Das Geheimnis der Schatten. Viktoria Vulpini. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Viktoria Vulpini
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742791047
Скачать книгу
hätte sie nicht weiter gebohrt, aber das hier waren keine normalen Umstände und sie hatte ein Recht nachzufragen, wenn er wollte, dass sie das tat was er sagte.

      Ramons Blick glitt durch den Raum, als suchte er irgendetwas womit er sich aus dieser Situation befreien konnte, atmete dann hörbar ein. „Wir müssen hin und wieder jagen.” Sie verstand immer noch nicht so wirklich, wo das Problem lag und er fügte seufzend hinzu: „Wir jagen andere Erwachte. Menschen wie dich oder die beiden Leute, die gestern Abend da waren.” Zwar schien die Liste damit noch nicht zu Ende zu sein, doch das genügte auch schon. Sie verlor alle Farbe aus dem Gesicht.

      Sie hatte von Leuten gehört, die auf Menschenjagd gingen, es war ein sehr beliebtes Thema gerade in amerikanischen Büchern und Filmen. Meist waren es dann irgendwelche Familien, die über Generationen hinweg ab und an mal Leute entführten und sie dann wie ein Wildschein jagten und erlegten.

      Ramon seufzte frustriert und irgendwie auch enttäuscht. „Du brauchst keine Angst haben. Ich bin derzeit wirklich nicht in der passenden Stimmung und deine Vorstellungen darüber sind garantiert schlimmer, als es in Wahrheit ist.” Er fühlte sich ganz offensichtlich nicht ganz wohl in seiner Haut und das sah man ihm deutlich an. „Kümmern wir uns um deine Gabe.”

      Doch so leicht würde sie nun nicht klein bei geben. „Nicht so schlimm heißt was genau?”

      „Vielleicht zeigt es dir mal jemand.” Es klang schon fast ein wenig herausfordernd und hätte sie noch etwas Farbe im Gesicht gehabt, hätte sie diese wohl auch direkt verloren. Sie wollte etwas sagen, doch er schüttelte den Kopf. „Du hast versprochen keine Fragen zu stellen, erinnerst du dich?” Die Erinnerung an ihr Versprechen, aber auch die Art und Weise wie er dabei drein sah, ließen sie schließlich nicken. Schmerz und Frustration lagen in seinem Blick und etwas Dunkles, Gefährliches. Es war offensichtlich, dass sie mit ihren Fragen tief genug gebohrt hatte. Sie wusste selbst nur zu gut, wie sensibel manche Themen waren und wie schnell ein unbedachtes Wort alte Wunden wieder aufreißen konnte.

      „Tut mir Leid!”, sagte sie und meinte es auch so. Er nickte und machte eine einladende Geste. Innerlich fluchte sie. Vielleicht hatte sie wirklich für einen Moment gedacht, sie würden das hier nun abbrechen, aber da hatte sie wohl falsch gedacht. Er wirkte so überzeugt davon, dass sie sich tatsächlich mit einem Ruck wieder umdrehte und den Blick durch den Raum schweifen ließ, doch da war nichts. „Da ist nichts.” Bei den Worten kam sie sich unglaublich bescheuert vor. Sie rechnete schon fast damit, dass er nun gleich in schallendes Gelächter ausbrechen würde, doch er legte ihr nur die Hand auf die Schulter. Die Hitze, die seine Hand ausstrahlte, lenkte sie ab. Es war ungewöhnlich, dass irgendjemand sie einfach so anfasste. Es war ungewohnt und auch etwas unangenehm, doch gleichzeitig gab es ihr Halt. Es war sehr real, genau das Gefühl war es auch gewesen, das sie in der Küche aus ihrer Starre geholt hatte.

      „Sieh dich richtig um, versuch´ dir das Gefühl in den Sinn zu rufen, das du hattest, als du es draußen gesehen hast.”

      Ihr Herz klopfte schneller und ihre Knie wurden weich. Sie zögerte und tat es dann doch. Womit auch immer sie gerechnet haben mochte, mit der Tatsache, dass kaum ein paar Meter von ihr entfernt plötzlich und wie aus dem Nichts ein Schatten auftauchte, hatte sie nicht gerechnet. Ihr entfuhr ein leiser Schrei und sie machte einen entsetzten Sprung nach hinten. Der Schatten schien sie direkt anzusehen, so weit ein Schatten aus wabernder Dunkelheit überhaupt etwas wahrnehmen konnte. Bei ihrem Zurückweichen war sie gegen Ramon gestoßen, der ein leises, schmerzhaftes Keuchen von sich gab, sie an beiden Oberarmen packte und festhielt. Panik stieg in ihr auf.

      „Was siehst du?”

