licht, es strahlt heller als die Sonne!«

      Ich deutete aufgeregt auf den Transformator. »Um Himmels Willen, Davidson, hören Sie denn nicht diesen infernalischen Lärm? Schalten Sie endlich den verdammten Transformator ab!«

      Davidson schaute mich einen kurzen Moment verständnislos an. Dann schien er zu begreifen. »Ich, ich ... Mein Gott, was tue ich hier nur!«

      Er griff nach dem Stellrad und wollte es in die Nullposition drehen. Aber das Rad bewegte sich nicht. Davidson packte beidhändig zu und stemmte sich stöhnend dagegen. Nichts geschah. Mit hochrotem Kopf blickte er in meine Richtung. »Schnell, Mr Walden, packen Sie mit an! Der hohe Stromfluss hat wahrscheinlich die verdammten Kontakte verschweißt.«

      Gemeinsam zerrten wir an dem Stellrad. Ohne Erfolg. Es bewegte sich keinen Inch. Panisch blickte Davidson zu dem grell leuchtenden Kristall hinüber, dessen abnorme Helligkeit sich mittlerweile sogar durch die dicken, nachtschwarzen Gläser unserer Schutzbrillen fraß.

      »In Gottes Namen, verschwinden Sie hier, Mr Walden! Es hat keinen Zweck mehr. Ich kann den Strom nicht mehr abschalten.«

      Davidson packte meinen Arm und wollte mich gerade aus dem Raum zerren, als ich eine Eingebung hatte. »Warten Sie! Die Kabel! Trennen Sie die Kabel, die vom Hausanschluss in den Transformator führen!«

      Davidson zögerte einen Moment, nickte mir dann aber verstehend zu. Im Laufschritt durchquerte er das Labor und kehrte Augenblicke später mit angelegten Gummihandschuhen und einer kleinen Handaxt zurück. Mit kurzen, gezielten Hieben durchtrennte er die Stromkabel kurz vor der Wandeinspeisung. Schlagartig verstummte das beängstigende Brummen des Transformators. Gespannt blickten wir zu dem Artefakt hinüber. Zwar hatte sich die enorme Helligkeit, die von ihm ausging, merklich vermindert, dennoch strahlte das Kristallei noch immer ein blaues, geheimnisvolles Licht aus.

      Noch während wir uns fragten, woher das Artefakt trotz durchtrennter Stromkabel die Energie nahm, um derart intensiv zu leuchten, wurden wir Zeuge einer weiteren Veränderung.

      Als schließe man das Ventil einer Gaslaterne, verlor das Licht plötzlich an Intensität und verwandelte sich innerhalb von Sekunden in ein schwaches, kaum wahrnehmbares Glimmen. Dann, im nächsten Augenblick, flammte es wieder auf, nur um daraufhin erneut zu verlöschen. Das Licht aus dem Kristall begann zu pulsieren wie ein Leuchtfeuer. Dabei veränderte es seine Farbe von Blau nach Rot und ein eigenartig singender Ton breitete sich im Labor aus, dessen Tonhöhe im Takt des Pulsierens auf- und abschwang.

      Davidson und ich sahen uns verblüfft an. Was hier geschah, war nicht mit normalen physikalischen Gesetzen erklärbar. Aber für Spekulationen blieb uns keine Zeit. Die Frequenz, mit der das Kristallei pulsierte, und auch die Tonhöhe des Begleitgeräusches nahmen rapide zu.

      »Ich fürchte, die Sache ist noch nicht ausgestanden«, schrie der Chemiker und zerrte mich wieder hinter den Transformator.

      »Was zum Teufel haben Sie da nur losgetreten!«, fluchte ich und zog mir entnervt die Schutzbrille vom Gesicht. Mein Gastgeber ignorierte meine Bemerkung und blickte über den Rand des Transformatorengehäuses. Das Pulsieren des Kristalls war mittlerweile in ein gleichmäßiges, rotes Glühen übergegangen, begleitet von einem hohen, durchdringenden Kreischen.

      »Dort, sehen Sie«, überschlug sich plötzlich Davidsons Stimme, »die Krallen, oh Gott, sie bewegen sich!«

      Deutlich konnte ich erkennen, wie die mit Widerhaken besetzten Krallen, die aus dem Kugelgelenk unterhalb des Kristalleies herausragten, zu unnatürlichem Leben erwachten. Der Anblick war beängstigend und ekelerregend. Wie die Glieder einer Knochenhand wanden sich die dünnen, spitzen Krallenfinger im rötlichen Schein elektrischer Entladungen, so, als wollten sie nach irgendetwas greifen. Angewidert wandte ich mich ab. Doch Davidson ließ nicht locker.

      »Um Himmels willen, Mr Walden! Sehen Sie doch hin! Das Licht, es verändert sich. Oh, warten Sie! Wie kann das sein? Ich glaube, es schwebt!«

      Ich blickte wieder zum Artefakt hinüber. Es war einfach unglaublich. Das rot leuchtende Kristallei war nun von einem orangefarbenen Ring aus purem Licht umgeben, der langsam auf und ab wanderte. Ich befürchtete, dass über kurz oder lang die enorme Hitze, die von diesem Phänomen abgestrahlt wurde, das Labor in Brand setzen würde. Ich musste etwas unternehmen.

      »Davidson, schnell, geben Sie mir die Axt!«

      »Was zum Teufel haben Sie vor?«

      Ich deutete auf das Kristallei. »Ich werde dem Spuk jetzt ein Ende bereiten.«

      Davidson packte mich schmerzhaft am Arm. »Nein, das können Sie nicht tun! Dieses Objekt ist für die Wissenschaft unersetzlich.«

      »Und ob ich das kann«, entgegnete ich scharf. »Das Ding dort drüben wird immer größer und in ein paar Minuten das gesamte Haus in Brand setzen. Wollen Sie das riskieren?«

      Mein Gastgeber warf einen abschätzenden Blick zu dem Artefakt hinüber. In den dunklen Gläsern seiner Schutzbrille spiegelten sich die orangefarbenen Entladungen, die knatternd aus dem Kristallei schlugen. Schließlich lockerte sich sein Griff und er reichte mir die Axt. »Also gut. Aber warten Sie.« Er zog sich hastig die schwarzen Gummihandschuhe aus und reichte sie mir. »Hier! Ziehen Sie die gefälligst über und setzten Sie Ihre verdammte Schutzbrille wieder auf! Ich habe keine Lust, meine Gurkensandwiches nachher alleine zu essen.«

      Ich quittierte