      Die Worte drangen nur gedämpft an ihre Ohren. Sie wollte davonrennen, doch ihre Beine versagten ihr den Gehorsam. Ein Rauschen wie das ferne Branden der See gegen einige Klippen war zu hören, doch wieder klang es falsch - irgendwie hohl. Das war mit Abstand das Dämlichste, was sie je getan hatte. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Sie hatte tief in ihrem Innern gehofft, dass nichts passieren würde und nun war das Ding ihr so nah. Ein stechender Geruch stieg ihr in die Nase, den sie nicht benennen konnte und der auch fehl am Platz wirkte. Das einzig wirklich reale Gefühl, war die Wärme an ihren Oberarmen, der sanfte Druck mit der sie festgehalten wurde.

      „Es passiert dir nichts. Was siehst du, Vanessa?”

      Diese Worte strahlten so viel Ruhe und Sicherheit aus und waren doch gleichzeitig so fordernd, dass sie ohne nachzudenken antwortete: „Es ist gleich da vorn, bei dem alten Kleiderschrank.” Sie konnte die Panik in ihrer eigenen Stimme hören und spürte wie Ramons Griff noch etwas fester wurde.

      „Beschreib´ mir, was du siehst.”

      Vanessa stöhnte auf. Wieso musste dieser Kerl sie nur so herumkommandieren? Und warum in aller Welt machte sie das überhaupt mit?

      „Es sieht aus wie Rauch oder wabernde Dunkelheit. Es hat grob menschliche Form.” Mit jedem Wort schien ihre Stimme höher und schriller zu werden. Sie hatte den Eindruck immer mehr den Bezug zur Realität zu verlieren. Angst kroch in jede Faser ihres Denkens.

      „Was tut die Gestalt?”

      „Sie schwebt da.” Doch in diesem Moment glitt der Schemen um den Schrank herum und verschwand aus Vanessas Sicht. „Sie ist hinter dem Schrank verschwunden.”

      „Folge ihr!”

      Ein Kopfschütteln, mehr brachte sie nicht zu Stande, sie würde keinen Schritt tun können, vermutlich konnte sie eh nur noch stehen, weil Ramon sie festhielt.

      „Keine Angst. Ich bin mir sicher, wenn es dir zeigen konnte, was du sehen sollst, wird es dich in Ruhe lassen.”

      Das war etwas, an das sie sich zu klammern versuchte. Es war einfach nur verrückt was sie hier tat. Wieso sollte es ihre Wahnvorstellung interessieren, ob sie ihr nun folgte oder nicht?

      „Weil es keine Wahnvorstellung ist, es ist da. Das ist deine Gabe. Deshalb siehst du es.” Erst jetzt begriff sie, dass sie ausgesprochen haben musste, was sie dachte. Ihr standen die Tränen in den Augen. Diese ganze Situation war verrückt. Doch schließlich ging sie auf den Schrank zu. Ramons Griff lockerte sich und eine Hand verschwand, die andere Hand legte er leicht auf ihre Schulter. Es war bei jedem Schritt als würde sie schweben, sie nahm kaum wirklich wahr, dass ihre Füße den Boden berührten. Das Rauschen war einem monotonen Brummen gewichen, dass ein wenig wie ein Laubbläser klang, der in einiger Entfernung betrieben wurde, aber auch das klang seltsam hohl.

      Diese Situation war der blanke Horror. Als sie am Schrank ankam zögerte sie, doch Ramon schob sie um die Ecke. Die wabernde Dunkelheit glitt ein Stück weiter und verschwand dann im Boden und damit außer Sicht.

      „Sie ist da vorn im Boden versunken! Können wir jetzt gehen? Mir reicht es wirklich!” Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern und voll vom Entsetzen, welches sie in jeder Zelle ihres Körpers spüren konnte.

      „Was ist da vorn unter dem Boden?”

      „Nichts!” Zumindest vermutete sie das. Soweit sie wusste, war nur das Haupthaus unterkellert.

      „Ich schau mir das mal an!” Ramon ließ sie los, ging an ihr vorbei und auf die Stelle zu. Eine neue Welle von Furcht ergriff sie und legte sich wie eine kalte Hand um ihr Herz. Unfähig etwas anderes zu tun, beobachtete sie, wie Ramon sich hinab beugte und das Stroh zur Seite wischte. Doch da war nichts. Dann begann er in immer größer werdenden Kreisen zu suchen. Er konnte da nichts finden, das war vollkommen ausgeschlossen, doch dann hörte sie, wie er ein triumphierendes Geräusch von sich gab und mit einem Ruck eine Holzklappe hochzog. Das war eindeutig nun wirklich zu viel des Guten. Wie hatte sie das wissen können? Wieso hatten ihre Einbildungen sie hierher geführt? Ihr Blick war auf das dunkle Loch im Boden gerichtet, unfähig einen wirklich klaren Gedanken zu fassen. Erst als Ramon ihr die Sicht auf das Loch nahm indem er sich vor sie stellte, konnte sie sich davon losreißen. Erstaunt stellte sie fest, dass das Brummen fort war. Zu hören war der Wind, der durch Ritzen und Spalten fegte, von denen es hier Unmengen gab. Verwirrt erkannte sie auch, dass es wieder muffig roch und sie ihren Körper wieder besser wahrnahm.

      Er lächelte und war offenbar sehr zufrieden, als er sie